Nachjustierung beim sozialen Wohnungsbau löst heftige Debatte im Backnanger Gemeinderat aus

Der Backnanger Gemeinderat verschärft die Regelungen zum sozialen Wohnungsbau. Künftig fließen auch die Flächen der Dachgeschosse in die Berechnung ein. Die Fraktion des Bürgerforums stimmt geschlossen gegen die Änderung. OB Friedrich spricht von einer Erfolgsgeschichte.

Am Dresdener Ring baut die Bau-Geno Backnang derzeit 50 neue Wohnungen, davon erfüllen elf die Kriterien für bezahlbaren Wohnraum. Mit diesen elf Wohnungen ist die von der Stadt geforderte Quote in diesem Fall sogar übererfüllt. Foto: Alexander Becher

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Am Dresdener Ring baut die Bau-Geno Backnang derzeit 50 neue Wohnungen, davon erfüllen elf die Kriterien für bezahlbaren Wohnraum. Mit diesen elf Wohnungen ist die von der Stadt geforderte Quote in diesem Fall sogar übererfüllt. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Der Grundsatzbeschluss zur Schaffung von neuem Wohnraum ist noch keine zwei Jahre alt und schon steht die erste Nachjustierung an. Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung bei drei Gegenstimmen der BfB-Fraktion beschlossen, dass künftig auch die Flächen von Dachgeschosswohnungen in die Berechnung der Gesamtfläche einfließen. Das hat zur Konsequenz, dass Bauträger bei großen Projekten noch mehr sogenannte bezahlbare Wohnungen bauen müssen. Also solche Wohnungen, bei denen die Miete 33 Prozent unter dem Mietspiegel liegt. Oberbürgermeister Maximilian verteidigte die Verschärfung in seinen einleitenden Worten. Es handle sich um keine große Änderung, sondern die Konkretisierung des Konzepts habe lediglich eine rechtliche Lücke geschlossen. Er erinnerte daran, dass im Gremium immer Einigkeit herrschte über das Ziel, nämlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Friedrich: „Wie immer beim Versuch, komplexe Fragen möglichst einfach und allgemeingültig zu lösen, steckt der Teufel im Detail. Die Verwaltung hat deshalb vorausschauend im Beschluss festgelegt, dass die praktische Anwendung der von ihnen beschlossenen Regelungen fortlaufend überprüft und gegebenenfalls angepasst werden muss.“ Genau das hatte die Verwaltung nun getan und so laut Friedrich „mehr Gerechtigkeit hergestellt“.

Unabhängig von der Änderung zeigte sich der OB überzeugt davon, dass sich das Konzept schon jetzt bewährt habe. Am Dresdener Ring, in der Oberen Walke und auf dem Gockenbachareal konnte bis jetzt laut Friedrich der Bau von etwa 110 dringend benötigten Wohnungen vertraglich gesichert werden. Und weitere Projekte stehen an. Das Konzept sei eine Erfolgsgeschichte. Und mit der jetzigen Änderung wolle man nur sicherstellen, „dass diese Erfolgsgeschichte auch künftig fortgeschrieben werden kann“.

Ein positives Lehrstück für eine demokratische Auseinandersetzung

Das gesamte Gremium mit Ausnahme der BfB-Fraktion trug den Beschluss mit. Unter anderem deshalb, weil er erst nach einem harten Ringen zustande gekommen ist. So erinnerte Willy Härtner (Grüne) an eine frühere Sitzung: „Ich glaube, ich habe bisher keine so aufgewühlte Gemeinderatssitzung erlebt, in der wir uns so heftig miteinander ausgesetzt haben, da hat’s gefunkt.“ Gleichzeitig würdigte er den erreichten Kompromiss. Härtner: „Es war wichtig, dass wir diese Sozialquote festgelegt haben. Das ist ein Meilenstein für die Entwicklung unserer Stadt.“ Auch Heinz Franke (SPD) sah dies so: „Die Quote war ein lang gehegtes Ansinnen von uns. Und die kontroverse Diskussion bis zur Verabschiedung war ein positives Lehrstück für eine demokratische Auseinandersetzung.“ Die SPD-Fraktion sei dankbar, dass das Konzept umgesetzt werden konnte. Franke: „Zwar wurden manche Wohnungen etwas teurer. Aber man darf nicht vergessen, dass dadurch 110 Wohnungen geschaffen werden konnten, für Mieter, die sich keine frei finanzierte Wohnung hätten leisten können.“

