Lübcke-Prozess: Verteidiger plädieren auf Totschlag

dpa Frankfurt/Main. Der gewaltsame Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke - sollte er „nur“ als Totschlag bewertet werden? Das jedenfalls fordert der Verteidiger von Stephan Ernst in seinem Schlussplädoyer. Und auch der wegen Beihilfe angeklagte Markus H. steht im Fokus.

Die Vorwürfe gegen Stephan Ernst sind schwer, die Anklage fordert die Höchststrafe für den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Hier neben seinem Verteidiger Mustafa Kaplan. Foto: Boris Roessler/dpa-Pool/dpa

Die Vorwürfe gegen Stephan Ernst sind schwer, die Anklage fordert die Höchststrafe für den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Hier neben seinem Verteidiger Mustafa Kaplan. Foto: Boris Roessler/dpa-Pool/dpa

Im Prozess um den gewaltsamen Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst eine Verurteilung wegen Totschlags gefordert - und nicht wegen Mordes.

Das Strafmaß solle „verhältnismäßig, aber auch annehmbar sein“, sagte der Rechtsanwalt Mustafa Kaplan in seinem Schlussvortrag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt.

Die Anklage wirft Ernst vor, den CDU-Politiker Lübcke im Juni 2019 auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen zu haben. Kaplan widersprach dem Vorwurf, es habe sich dabei um Mord gehandelt, mit den Merkmalen von Heimtücke und niedrigen Beweggründen. Denn der Schuss sei nicht aus dem Hinterhalt gekommen: „Die Tat sollte nicht anonym begangen werden, Herr Lübcke sollte sie sehen“, sagte der Verteidiger.

Die Bundesanwaltschaft hat eine Verurteilung des 47-jährigen Deutschen zu lebenslanger Haft wegen Mordes gefordert, mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung - die höchste im deutschen Strafrecht mögliche Bestrafung. Sie geht von einem rechtsextremistischen Motiv aus.

Der Verteidiger sagte zum Motiv: „Die Tötung von Herrn Lübcke war für Herrn Ernst ein politisches Ziel.“ Ernst habe sich privat und beruflich in einem Umfeld bewegt, in dem Hass auf Flüchtlinge und Ausländer „normal“ gewesen sei; der Hass auf Ausländer sei das einzige verbindende Element in der Beziehung zu seinem alkoholkranken und gewalttätigen Vater gewesen.

Sollte sich der Staatsschutzsenat dennoch für eine Verurteilung wegen Mordes entscheiden, beantragte der Verteidiger, keine besondere Schwere der Schuld festzustellen. Die Tatsache, dass Lübcke als Regierungspräsident ein Repräsentant des Staates gewesen sei, begründe keine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, auch die dazu nötigen Merkmale träfen nicht zu - auch wenn Lübcke „selbstverständlich ein besonderer Mensch für seine Familie und für seine Freunde“ gewesen sei.

Immer wieder kam Kaplan auf die Rolle des wegen Beihilfe angeklagten Markus H. zu sprechen, ein früherer Arbeitskollege und Freund von Stephan Ernst. „Ich persönlich glaube meinem Mandanten voll und ganz, dass er zusammen mit H. die Tötung von Herrn Lübcke geplant und ausgeführt hat“, sagte der Anwalt. In diesem Punkt zeigte er sich eins mit dem Anwalt der Witwe und der beiden Söhne Lübckes, die in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten: H. sei als Mittäter zu verurteilen, auch wenn es keine DNA-Spuren oder sonstige Beweise für seine Anwesenheit am Tatort gebe, nur die Aussage Ernsts.

Doch DNA-Spuren oder ein Geständnis gebe es bei wegen Mittäterschaft Angeklagten „nur in seltenen Fällen“. Auch im Münchner NSU-Prozess sei das im Fall der wegen zehnfacher Mittäterschaft angeklagten Beate Zschäpe nicht anders gewesen, betonte der Kölner Anwalt, der im NSU-Prozess Nebenklagevertreter gewesen war.

Weder Ernst noch seine Verteidiger hätten ein persönliches Interesse daran, ob H. verurteilt oder freigesprochen werde, versicherte Kaplan, während sich H. an seinem Platz Notizen zu dem Schlussvortrag machte. Für Ernst wäre es am einfachsten gewesen, einfach die Aussagen aus seinem Geständnis vor der Polizei im Juni 2019 zu wiederholen, in dem er sich als Einzeltäter bezeichnet hatte. „Es wäre aber nicht wahr gewesen.“

Ein zweites Geständnis, das den Tod als Unfall mit der Tatwaffe in der Hand von H. geschildert hatte, sei nichts als ein „Schmierentheater“ unter der Regie von Ernsts entlassenen Ex-Verteidiger gewesen, sagte Kaplan. Wahr sei hingegen die Einlassung vor Gericht, nachdem auch H. am Tatort war.

Kaplan rief das Gericht auf, das unterschiedliche Verhalten der beiden Angeklagten zu berücksichtigen: „Der eine lässt sich ein und zeigt Reue, der andere schweigt und grinst.“ Ernst sei klar, dass sich in der gewaltbereiten rechtsextremen Szene herumgesprochen habe, dass er Aussagen gemacht habe und dort als „Verräter“ gelte. Sollte sein Verhalten bei der Urteilsfindung unberücksichtigt bleiben, könne dies eine „fatale Wirkung“ auf andere Verfahren haben, in denen Beschuldigte überlegen würden, zum extremistischen Umfeld auszusagen und zur Aufklärung beizutragen.

Und die Wahrheit, die sei Ernst der Familie Lübcke schuldig, der er Verhandlungstag für Verhandlungstag gegenübersitze und der er versprochen habe, die Wahrheit über die letzten Momente im Leben von Walter Lübcke zu sagen. Ein Versprechen, das nicht nur für die Dauer des Verfahrens gelte, versicherte Kaplan: „Die Zusage von Herrn Ernst gilt für den Rest seines Lebens.“

Ernst saß währenddessen wie so oft reglos und mit leicht gesenktem Kopf auf seinem Stuhl, die Hände im Schoß verschränkt, das Gesicht ohne äußere Regung.

Am Ende seines Plädoyers erinnerte Kaplan noch einmal an die Worte des Vorsitzenden Richters Thomas Sagebiel, ein von Reue getragenes Geständnis könne die beste, vielleicht sogar die einzige Chance eines Angeklagten sein. Ernst habe das mit seiner tagelangen Einlassung getan. „Alles, was er machen konnte, hat er gemacht, mehr geht nicht.“ Er hoffe daher, dass sich die Richter „bei Ihren Beratungen an Ihre eigenen Worte erinnern.“

© dpa-infocom, dpa:210121-99-119630/2

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Erstellt:
21. Januar 2021, 16:26 Uhr

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