Früherer Ministerpräsident

Linken-Politiker Bodo Ramelow: „Bin ich dabei, die Partei zu verlassen?“

In einem offenen Brief warnt der Bundestagsabgeordnete Bodo Ramelow seine Partei davor, zur „Bewegungslinken“ zu werden.

Bodo Ramelow hat einen langen Brief veröffentlicht – voller mahnender Worte.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Bodo Ramelow hat einen langen Brief veröffentlicht – voller mahnender Worte.

Von Rebekka Wiese

Er war der einzige Ministerpräsident, den seine Partei je gestellt hat – und ist bis heute eine ihrer wichtigsten Stimmen. Nun hat sich der Linken-Bundestagsabgeordnete und frühere Thüringer Landeschef Bodo Ramelow mit einem offenen Brief an seine Partei gewandt und ihren aktuellen Kurs kritisiert. In einem langen Text auf seiner persönlichen Website warnt er davor, zu einer „Bewegungslinken“ zu werden und sich damit selbst zu isolieren.

Ramelow schreibt, dass es zwar wichtig sei, Freude an der Arbeit in der Partei zu haben. „Aber wir wollen doch keine Spaßpartei werden“, betont er. „Wir wollen auch keine Elitenpartei sein. Wir wollen auch keine Partei der ‚besseren Menschen‘ werden, sondern eine Partei, die an der Verbesserung der Lebensumstände für alle Menschen arbeitet!“ Und der Linken-Politiker fragt sich: „Bin ich dabei, die Partei zu verlassen – oder verlässt meine Partei gerade mich?“

Überraschende Abwahl

Ramelows Worte richten sich insbesondere an seinen Landesverband. Dort wurden die bisherigen Vorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft gerade überraschend abgewählt. Schaft ist auch Fraktionsvorsitzender im Landtag – und laut der Satzung des Landesverbands müssen Amt und Mandat getrennt sein. Damit er den Vorsitz behalten kann, sollte diese Regelung auf einem Parteitag am Wochenende geändert werden. Doch die Delegierten entschieden sich dagegen – was Ramelow für falsch hält.

Es geht dem einstigen Ministerpräsidenten aber um viel mehr. Im Wesentlichen stellt Ramelow seine Partei vor die Richtungsfrage. Was will die Linke sein – eine Partei oder eine Bewegung? Anschlussfähig oder radikal? Pragmatisch oder kompromisslos? Ramelow selbst stand immer für einen pragmatischen Kurs. Er sieht sie nicht in der Opposition. Er hat ja selbst zehn Jahre als Ministerpräsident regiert.

Es ist kein Zufall, dass die Linke plötzlich vor den ganz großen Fragen steht. Die Partei hat sich in den vergangenen Monaten stark verändert. Nach der Ablösung des Bündnisses Sahra Wagenknecht sahen manche die Linke schon kurz vor ihrem Ende. Lange war es ungewiss, ob sie überhaupt wieder in den Bundestag einziehen würde. Doch dann erlebte sie einen plötzlichen Aufschwung. Bei der Bundestagswahl kam die Linke auf 8,8 Prozent der Stimmen, in Umfragen liegt sie inzwischen bei gut zehn Prozent.

Vor allem aber gab es einen krassen Mitgliederzuwachs: Seit Anfang des Jahres hat die Linke sich verdoppelt. Vor sechs Monaten gab die Partei ihre Mitgliederzahl noch mit 55 000 an, im Mai waren es 112 000. Unter den neuen Mitgliedern sind mehr Westdeutsche, sie sind auch jünger. Das stellt die Partei vor ganz grundlegende Identitätsfragen. Wer ist sie denn jetzt? Und wohin will sie?

Mehr Praxis statt Theorie

Ramelow, der bei der Bundestagswahl ein Direktmandat gewinnen konnte, mahnt seine Partei, sich nicht auf die Theorie zurückzuziehen, sondern stärker auf praktisches Handeln zu konzentrieren. Dazu verweist er auf den linken Soziologen und Politiker Dieter Strützel, der nach der Wende daran arbeitete, die PDS, die Vorgängerpartei der Linken, in Thüringen aufzubauen. „Sein Credo übersetze ich gerne mit den Worten ‚Mehr Pragmatismus wagen!‘“, schreibt Ramelow.

Der Bundestagsabgeordnete rät seiner Partei, neben linken Theoretikern wie Antonio Gramsci, Karl Marx und Rosa Luxemburg auch Strützel zu lesen. Aber vor allem plädiert er dafür „sich auch weiterhin mit kommunalem Verwaltungsrecht zu beschäftigen oder auch das Parlamentsrecht im Blick zu behalten.“ Er verteidigt die Regierungsarbeit seiner Partei in Thüringen. Auf dem Landesparteitag war beschlossen worden, die Fehler dieser Zeit aufzuarbeiten. „Fehler zu analysieren, das finde ich immer gut!“, schreibt Ramelow. „Aber kann es sein, dass jetzt mit dem Hinweis auf Fehler das Regieren an sich gemeint ist?“ Sein Appell ist deutlich. Er sorgt sich, dass seine Partei die Anschlussfähigkeit verliert. Es ist eine Debatte, die die Linke wohl lange begleiten wird.

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Erstellt:
19. Juni 2025, 15:30 Uhr

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