Liberale und Linke für kostenfreien Fahrdienst

Jochen Haußmann und Julia Goll von der FDP fordern Taxigutscheine für hochbetagte Kreisbürger, um die Anreise auch aus entlegeneren Ecken zum Impfzentrum in Waiblingen zu erleichtern. Auch der Linke Philip Köngeter fordert ein Gratistaxi für Senioren. Landrat Richard Sigel winkt indessen ab.

Der Rems-Murr-Kreisverband des DRK bietet einen Fahrdienst zum Waiblinger Impfzentrum an. Foto: DRK

Der Rems-Murr-Kreisverband des DRK bietet einen Fahrdienst zum Waiblinger Impfzentrum an. Foto: DRK

Von Bernhard Romanowski

BACKNANG. Die Infrastruktur ist geschaffen. Die Waiblinger Rundsporthalle steht als Impfzentrum für den Rems-Murr-Kreis bereit. Ab 22. Januar können die Leute kommen. Was die Menge des Impfstoffs gegen das Coronavirus und die damit verbundene Impfrate angeht, haben die Erwartungen im Kreisgebiet zwar einen herben Dämpfer erfahren. Aber grundsätzlich ist die neu geschaffene Einrichtung bereit, den Betrieb aufzunehmen. Die Menschen, die der Prioritätsstufe eins zugeordnet werden, kommen zuerst dran: also Berufstätige aus Medizin und Pflege und Menschen im Alter über 80 Jahre. Doch für Letztere stellt sich mitunter die Frage: Wie komme ich dahin? Und hierüber ist mittlerweile auch im Rems-Murr-Kreis eine Diskussion entbrannt.

„Eine Tagesreise mit dem Bus zum Impfzentrum ist Hochbetagten nicht zuzumuten.“

Jochen Haußmann, FDP-Landtagsabgeordneter aus Kernen im Remstal und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, und Julia Goll, die FDP-Landtagskandidatin im Wahlkreis Waiblingen, haben das Thema als solches erkannt und sich Gedanken gemacht, wie die rund 25000 über 80-Jährigen im Rems-Murr-Kreis schnell und kostenlos an ihre beiden Coronaimpfungen kommen. Ihre Antwort: „Das Land soll mittels Taxigutscheinen dafür sorgen.“ Landesweit, so die beiden Liberalen, sei hier immerhin von rund 720000 Menschen im Alter über 80 Jahren die Rede, die nicht in Heimen leben. Von der Zielgruppe im Rems-Murr-Kreis seien bis zu 15000 Menschen als pflegebedürftig eingestuft, aber nur rund 3000 in Heimen untergebracht. Alle anderen würden zu Hause gepflegt. „Nahe dem Impfzentrum Rundsporthalle gibt es zwar eine Bushaltestelle, aber eine Tagesreise mit dem Bus ist Hochbetagten insbesondere aus dem Backnanger oder Welzheimer Raum nicht zumutbar“, sind sich Goll und Haußmann einig. „Für die über 3000 Pflegebedürftigen, die im Rems-Murr-Kreis in Heimen untergebracht sind, wird mittels mobiler Impfdienste gesorgt“, schreibt Jochen Haußmann auch in einem Brief an Gesundheitsminister Manfred Lucha. Haußmann: „Für alle anderen muss eine ähnlich komfortable und schnelle Lösung angeboten werden. Das wären entweder die Taxigutscheine oder ein Impfstoff, der über die Hausärzte verimpft werden kann.“

So ähnlich sieht es auch Waltraud Bühl vom Kreisseniorenrat. Sie spricht allerdings davon, dass ein solcher Fahrdienst auf einen Umkreis von etwa 20 Kilometern rund um Waiblingen herum beschränkt bleiben solle. Für alle anderen sollten mobile Impfstationen die Großen Kreisstädte anfahren, meint Bühl: „Wenn jemand zum Impfen aus Murrhardt nach Waiblingen kommen muss, ist mit einer dreiviertelstündigen Hinfahrt sowie jeweils einer weiteren Dreiviertelstunde für Formalitäten und die eigentliche Impfung plus Rückfahrt zu rechnen. Insgesamt drei bis vier Stunden – das ist einfach zu lang.“ Am besten kämen die Menschen über den Hausarzt zu ihrer Impfung. Aber sie räumt ein, dass das im Moment Wunschdenken sei.

Der DRK-Kreisverband Rems-Murr hat auch schon reagiert und bietet für Personengruppen, die Hilfe bei der Beförderung benötigen, einen Fahrdienst für impfberechtigte Senioren und hilfebedürftige Personen zum Kreisimpfzentrum in Waiblingen an. Bei Bedarf begleiten speziell ausgebildete Mitarbeiter der Mobilen Dienste des DRK die Impfwilligen bis ins Impfzentrum und bringen die Menschen anschließend auch wieder nach Hause. „Das Angebot gilt für den gesamten Kreis. Die Außenstellen der Mobilen Dienste befinden sich in Backnang, Murrhardt und Weinstadt, dort können sich Interessierte über das Angebot informieren“, erläutert Utz Bergmann, Leiter Sozialarbeit beim DRK Rems-Murr. Das Angebot ist nicht kostenfrei. Die Fahrgäste müssten sich über eine eventuelle Erstattung mit ihrer Krankenkasse abstimmen.

„Den Weg zum Impfzentrum in Waiblingen aus den Orten Murrhardt, Welzheim, Alfdorf oder Kaisersbach mit all ihren Teilorten ist mit 30 Minuten Fahrzeit für ältere Einwohner beschwerlich“, verkündet auch Philip Köngeter, der Landtagskandidat der Piratenpartei aus Welzheim. Er fordert ein Gratistaxi zum Impfzentrum. „Der Kreis und die Kommunen sollten der älteren Bevölkerung diesen Service anbieten und die Kosten der Fahrten dann auch vorerst übernehmen. Berlin geht diesen Weg bereits und der Rems-Murr-Kreis sollte sich diesem Modell als Vorreiter in Baden-Württemberg anschließen.“

Landrat Richard Sigel spricht hingegen von „viel Aktionismus rund um das Thema Impfzentrum“. Er sieht zum einen bereits gut organisierte Möglichkeiten, an eine Impfung zu gelangen. Zum anderen hätten viele Menschen im Rems-Murr-Kreis noch ein persönliches Umfeld, das funktioniere und hier zum Tragen komme. Auch die Position des baden-württembergischen Landkreistags laute: kein Shuttleservice zu den Kreisimpfzentren. Die zu Impfenden seien auf den ÖPNV, auf Taxiunternehmen sowie auf Nachbarschaftshilfe zu verweisen. Das Land sehe in seinem Kostenrahmen keine Positionen zur Refinanzierung eines Shuttleservice vor. Insoweit wären auch hier allenfalls ehrenamtliche Strukturen denkbar, bei denen sich das DRK einbringen könnte, so Sigel.

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Erstellt:
16. Januar 2021, 06:00 Uhr

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