Wenn der Mensch eine Epoche prägt: „Anthropozän“-Ausstellung

dpa/lsw Stuttgart. Wir leben im Erdzeitalter des Menschen. Deshalb muss ein neuer Name für das Zeitalter her, dachten sich Forscher. Und nennen die Phase seither das „Anthropozän“. Unter diesem Titel zeigt eine neue Ausstellung, welche Spuren der Mensch auf dem Planeten hinterlässt.

Fast acht Milliarden Menschen gibt es auf der Welt und es werden Tag für Tag mehr. Dennoch ist ihr Anteil an der Biomasse auf dem Planeten verglichen mit den Pflanzen geradezu mickrig. Die Spuren allerdings, die der Mensch seit Jahrzehnten auf der Erde hinterlässt, sind gewaltig. Kein Winkel der Erde bleibt von seinen Eingriffen ins Erdsystem verschont, sie verändern den Planeten unumkehrbar. Und sie sind so beispiellos, dass Forscher ein neues Erdzeitalter ausgerufen haben. Als „Anthropozän“, also als Menschen-Zeitalter, soll die Phase bekannt werden, in der die Menschen den Planeten geprägt und verändert haben.

Wie sie selbst zur Naturgewalt geworden sind, will eine neue Ausstellung im Stuttgarter Naturkundemuseum in den kommenden Monaten zeigen. Unter dem Titel „Anthropozän - Zeitalter? Zeitenwende? Zukunft?“ versucht sie den Einfluss des Menschen auf Flora und Fauna, auf Erde, Wasser und Luft zu veranschaulichen. Mit Filmen und Diagrammen, kleinen Spielen und vergleichsweise viel Text schlägt die Große Landesausstellung den komplizierten Bogen von dem, was der Mensch bislang angerichtet hat, zu dem, was er noch auszurichten imstande ist.

„Wir dürfen den Menschen nicht nur als die einzige Bedrohung des Planeten sehen, sondern auch als seine einzige Rettung“, sagt Lars Krogmann, der Interimsdirektor des Naturkundemuseums. In den Räumen seines Hauses wird er täglich Zeuge dieser Bedrohung: „In unseren Forschungssammlungen, den Archiven des Lebens, sind Rückgang und Aussterben verschiedenster Arten über die Zeit hinweg dokumentiert“, sagt er. Die Ausstellung solle aber auch für Zukunftsthemen sensibilisieren und Perspektiven aufzeigen.

„Das ist eine wichtige Ausstellung zur richtigen Zeit“, sagte Kunststaatssekretärin Petra Olschowski (Grüne) am Dienstag vor Eröffnung der Schau. „Eine Ausstellung, die Menschen mitnimmt und zum Mitdenken bringt. Das sind Impulse, die wir dringend brauchen.“

Zugegeben, das Thema ist schwer zu greifen, der Anspruch des Museums ist gewaltig. Das Insektensterben und den Klimawandel will die Ausstellung ebenso anreißen wie den Lichtschmutz, die Zerstörung der Ökosysteme und die Versauerung der Ozeane, Plastikmüll und Lösungsansätze wie Mehlwürmer zum Zersetzen von Müll oder mögliche moderne Fossilien in Stuttgart. Das Ergebnis dieses Bemühens ist eine komplexe, teils auch komplizierte, aber in Teilen auch spannende Ausstellung. Eine Schau auch, für die man sich Zeit nehmen sollte und den Willen haben muss, sich einem unangenehmen Thema zu stellen. „Denn die Menschen, das sind wir alle“, sagt Härtl. „Und jeder einzelne von uns kann etwas dazu beitragen, dass wir die Probleme lösen.“

Zu den Veränderungen durch den Menschen zählen Ausstellung und Forschung neben dem Klimawandel die großräumigen Veränderungen der Kreisläufe etwa von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, die Verbreitung von Plastik, Aluminium, Beton-Partikeln, Flugasche und radioaktivem Fallout sowie der beispiellose globale Rückgang von Tier- und Pflanzenarten. „Viele dieser Veränderungen sind geologisch dauerhaft und manche sind praktisch unumkehrbar“, schrieb 2016 bereits die Arbeitsgruppe, die zur Prüfung des Terminus „Anthropozän“ eingesetzt worden war. Sie hatte als Beginn des Zeitalters die Mitte des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen. Ein wichtiges Datum sei der erste Atombombentest am 16. Juli 1945, dessen Folgen sich auf der Erdoberfläche weltweit nachweisen lassen.

Geprägt wurde der Begriff im Jahr 2000 von dem US-Biologen Eugene Stoermer und dem niederländischen Meteorologen und Nobelpreisträger Paul Crutzen, dem früheren Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Seitdem wird das Wort ständig verwendet, aber nicht als offizielle Epoche. Derzeit lebt die Menschheit im Holozän, das vor knapp 12,000 Jahren nach dem Ende der letzten Eiszeit begann.

Die Stuttgarter Ausstellung wird finanziert vom Land Baden-Württemberg und gefördert durch die Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg und die Baden-Württemberg Stiftung.

© dpa-infocom, dpa:211011-99-561063/6

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Erstellt:
12. Oktober 2021, 02:56 Uhr

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