Licht und Belebung gegen öffentliche Unorte in Backnang

Wir haben einen Rundgang mit Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann gemacht und uns verschiedene Problembereiche in Backnang angeschaut. Er erklärt, wie es zur Abwärtsspirale von Quartieren kommen kann und wie die Stadt solche Ecken aufzuwerten versucht.

Für das sogenannte Totengässle schwebt Stadtplaner Tobias Großmann eine Neukonzeption vor.

© Alexander Becher

Für das sogenannte Totengässle schwebt Stadtplaner Tobias Großmann eine Neukonzeption vor.

Von Kai Wieland

In den vergangenen Wochen haben wir unsere Leserinnen und Leser gebeten, uns Ecken und Winkel in Backnang zu nennen, die dringend eine Aufwertung benötigen. Mit Tobias Großmann, Leiter des Stadtplanungsamts, haben wir uns über verschiedene Problembereiche und mögliche Maßnahmen unterhalten. Das Ziel ist stets die Schaffung heller, freundlicher und belebter Orte.

Stadtquartiere baulich aufwerten

„Die Gebäude gegenüber werden wohl nicht zu halten sein“, sagt Tobias Großmann mit Blick auf die Häuser, welche sich im unteren Teil der Marktstraße auf der alten Stadtmauer aneinanderreihen. Das kleine Quartier, welches auch als Totengässle bekannt ist, bildet angesichts der zentralen Lage und der jahrelangen Vernachlässigung einen der Schwerpunkte des Stadtplaners für die kommende Dekade. Dafür rechnet er, je nach Haushaltslage, mit einem Zeithorizont von drei bis sieben Jahren. Zuvor gingen bereits mehrere Jahre für den Erwerb der Gebäude von der Wassergasse aus die Markstraße hinab ins Land. Dadurch habe man nun jedoch die Gelegenheit, für das Areal eine tragfähige Gesamtkonzeption zu erstellen. „Das Hauptziel ist, eine Anbindung von der Uhlandstraße an die Murr zu schaffen“, erklärt Großmann. In der Tat lädt die verstellte Passage vorbei am Burgel-Gebäude und am dortigen Lastenaufzug – einem „hässlichen Block“, wie unsere Leserin Britta Lippok es formuliert – derzeit nicht unbedingt zum Flanieren ein. Um diese Achse schon jetzt zu stärken, wird mit einer Filiale der Einzelhandelskette Tante M vorerst ein Nahversorger im Erdgeschoss einziehen, die anderen Stockwerke bleiben zunächst leer. „Vor dem Gebäude werden wir aufräumen und die Folierung der Stadt entfernen, der Laden bekommt eine schöne Werbeanlage.“ Für den Lastenaufzug ist laut Großmann in Zukunft eine Umnutzung als Leihradstation denkbar, vorerst bleibt dieser aber bestehen.

Perspektivisch werde für das Areal auch über eine öffentliche Nutzung nachgedacht, ein mögliches Szenario sei eine Bibliothek. „Wir wollen einen Ort schaffen, an dem sich Bürger auch abseits von Konsum aufhalten“, erklärt Großmann. Gastronomische Angebote mit Murrzugang seien ebenfalls naheliegend. Ob sich die Neukonzeption auch auf die ebenfalls von einigen Lesern beanstandete Spaltgasse auswirken wird, sei aktuell noch nicht abzusehen, sagt Großmann. „Oftmals geht von so einer Entwicklung aber auch ein Signal für die umliegenden Bereiche aus.“

 Die aktuell unattraktive Passage von der Uhlandstraße in die Marktstraße soll durch einen Nahversorger im Burgel-Gebäude belebt werden.

© Alexander Becher

Die aktuell unattraktive Passage von der Uhlandstraße in die Marktstraße soll durch einen Nahversorger im Burgel-Gebäude belebt werden.

