Neu im Kino

Leben im Schnellrücklauf

In der King-Adaption „The Life of Chuck“ erzählt Mike Flanagan, wie ein Normalo die Angst vor dem Ende besiegt. Großer Stoff für das Hier und Jetzt.

Chuck (Tom Hiddleston) tanzt im Angesicht des Todes mit Jannice (Annalise Basso) auf den Straßen. Foto: Imago/Landmark

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Chuck (Tom Hiddleston) tanzt im Angesicht des Todes mit Jannice (Annalise Basso) auf den Straßen. Foto: Imago/Landmark

Von Kathrin Horster

Die Nachrichten sind voll von den Taten böser alter Männer, von Kriegen und Hass. Doch bald machen Erdbeben, Sturmfluten und sogar erlöschende Sterne im All der Menschheit den Garaus, zeigt Mike Flanagan in seiner Filmadaption „The Life of Chuck“ nach einer Kurzgeschichte des Horror-Fabulierers Stephen King.

Die Geschichte beginnt in einer Endzeit, die unserer Gegenwart im Klimawandel bedrohlich nahe kommt. Da ist ein Lehrer, Marty Anderson (Chiwetel Ejiofor), der seinen Kindern trotz des Zusammenbruchs des Internets und täglich neuer Hiobsbotschaften das Verständnis für Gedichte einzutrichtern versucht. Beim Elternsprechtag sitzen schluchzende Väter vor ihm, die Andersons absurde Mahnung, die Kinder müssten eben in der analogen Bibliothek aus Büchern lernen, nicht mehr begreifen können. Zeitgleich versucht Andersons Ex-Frau Felicia (Karen Gillan) in einer Notaufnahme Patienten zu versorgen, die wie Fliegen sterben.

Wie im Auge dieses Sturms ruht Charles Krantz (Tom Hiddleston), genannt Chuck, in seinem Klinikbett, ein Jedermann von 39 Jahren, unheilbar an einem Hirntumor erkrankt.

Interessante Erzählweise trifft auf Menschenfreundlichkeit

„The Life of Chuck“ gehört zu jenen Filmen, über die man im Vorfeld eigentlich nicht zu viel wissen sollte, weil das die Freude am ausgeklügelten Aufbau, an den Wendungen und Bedeutungsebenen schmälern würde. Verraten sei, dass sowohl King in der Kurzgeschichte als auch Flanagan im Film in drei Episoden und mit dem Ende beginnend das Leben dieses Charles Krantz nachzeichnen.

Der wird als Sohn jüdischer Eltern geboren, wächst später – aus Gründen – bei seinen Großeltern Albie (Mark Hamill) und Sarah (Mia Sara) auf, wo er von der Oma das Tanzen lernt. Die Kindheit, berichtet ein wohlwollender Erzähler aus dem Off, ist trotz mancher Hürden auch dank dieser Leidenschaft schön.

Immer wieder hat King sein Faible für kindliche Außenseiter zum Ausdruck gebracht, die sich trotz früher Verlust- und Gewalterfahrungen vom Dunkel um sie herum emanzipieren und Stärke entwickeln.

Das ist auch im Fall des kleinen Charles Krantz (als Kind gespielt von Benjamin Pajak, als Teenager von Jacob Tremblay) nicht anders, der sich viele Jahre vor der vom Opa streng verschlossenen Geisterkammer im Haus fürchtet, bis er die Tür eines Tages öffnet und den Gespenstern darin zu trotzen lernt.

Intensiv wirkt die menschenfreundliche Perspektive der Horrorspezialisten King und Flanagan, wobei der Autor in erster Linie bekannt ist für Geschöpfe wie den grausigen Clown aus „Es“, die religiös fanatische Mutter aus „Carrie“ und den psychotischen Alkoholiker-Vater in „The Shining“, die vor allem Kindern das Leben zur Hölle machen.

In der Wirklichkeit ätzt der Demokrat King engagiert gegen die Bösartigkeit eines Donald Trump, der wie ein orange getünchter Pennywise seine Haifischreißer jedem zeigt, der sich nicht ins Raster der MAGA-Ideologie fügt. Kings Werke werden zwar nicht als künstlerisch wertvolle Literatur wahrgenommen; dass seine Ideen besonders in Filmen ihr zeitkritisches Potenzial entfalten, beweisen dafür etliche starke Adaptionen, zu denen man nun auch „The Life of Chuck“ zählen muss.

Mike Flanagan, der unter anderem mit den gelungenen Literaturverfilmungen „Spuk in Hill House“ (2018) und „Der Untergang des Hauses Usher“ (2023) sowie mit den King-Umsetzungen „Das Spiel“ (2017) und „Dr. Sleeps Erwachen“ (2019) Talent für altmodisch intelligenten Horror belegt hat, zeigt diesmal, wie nah Schrecken und Schönes beieinander liegen. Abgesehen vom Weltende zu Beginn des Films arbeitet Flanagan mit leuchtend bunter Farbpalette, in die sich in der Beschreibung von Chucks Kindheit Sepiatöne mischen. Selbst angesichts der Katastrophe beweisen die Figuren noch schwarzen Humor und tapferes Durchhaltevermögen.

„The Life of Chuck“ mag auf den ersten Blick Kings und Flanagans fantastisch unterfütterte, manchmal sentimentale Rückschau auf ein ganz normales Menschenleben sein. Man kann den Film aber auch als Aufmunterung im gegenwärtigen Chaos sehen. Auch, wenn irgendwann alles vorbei sein sollte; den Spaß davor darf man sich nicht madig machen lassen.

The Life of Chuck. USA 2024. Regie: Mike Flanagan. Mit Tom Hiddleston, Mia Sara, Chiwetel Ejiofor. 110 Minuten. Ab 12 Jahren.