„Marathonlauf“ für Strukturwandel in Kohleregionen gestartet

dpa Berlin. Am Geld soll es nicht scheitern. Rund 40 Milliarden soll der Strukturwandel in den Kohleregionen im Westen und Osten kosten. Doch gelingt der Umbau?

Tagebau Vereinigtes Schleenhain im Leipziger Braunkohlerevier. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Tagebau Vereinigtes Schleenhain im Leipziger Braunkohlerevier. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Der milliardenschwere Strukturwandel in den Kohleregionen soll bald mit ersten Projekten beginnen. Hauptziel ist es, neue und zukunftsfähige Jobs zu schaffen, damit die Regionen wirtschaftlich nicht zurückfallen, wenn Deutschland bis spätestes 2038 aus der Kohle-Verstromung aussteigt.

Der Bund und die vier Kohle-Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen unterzeichneten am Donnerstag in Berlin eine Vereinbarung, die dafür sorgt, dass ab sofort Gelder fließen können. Der Bund will rund 40 Milliarden Euro in die Braunkohle-Regionen stecken.

Ein Koordinierungsgremium aus Bund und Ländern legte in seiner konstituierenden Sitzung die Finanzierung konkreter Projekte fest, die 2020 und 2021 in den Kohleregionen starten sollen. Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum sprach mit Blick auf den Strukturwandel von einem Marathonlauf.

Die Chefin der Brandenburger Staatskanzlei, Kathrin Schneider, sagte, die Menschen in der Lausitz hätten darauf gewartet, dass nun der Hebel umgelegt werde. Nun gehe es an die Arbeit, um die „vielen guten Projektideen“ anzugehen, darunter der Ausbau des Bahnwerks Cottbus oder die ICE-Verbindung Berlin-Cottbus-Görlitz.

Ihr nordrhein-westfälischer Kollege Nathanael Liminski sagte, 2038 sei noch lange hin. Mit Blick auf neue Arbeitsplätze aber sei „quasi morgen“, deswegen solle nun Tempo gemacht werden. Im Rheinland geht bis Jahresende der erste Braunkohle-Kraftwerksblock vom Netz, die Stilllegungen weiterer Blöcke finden bis 2025 laut Gesetz alle in NRW statt.

Sowohl den Ausstieg aus der Produktion von Kohlestrom als auch die Hilfen für den Strukturwandel hatte in Grundzügen eine breit besetzte Kommission aus Politik, Wirtschaft, Klimaschützern und Wissenschaft vorgezeichnet. Sie hatte ihren Bericht Anfang 2019 vorgelegt. Eigentlich wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen für die Kohleverstromung. Vor der Sommerpause hatten Bundestag und Bundesrat die Gesetze für den Kohleausstieg bis 2038 verabschiedet.

Aus Sicht von Umwelt- und Klimaschützern kommt der Ausstieg viel zu spät. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer kritisierte am Donnerstag außerdem, bisher gebe es nur „Potemkinsche Dörfer“ beim Strukturwandel. „Nicht nur den Menschen in den Bergbauregionen - ob Kritiker des Bergbaus oder Kohlekumpel - ist völlig unklar, ob und was vor Ort ankommen wird.“ Der Linke-Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin forderte, Strukturprojekte an Klimavorgaben zu knüpfen.

Die Kohleregionen haben teils schon einen dramatischen Strukturwandel mit harten Brüchen hinter sich. Gegen die geplante Schließung von Kohlekraftwerken und Tagebauen, die in Westdeutschland beginnen soll, gab es viele Proteste. Noch hängen Tausende Jobs im Rheinischen Revier, in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier an der Braunkohle. Von Beginn an war es ein Anliegen der Politik in Bund und Ländern, deutlich zu machen, dass es diesmal besser laufen soll.

Der sächsische Minister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt, sprach am Donnerstag von einem historischen Projekt. Die Chancen seien riesengroß, die Mühen aber auch. Das Ministerium hatte bereits am Mittwoch eine Auswahl von Projekten vorgestellt, die dem Freistaat besonders wichtig sind. In erster Linie geht es dabei um Vorhaben, die die Anbindung der Region erleichtern, etwa die Elektrifizierung und der Ausbau der Strecke von Leipzig über Bad Lausick und Geithain bis nach Chemnitz. Auch mehrere Straßenbau-Projekte gehören dazu.

Der Bund will in den Braunkohlegebieten Institutionen ansiedeln und dafür kräftig bauen. Im Revier um Leipzig sollen ein Umwelt- und Naturschutzdatenzentrum sowie eine Monitoringzentrum zur Artenvielfalt entstehen. Im Mitteldeutschen und im Lausitzer Revier soll je ein Helmholtz-Forschungszentrum gegründet werden. Im Süden Sachsen-Anhalts ist unter anderem ein Zentrum für Bioökonomie in Leuna im Saalekreis geplant.

Zu den vorrangigen Projekten in Brandenburg gehört auch ein DLR-Institut für CO2-freie Industrieprozesse und die Medizinerausbildung in Cottbus. Der Brandenburger Landtag hatte am Mittwoch für die Einsetzung eines Sonderausschusses zur Strukturentwicklung in der Region gestimmt. Zuvor hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in seiner Regierungserklärung den Ausstieg aus der Kohle als große Chance für die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft bezeichnet.

© dpa-infocom, dpa:200827-99-323596/4

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Erstellt:
27. August 2020, 16:34 Uhr

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