Das Totengässle ist allerdings nur einer von mehreren Schwerpunkten, welcher in den kommenden Jahren angepackt werden soll. „Die Sulzbacher Straße gehen wir jetzt an“, sagt Großmann über das ebenfalls vielgescholtene Areal. Sie soll dem Stadtplaner zufolge wieder mehr in die Innenstadt integriert werden. Am Bahnhof wurde mit der neuen Stadtbrücke der erste Schritt hin zu einer Mobilitätsscheibe getan, weitere sollen in den kommenden Jahren folgen. Und auch das Quartier Backnang West, welches Bestandteil der IBA 2027 ist, steht im Fokus. „Ich finde, es hat schon jetzt einige unglaublich schöne Ecken, aber eben auch eine völlige Unternutzung.“ Hier muss es sowohl gelingen, den Bestand zu erhalten, als auch eine städtebauliche Aufwertung und Nachverdichtung zu erreichen, so Großmann. Es ist also viel zu tun für die Stadt, die Projekte werde man Schritt für Schritt parallel zueinander angehen. Auf Immobilienerwerb im großen Maßstab, wie es in der Marktstraße erfolgt ist, kann man dabei allerdings nicht setzen. „Das lässt der Haushalt nicht zu.“ Stattdessen will man mit gutem Beispiel im öffentlichen Raum vorangehen, um so Impulse zu setzen, die dann gegebenenfalls von privaten Eigentümern aufgegriffen werden. Zum Beispiel sei es nach vielen Jahren gelungen, mit dem Gebäude Marktstraße 42 einen langjährigen Schandfleck mit großer Wirkung auf Erstbesucher in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

Ladenfronten und Fenster

Kaum etwas ist für ein Innenstadtbild prägender als die Ladenfronten und Fenster auf Erdgeschosshöhe. Aus diesem Grund tut Leerstand besonders weh, vor allem wenn er noch dazu mit äußerem Verfall einhergeht, wie es an der einen oder anderen Stelle in Backnang der Fall ist. „Wir versuchen immer auf die Inhaber zuzugehen“, betont Großmann. „Manchmal wollen sie aber nicht oder geben sich einfach mit dem zufrieden, was man auch aus einer Schrottimmobilie noch an Rendite ziehen kann.“ Letztlich stehe das Eigentumsrecht – „Gott sei Dank“, schiebt er ein – so hoch, dass man in solchen Fällen als Stadt über Gesprächsangebote hinaus keine Handhabe besitze. Auch für die Zusammensetzung der Ladenangebote können man zumeist nur Anreize setzen und beraten. „Wir können einem Eigentümer nicht vorschreiben, wie er seine Fläche vermietet.“

 Beklebte Fenster in Erdgeschosshöhe sollen allenfalls ein vorübergehendes Werbemittel sein. Auch die Stadt will ihre Folierungen bald entfernen.

© Alexander Becher

Beklebte Fenster in Erdgeschosshöhe sollen allenfalls ein vorübergehendes Werbemittel sein. Auch die Stadt will ihre Folierungen bald entfernen.

Was dem Stadtplaner seit geraumer Zeit sauer aufstößt, ist die um sich greifende Praxis, die Schaufenster umfassend mit Folien zu bekleben. „Eigentlich schließt die Werbeanlagensatzung das aus und da werden wir sicherlich noch einmal nachjustieren“, so Großmann. Dass die Stadt dies zum Beispiel an der alten Adler-Apotheke, in deren Erdgeschoss eine Tourist-Info eingerichtet werden soll, selbst praktiziert, räumt er ein. „Ich würde sagen, man kann das schon temporär machen, um auf etwas hinzuweisen, aber dauerhaft sollten die Erdgeschosse einsehbar sein.“ Man müsse erkennen, dass in den Häusern Leben stattfinde, denn die Erdgeschossfenster prägten den öffentlichen Raum ebenso wie der Straßenraum. Auch die Folierungen der Stadt sollen daher zeitnah verschwinden.

Treppen und Wege

Ein Spaziergang vom Nord- oder Ostrand über die Sulzbacher Straße oder die Gartenstraße ins Zentrum erscheint manchem unserer Leser wenig attraktiv. Dabei hat Backnang das Potenzial, die Stadt der kurzen Wege zu sein, glaubt Tobias Großmann. „Backnang hat eine wunderbare Struktur, um Wege zu Fuß zu gehen. Dafür braucht man aber Orte mit Aufenthaltsqualität.“ Zu dieser Konzeption gehöre es, dass man mit hellen Farben arbeite und möglichst einheitliche Beläge verwende, anstatt einen Flickenteppich aus unterschiedlichen Materialien zu schaffen, der am Ende noch dazu voller Stolperfallen stecke. Dass Backnang außerdem eine Stäffeles-Stadt ist, macht sich auch bei den Rückmeldungen aus der Leserschaft bemerkbar. „Wenn ich Richtung Bushaltestelle Eintracht gehe, muss ich die Verbindungstreppe zwischen Walksteige und Gartenstraße benutzen“, schreibt Stefanie Haible. „Sie ist total vermüllt, die Stufen sind ausgetreten und alles macht einen verwahrlosten Eindruck.“

Die Treppe zwischen Gartenstraße und Walksteige wird viel genutzt, aber wohl kaum wegen ihrer Atmosphäre.

