Meldepflicht schwerbehinderter Menschen: Die Quote zu erfüllen wird schwieriger

Heute endet die Meldepflicht von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen. Betriebe und Verwaltungen mit mindestens 20 Angestellten müssen eine Ausgleichsabgabe zahlen, wenn sie nicht fünf Prozent oder mehr ihrer Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzen.

Jörg Ulver und Verena Dellmuth von der Stadt Backnang an einem höhenverstellbaren Schreibtisch. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Jörg Ulver und Verena Dellmuth von der Stadt Backnang an einem höhenverstellbaren Schreibtisch. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Dass Verena Dellmuth schwerbehindert ist, sieht man ihr nicht an. Die 47-jährige Bürokauffrau arbeitet als Sachbearbeiterin in der Personalstelle der Stadt Backnang. Und das, obwohl sie eine Autoimmunkrankheit hat, die Lunge und Herz angreift. Verena Dellmuth hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 (siehe Infotext). Doch ohne die Schwerbehinderung, sagt sie, hätte sie ihren aktuellen Arbeitsplatz vermutlich gar nicht.

Laut Gesetz müssen Betriebe und Verwaltungen mit mehr als 20 Beschäftigten mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Abgabe leisten. Diese kommt der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen zugute. Die Meldepflicht endet heute.

Die Verwaltung der Stadt Backnang erfüllt nach eigenen Angaben diese Quote. „Die Stadt setzt bereits seit Jahrzehnten die individuelle Förderung für Arbeitsplätze für beeinträchtigte Personen um“, teilt Pressesprecher Christian Nathan mit. Momentan seien etwa 20 Personen mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr beschäftigt. „Hinzu kommen noch die Mitarbeiter mit einem geringeren GdB oder einem Beschäftigungsumfang von weniger als 50 Prozent, die bei uns jedoch nicht erfasst sind.“

Zudem gebe es in der Verwaltung einen Schwerbehindertenvertreter, der zum Beispiel bei den Vorstellungsgesprächen von Personen mit einer Behinderung anwesend ist. „Darüber hinaus wird vor dem Start in den Job geklärt, welche Unterstützungen benötigt werden, um einen schnellen und reibungslosen Start zu gewährleisten“, so Nathan. Dazu gehören etwa höhenverstellbare Schreibtische (bei Rückenbeschwerden), Parkplätze direkt am Haus (etwa bei einer eingeschränkten Mobilität) oder auch eine spezielle Vergrößerungssoftware für den PC-Bildschirm (bei Sehbehinderungen).

„Wegen des Fachkräftemangels ist es schwieriger geworden, Bewerber zu bekommen.“

Ähnlich sieht es beim Landratsamt Rems-Murr aus. Auch dort werden Arbeitsplätze angepasst, es gibt eine Schwerbehindertenvertretung. 2022 hatten insgesamt 5,63 Prozent der Beschäftigten der Kreisverwaltung eine Schwerbehinderung. „Auch für die Zukunft denken wir das Thema aktiv mit und sind stetig dabei, unsere Prozesse weiterzuentwickeln und insbesondere auch das Thema inklusiver Arbeitsplätze mitzudenken“, so Kreissprecherin Melanie Barth.

Bevor sie zur Stadtverwaltung kam, war Verena Dellmuth als Erzieherin tätig. Kein geeigneter Beruf bei ihrer Erkrankung. „Ich war damals ständig krank“, erinnert sie sich. Die cortisonhaltigen Medikamente, die sie nehmen musste, hoben den Immunschutz auf. Die häufigen Erkältungen wiederum wirkten sich negativ auf ihre Gesundheit aus. „Es war ein Teufelskreis“, fasst Verena Dellmuth zusammen. „Es wäre wohl nicht mehr lange gegangen, bis ich ein Sauerstoffgerät gebraucht hätte.“ Ihr alter Arbeitgeber, sagt sie, hätte keine Chance dafür gesehen, sie weiter zu beschäftigen. Mittlerweile geht es ihr gesundheitlich viel besser. „Ich bin viel leistungsfähiger als vor 20 Jahren“, sagt sie. „Mit 27 Jahren hatte ich die Leistungskurve einer 80-Jährigen.“

Der Grund für die Verbesserung war vor allem ihr Berufswechsel. Über die Rentenversicherung nahm Verena Dellmuth an eine zweijährigen Umschulung teil. Im zweiten Jahr absolvierte sie ein Praktikum im Rechnungsprüfungsamt der Stadt Backnang. 2011 wurde sie als Sachbearbeiterin für Wohngeld bei der Kämmerei angestellt, 2020 wechselte sie zur Personalstelle.