Charlotte Klinghoffer (BfB) kritisierte die Verschärfung, wonach nicht nur wie bisher die Vollgeschosse in die Berechnung einfließen, sondern künftig auch noch das Dachgeschoss. „Der Anstieg der Wohnfläche und die dadurch gestiegene Verpflichtung, noch mehr Sozialwohnungen zu bauen, bedeutet, dass die freien Wohnungen, die auf dem Markt zu haben sind, immer noch teurer werden. Und das unabhängig davon, dass die Preise aus anderen Gründen sowieso stark steigen.“ Ihr Fazit: „Am Ende trifft dies die Mittelschicht; Familien, die sich ein Häuschen nicht mehr leisten können, die sich eine Wohnung nicht kaufen wollten und jetzt auch nicht mehr kaufen können. Deshalb können wir als Fraktion das so nicht mittragen.“ Und Fraktionskollege Jörg Bauer schimpfte: „Die Leute, die sich noch eine kleine Wohnung leisten können, die werden bestraft, weil sie die geförderten Wohnungen innerhalb eines Projekts mitfinanzieren müssen.“ Er kritisierte zudem die 25-jährige Mietpreisbindung. Doch Erster Bürgermeister Siegfried Janocha korrigierte das irrige Verständnis: „Die Preisbindung bedeutet nicht, dass die Miete nie angehoben werden darf. Sie bedeutet nur, dass sie sich am Mietspiegel orientiert, und der wird regelmäßig angepasst.“ So zum Beispiel zuletzt um eine Erhöhung von 6,8 Prozent. Zudem endet die Bindung nach 25 Jahren, der Investor ist dann völlig frei.

Trotzdem unkte Bauer: „Das führt in Zukunft dazu, dass die Bauträger keine Lust mehr haben und nicht mehr bauen und die Investoren abspringen, weil es sich nicht mehr rechnet.“ In der Konsequenz könnte der Wohnungsbau zusammenbrechen, „das sieht man derzeit in Berlin und in großen Städten“. An Friedrich gewandt sagte Bauer: „Da kann man nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Da werden Menschen, die arbeiten und Geld verdienen, nochmals ausgebremst.“ Ein Vorwurf, den Friedrich mit einem Auszug aus dem Grundgesetz konterte: Dort heißt es im Artikel 14 Absatz 2: Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. „Unser Vorgehen ist also durchaus legitimiert.“ Die Stadträte reagierten mit Applaus auf diesen Verweis aufs Grundgesetz.

Die Regelung gilt ohnehin erst ab einer Geschossfläche von 1200 Quadratmetern

Akzeptanz Der Backnanger Stadtbaudezernent Stefan Setzer rückte die Bedeutung der Sozialquote ins richtige Licht. Er sagte: „Nicht dass der Eindruck entsteht, wir hätten hier ein Folterinstrument für die Bauträger entwickelt.“ Vielmehr gelte Folgendes:

Diese Sozialquote kommt nur bei neu geschaffenem Planungsrecht als Steuerungselement zur Anwendung. Alle bestehenden Bebauungspläne sind davon nicht berührt.

Die Regelung gilt ohnehin erst ab einer neu gebauten Geschossfläche von 1200 Quadratmetern. Kleinere Projekte sind nicht betroffen.

Setzer relativierte auch die Höhe der Quote: „Alle Bauträger in den von Jörg Bauer zitierten Metropolen haben mit unserem Modell überhaupt keinen Schmerz. So werden in Stuttgart zum Beispiel 50 Prozent verlangt. In München wird zudem noch ein Infrastrukturbeitrag gefordert.“ Backnang habe mit seiner Regelung noch kein einziges Projekt abgewürgt.

Projekte Von den 110 geplanten Wohnungen mit reduzierten Mieten entstehen die meisten in der Oberen Walke. Künftige Projekte sind geplant in der Schöntaler Straße und im IBA-Areal. So kommt Backnang auf bis zu 200 Wohnungen nach der Sozialquote, die auch ganz dringend gebraucht werden.

Förderung Die Verpflichtung zur Sozialquote hat für die Bauträger laut Kämmerer Alexander Zipf auch Vorteile. So erhalten die Bauträger Zuschüsse nach dem Landeswohnraumfördergesetz. Diese Zuschüsse wurden vor Kurzem erst wegen der allgemeinen Kostensteigerung erhöht. Aufgrund dieser Förderung sei es nicht so, dass die Eigentümer künftig 33 Prozent weniger Miete einnehmen würden. Vielmehr könnten die Förderungen etwa 80 Prozent dieser Einbußen ausgleichen.

Städtische Wohnbau Mehrere Stadträte wie etwa Sabine Kutteroff, Gerhard Ketterer (beide CDU) oder Heinz Franke appellierten, parallel zur Sozialquote auch die Städtische Wohnbau GmbH so zu stärken, dass sie den Bau von bezahlbarem Wohnraum noch stärker übernehmen kann. Kutteroff: „Es muss die Aufgabe des Staates sein, diese Wohnungen zu bauen und zu finanzieren.“

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Erstellt:
13. Juni 2022, 06:00 Uhr

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