© Alexander Becher

Die Treppe zwischen Gartenstraße und Walksteige wird viel genutzt, aber wohl kaum wegen ihrer Atmosphäre.

Tobias Großmann freut sich über Hinweise dieser Art und bestätigt, dass besagte Treppe nun in die vordere Priorisierung rutschen soll: „Wir wollen die Obere Walke in alle Himmelsrichtungen wieder besser in die Stadt integrieren und da werden wir uns mit dieser Treppe auch nochmal intensiver befassen.“ Überhaupt soll den Treppen im Stadtbereich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, bereits im Oktober stellte die Stadt einen entsprechenden Plan vor (wir berichteten). „Bei den Treppen handelt es sich oft um Nord-Süd-Verbindungen von den Halbhöhenlagen in die Stadt und zurück, und die sind alle total wichtig“, betont der Stadtplaner. Als Beispiel nennt er die ebenfalls sanierungsbedürftige Felicitas-Zeller-Staffel, welche wegen der Haushaltslage zwischenzeitlich in der Priorisierung nach hinten gerutscht sei, aber auf jeden Fall angegangen werden soll. „Als sie mal eine Zeitlang gesperrt war, haben sich sehr viele Menschen bei uns gemeldet und waren besorgt, was mit der Treppe passiert“, so Großmann. Angesichts der Steilheit und ihres aktuellen Zustands sei sie schwierig zu gehen und werde von vielen gemieden, aber man wolle sie nicht aufgeben. „Im Gegenteil“, betont er. „Wir wollen solche fußläufigen Verbindungen wieder stärken.“

 Ein Mix von Farben und Materialien findet Tobias Großmann nicht mehr zeitgemäß. Helle und durchgängige Bodenbeläge wie am Schillerplatz sollen die Zukunft sein.

© Alexander Becher

Ein Mix von Farben und Materialien findet Tobias Großmann nicht mehr zeitgemäß. Helle und durchgängige Bodenbeläge wie am Schillerplatz sollen die Zukunft sein.

Beleuchtung und Belebung

„Am meisten stört mich am Bahnhof, dass er schlecht ausgeleuchtet ist“, sagt Tobias Großmann. „Es ist entweder total hell oder völlig dunkel, aber eigentlich brauchen wir ein warmes, gestreutes Licht in alle Bereiche, damit man sich dort wohlfühlt.“ Aus diesem Grund solle im Rahmen der Modernisierung des Bahnhofs nicht nur an die Barrierefreiheit, sondern auch an eine angenehme Beleuchtungsatmosphäre gedacht werden. Dass ein Lichtkonzept einen großen Unterschied machen kann, verdeutlicht die Unterführung zwischen Bahnhofstraße und Maubacher Straße. „Wir haben blaue Eingangsportale und innen warmes, erdiges Licht. Davor war es eine dunkle Tropfsteinhöhle.“ Wie sehr die neue Unterführung angenommen werde, zeige sich an der hohen Frequenz von Radfahrern und Passanten. Durch eine derartige Belebung der Fußgängerwege und Stadtbereiche sei es möglich, eine positive Entwicklung anzustoßen, so Großmann. „Helligkeit, Freundlichkeit und Frequenz sind immer die Ziele, um Unorte zu vermeiden oder zu beheben.“

 Außen blau, innen erdig warm – das Beleuchtungskonzept an der Unterführung zur Maubacher Straße scheint gut anzukommen.

© Alexander Becher

Außen blau, innen erdig warm – das Beleuchtungskonzept an der Unterführung zur Maubacher Straße scheint gut anzukommen.

Müll, Unrat und Graffiti

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Als „Müllcontainer-Ensemble“ bezeichnet Reinhard Kobald die Container am Dresdener Ring beim Wasserturm. „Sie sind äußerlich so verschmutzt, dass man sich als Backnanger in Grund und Boden schämen muss.“ Tobias Großmann bestätigt, dass hier Handlungsbedarf besteht. „An der Bundesstraße gibt es ja eine Baustelle und auch die dortige Brücke wird neu gebaut. Wenn der Bund dort fertig ist, werden wir die Container gestalterisch einhausen, zum Beispiel mit schönen Holzschalen“, so der Stadtplaner. Der Ort ist nur ein Beispiel dafür, dass die Vermüllung beständig zunimmt. „Das trifft auf wilden Müll zu, aber auch auf die geordnete Entsorgung, ganz einfach, weil unsere Gesellschaft sehr viel Müll produziert.“ Auch deponieähnliche Zustände auf privatem Grund blieben den Stadt nicht verborgen, doch solange davon keine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehe, habe man dagegen keine Handhabe. „Wir versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen und die öffentlichen Räume sauber zu halten. Der Bauhof macht da eine ganz wichtige Arbeit. Sie passen ihre Routen auch mit Schwerpunkten an, können aber nicht überall sein.“

Für das „Container-Ensemble“ am Wasserturm soll nach den Arbeiten an der Bundesstraße eine gestalterische Lösung gefunden werden.

