Neu im Kino: „Eddington“

Krieg in der Kleinstadt

Ari Aster gelingt es in der Neo-Westernsatire „Eddington“, den Pandemie-Alptraum mitsamt seiner politischen Folgen in einem einzigen Film zu verdichten. Nichts für schwache Nerven!

Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix, li.)  und Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal)

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Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix, li.) und Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal)

Von Kathrin Horster

Joe Cross ist ein guter Mann. Der Sheriff von Eddington in New Mexico sorgt für Recht und Ordnung, macht sich auch für Schwächere stark. Zur Hochphase der Pandemie im Jahr 2020 sind Kneipen und Restaurants tabu für die Öffentlichkeit. Nur der Stadtrat genießt Sonderrechte bei einer exklusiven Versammlung in der örtlichen Bar, als ein obdachloser Wirrkopf den Laden auf der Suche nach Alkohol stürmt. Joe Cross (Joaquin Phoenix) will den Zoff beruhigen, doch er macht die Lage nur noch schlimmer, weil er selbst keine Maske trägt.

Schon die ersten Momente von „Eddington“, Ari Asters bitterer Neo-Westernsatire mit Horroranleihen, rufen üble Erinnerungen wach an eine Zeit, die sich trotz angestrengter Verdrängungsleistung nicht mehr aus dem kollektiven Gedächtnis löschen lässt. Asters erste Regiehöhenflüge „Hereditary“ (2018), „Midsommar“ (2019) und „Beau is Afraid“ (2023) ließen sich noch halbwegs bequem in die Schublade des psychologisch-fantastischen Horrorfilms wegsortieren. Der Plot von „Eddington“ ist dagegen klar in der Realität der jüngsten Vergangenheit verankert und beschreibt am Beispiel einer amerikanischen Kleinstadt, wie die Pandemie zum Katalysator aktueller Demokratiekrisen wurde.

Er pfeift auf die Maskenpflicht

Als Vertreter der Kommunalbehörde pfeift Joe Cross auf die Maskenpflicht, während der amtierende Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) mit Nulltoleranz-Strategie die Lockdown-Regeln durchzusetzen versucht.

Aster beschreibt weder Cross noch Garcia als moralisch schlechte Menschen, lässt sie aber westerntypisch als Kontrahenten im Kampf um die Vormachtstellung in der Stadt aufeinander los. Garcia versucht mit dem Bauprojekt eines Großrechenzentrums bei den Wählern zu punkten. Cross setzt seinen Laissez-Faire-Kurs dagegen und wettert auch persönlich motiviert gegen Garcia, weil der gerüchteweise für die Traumatisierung von Cross’ psychisch labiler Frau Louise (Emma Stone) verantwortlich sein soll.

In Cross’ Haushalt lebt noch Louises Mutter Dawn (Deirdre O’Connell), Anhängerin des Verschwörungsgurus Vernon Jefferson Peak (Austin Butler), der eines Abends mit seiner Freundin Sarah (Amélie Hoeferle) in Eddington strandet und Cross’ Familie zu umgarnen versucht. Schließlich schwappen noch die Berichte um den gewaltsamen Tod George Floyds im Zuge einer Polizeikontrolle durch die Medien, worauf sich junge Demonstranten mit der Exekutive des Ortes Straßenkämpfe liefern.

US-Kleinstadt als Model

Schon im Familiendrama „Hereditary“ bediente sich Aster eines Puppenhauses, um darin exemplarisch die Wirkungsweisen vererbter Gewaltlinien durchzuspielen. Diesmal dient die ikonische US-Kleinstadt als Modell, an dem Aster den Fall der amerikanischen Demokratie zur faschistoiden Milliardärsautokratie unter Donald Trump nachzeichnet, ohne dessen Namen oder Partei zu erwähnen. Bisher hat „Eddington“ vor allem gemischte Kritiken hervorgerufen. Dabei gelingt es Aster erstaunlich gut, die komplexe soziale und politische Gemengelage der Pandemiezeit im Film zu verdichten.

Bei aller Nähe zur Realität ist „Eddington“ ein Genrehybrid, der sich extrem stilisierter Mittel bedient. In der Satire setzt Aster mehr auf Typen als Individuen, arbeitet dennoch psychologische Eigenheiten einzelner Figuren heraus, während er andere bewusst zur undurchdringlichen Meinungsmasse zusammenfasst, um die Ohnmacht individueller Argumentationsversuche angesichts fest gefügter Moralblöcke vorzuführen.

Wie Rambo

Wie schon in seinen anderen Filmen arbeitet Aster intensiv mit Anspielungen, Zitaten, Querverweisen und Metaphern. In „Eddington“ sind die schlimmsten Waffen nicht die im Western gezückten Revolver, sondern Smartphones, mit deren Foto- und Videofunktion sich Bürger gegenseitig abschießen, und sich so im permanenten Selbstjustiz-Modus des Fehlverhaltens überführen. Im Showdown mit dem mit einer Schnellfeuerwaffe blind um sich ballernden Cross zitiert Aster schließlich den 1982 von Sylvester Stallone verkörperten Vietnam-Veteranen und Antihelden Rambo, der sich als vereinsamter Kriegsheimkehrer gegen das mitleidlose Establishment der Reagan-Ära zur Wehr setzte. In den 1980er Jahren konnte man „Rambo“ als kritischen Kommentar an der auf Erfolg und Vergessen geeichten rechtskonservativen Oberschicht verstehen. Aster zeigt, wie der Kampf des Außenseiters gegen eine unnahbare Obrigkeit heute in den Kreuzzug radikalisierter Vieler gegen eine zum Feind deklarierte, demokratische Ordnung umgeschlagen ist. Erleichterndes Lachen verweigert Aster zum Schluss, serviert dafür in bitterster Klarheit die Erkenntnis, dass unsere Wirklichkeit zu einem absurden Albtraum geronnen ist.

Eddington. USA 2025. Regie: Ari Aster. Mit Joaquin Phoenix, Emma Stone, Pedro Pascal. 145 Minuten. Ab 16 Jahren.

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Erstellt:
21. November 2025, 15:26 Uhr

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