Was ihr Werdegang deutlich zeigt: Eine Schwerbehinderung muss kein Grund dafür sein, dass eine Person nicht mehr arbeiten kann. „Im Gegenteil“, so Verena Dellmuth, „aufgrund meiner Geschichte bin ich sehr dankbar für meinen Beruf. Wenn ich einmal mit Kopfschmerzen aufwache, überlege ich mir zweimal, ob ich deshalb wirklich zu Hause bleiben muss.“

Für die Arbeitgeber wiederum ist es nicht einfach, die Quote zu erfüllen. „Wegen des Fachkräftemangels ist es generell schwierig geworden, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu bekommen – ganz unabhängig von einer Behinderung“, erklärt Jörg Ulver, Leiter der Personalstelle in Backnang.

Die Quote ist bei privaten Arbeitgebern niedriger als bei den öffentlichen

Wie es mit der Besetzung von Arbeitsplätzen mit schwerbehinderten Menschen im Landkreis aussieht, erhebt die Waiblingen Arbeitsagentur regelmäßig. Die jüngsten Daten stammen aus dem Jahr 2020. Daraus geht hervor, dass die Quote bei den privaten Arbeitgebern (3,6) spürbar niedriger ist als bei den öffentlichen (4,3). Die Arbeitsagentur selbst lag im 2022 mit 5,4 Prozent darüber. „Wir sind immer an Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen interessiert und fördern einen barrierefreien Arbeitsalltag“, sagt Pressesprecherin Yvonne Kemoé.

Die Backnanger Firma Tesat beschäftigt derzeit sechs Prozent Schwerbehinderte. „Die Pflichtquote wurde bisher immer erfüllt“, teilt Sprecherin Victoria-Louisa Kirstein mit. Das Unternehmen spüre aber ebenfalls den Fachkräftemangel. „Aus dem Grund hegen wir selbstverständlich großes Interesse an Bewerbern mit Behinderungen, die eine entsprechende Ausbildung oder Qualifikation vorweisen können.“

Keine Aussage zur Erfüllung der Quote hat die Allmersbacher Firma Harro Höfliger unserer Zeitung erteilt. „Selbstverständlich gehören schwerbehinderte Menschen zu unseren Beschäftigten und diese sind gut in ihr Arbeitsumfeld und in den Kollegenkreis integriert“, informiert Personalleiter Uwe Amann nur kurz. Ein weiteres Unternehmen aus der Umgebung möchte bloß ohne Namensnennung Auskunft geben. Die Firma liege an der Schwelle zur Quote. In den vergangenen Jahren sei es vonseiten des Gesetzgebers immer schwieriger geworden, die Vorgaben zu erfüllen, so der Personalleiter. Immer seltener werde ein Behinderungsgrad von 50 oder mehr ausgewiesen.

Dass es die Meldepflicht mit Quote gibt, hält Verena Dellmuth für sehr wichtig. „Durch die Meldepflicht weckt der Schwerbehindertenausweis vielleicht mehr Interesse, statt abschreckend zu wirken“, sagt sie. Sie selbst habe in der freien Wirtschaft vor ihrer Anstellung bei der Stadt Backnang mehrfach sofort eine Absage bekommen, „obwohl eine fachliche Eignung da war“.

Für jeden nicht besetzten Pflichtplatz wird eine Ausgleichsabgabe fällig

Einordnung Einen groben Anhaltspunkt, wie hoch der Grad der Behinderung bei welchen Krankheiten ist, liefert die so genannte GdS-Tabelle. Die Abkürzung GdS steht für „Grad der Schädigungsfolgen“. Als schwerbehindert gelten demnach Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 oder mehr.

Beschäftigungspflicht Betriebe und Verwaltungen mit 20 und mehr Beschäftigten sind dazu verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie für jeden nicht besetzten Pflichtplatz eine Abgabe ans zuständige Integrationsamt zahlen.

Abgabe Die Ausgleichsabgabe wird nicht pauschal erhoben, sondern gestaffelt. Für jeden
unbesetzten Pflichtarbeitsplatz sind bei einer Beschäftigungsquote von drei bis fünf Prozent 140 Euro pro Monat fällig. Bei zwei bis unter drei Prozent sind es 245 Euro, bei unter zwei Prozent 360 Euro monatlich.

Meldepflicht Die Meldung, wie viele Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Personen besetzt sind, musste fristgerecht bis heute eingehen. Ist eine Anzeige unvollständig, falsch ausgefüllt oder geht sie verspätet ein, gilt das als Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.

Informationen Fragen rund um das Anzeigeverfahren beantwortet die Agentur für Arbeit Waiblingen wochentags von 9.30 bis 11.30 Uhr unter der Rufnummer 07161/9770333. Mehr Infos findet man im Internet unter https://t1p.de/t9vcc.

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Erstellt:
31. März 2023, 06:00 Uhr

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