© Alexander Becher

Für das „Container-Ensemble“ am Wasserturm soll nach den Arbeiten an der Bundesstraße eine gestalterische Lösung gefunden werden.

Dasselbe gelte für die Entfernung von Graffiti, die Großmann aber nicht völlig verteufeln will. „Ich finde Graffiti gar nicht perse schlecht, sondern unterscheide zwischen Graffiti als Kunstform und Ausdruck, was ich legitim finde, und Schmierereien, die man sanktionieren muss. An manchen Orten achten wir darauf, dass wir agieren. Wichtig ist, dass man an zugänglichen Stellen dagegen vorgeht und überstreicht.“ Gleichzeitig wolle man aber kein Wettrennen in Gang setzen. In einigen Bereichen, etwa im rückwärtigen Bereich der Felicitas-Zeller-Staffel, etablierten sich Graffitis daher irgendwann. „Ein Stück weit gehört eben auch das zum öffentlichen Raum dazu.“

Kunst oder Schmiererei? In manchen Fällen, so wie hier nahe der Schiller- und der Pestalozzischule, scheint die Antwort klar.

© Alexander Becher

Kunst oder Schmiererei? In manchen Fällen, so wie hier nahe der Schiller- und der Pestalozzischule, scheint die Antwort klar.

Soziale Kontrolle

Als Unorte bezeichnet Tobias Großmann insbesondere jene Bereiche, die von Passanten gemieden werden, worauf sie weiter verfallen und schließlich auch ihr Umfeld schädigen. „Dort, wo man keine Belebung hat, wo der Leerstand zunimmt, wo nichts mehr passiert, dort kommt es dann auch zu Vandalismus“, erklärt der Stadtplaner. „Trading down nennt man das so schön: die Abwärtsspirale.“ Hohe Priorität misst er daher der Schaffung offener, heller Räume bei, in denen sich die Menschen sicher fühlen und durch ihre Belebung für sogenannte soziale Kontrolle sorgen. In bestimmten Bereichen, etwa an der Oberen Walke oder im Umfeld des Bahnhofs, scheint dies Leserzuschriften wie jenen von Petra Maaß und Bernhard Engelmann zufolge nicht immer der Fall zu sein. „Hier haben wir etwa eine Trinkerszene und in den sichtgeschützten Bereichen, etwa auf den Treppen am Bahnhofsparkhaus, auch immer wieder Probleme mit Wildurinieren“, so Großmann.

Dunkel, heruntergekommen und nicht selten mit unangenehmem Geruch: Die Treppe am Bahnhofsparkhaus taugt nicht als Visitenkarte der Stadt.

© Alexander Becher

Dunkel, heruntergekommen und nicht selten mit unangenehmem Geruch: Die Treppe am Bahnhofsparkhaus taugt nicht als Visitenkarte der Stadt.

Verschiedene Maßnahmen dagegen, etwa in Form von Beleuchtung, hätten noch nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Im Falle der Oberen Walke, welche bereits neu gestaltet wurde und an der in diesem Jahr erstmals die Ausgleichsflächen erblühen sollen, werde sich das Phänomen seiner Einschätzung nach aber mildern, sobald dort eine Aufsiedelung stattfinde. Allerdings, gibt er zu bedenken, sei auch diese Klientel ein Teil unserer Gesellschaft und werde dann wahrscheinlich an anderer Stelle wieder auftauchen. Ein größeres Problem stelle der Vandalismus dar, dem man bereits bei der Planung durch robuste Lösungen zu begegnen versuche. „Leider nimmt die Verrohung unserer Gesellschaft spürbar zu.“

 Aufkleber an Straßenschildern sind kein seltener Anblick. Je belebter eine Straße ist, desto größer ist jedoch die Chance, von solchen Taten abzuschrecken.

© Alexander Becher

Aufkleber an Straßenschildern sind kein seltener Anblick. Je belebter eine Straße ist, desto größer ist jedoch die Chance, von solchen Taten abzuschrecken.

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Erstellt:
4. März 2024, 13:00 Uhr

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