Neuer Chef der Rems-Murr-Kliniken vor schwierigen Aufgaben

Der künftige Geschäftsführer der Kliniken in Winnenden und Schorndorf kommt aus den eigenen Reihen: André Mertel ist bereits seit 2015 im Management tätig. Er soll das wieder steigende Defizit reduzieren, ohne sich Chefärzte und Belegschaft zum Feind zu machen.

Die lächelnden Gesichter täuschen: Auf den neuen Klinikchef André Mertel (Mitte) warten große Herausforderungen. Landrat Richard Sigel (links) und die Chefärzte Christoph Ulmer (Zweiter von links) und Hans-Joachim Strittmatter (rechts) wollen ihn dabei unterstützen. Marc Nickel (Zweiter von rechts) freut sich derweil auf mehr Zeit mit seiner Familie. Foto: Rems-Murr-Kliniken

Die lächelnden Gesichter täuschen: Auf den neuen Klinikchef André Mertel (Mitte) warten große Herausforderungen. Landrat Richard Sigel (links) und die Chefärzte Christoph Ulmer (Zweiter von links) und Hans-Joachim Strittmatter (rechts) wollen ihn dabei unterstützen. Marc Nickel (Zweiter von rechts) freut sich derweil auf mehr Zeit mit seiner Familie. Foto: Rems-Murr-Kliniken

Von Kornelius Fritz

Rems-Murr. Dass es zwischen Geschäftsführer Marc Nickel und den Chefärzten der Rems-Murr-Kliniken nicht immer harmonisch zuging, ist kein Geheimnis. Zuletzt waren die Gräben offenbar so tief, dass Nickel nach sieben Jahren um seine Ablösung bat (wir berichteten). Beim Pressegespräch saßen die Streithähne gestern allerdings wieder friedlich nebeneinander und gaben ihr Bestes, um die Wogen zu glätten.

„In welcher Familie gibt es keinen Streit?“, fragte Christoph Ulmer, ärztlicher Direktor am Standort Schorndorf, rhetorisch. Und Marc Nickel betonte, sowohl ihm als auch den Chefärzten sei es immer nur um die Sache gegangen, nämlich um die Zukunft der Rems-Murr-Kliniken. Was letztlich zur Trennung von dem wirtschaftlich durchaus erfolgreichen Klinikchef geführt hat, klingt allenfalls zwischen den Zeilen durch. Etwa, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende, Landrat Richard Sigel, erklärt, für die anstehenden Aufgaben am Klinikum brauche es „viel Empathie, Austausch und Dialog“. Eigenschaften, die offenbar nicht zu Nickels Kernkompetenzen zählten.

Deshalb freut sich der scheidende Klinikchef nun auf mehr Zeit mit seiner Frau und der dreijährigen Tochter, die er zuletzt nur an den Wochenenden gesehen hatte, weil sie in München leben. Dort wird künftig auch Marc Nickel wieder arbeiten, übrigens ohne seinen Arbeitgeber zu wechseln. Der 47-Jährige wird weiterhin für die auf Krankenhäuser spezialisierte Beratungsfirma Oberender tätig sein, die ihn vor sieben Jahren als externen Manager nach Winnenden geschickt hatte.

Landrat fordert finanzielle Unterstützung von Bund und Land

Auch der neue Klinikchef André Mertel ist Angestellter von Oberender, denn der Managementvertrag mit dem bayerischen Unternehmen läuft noch bis Ende 2023. Ob er darüber hinaus verlängert wird oder ob der Landkreis das Management seiner beiden Krankenhäuser künftig womöglich wieder in die eigene Hand nimmt, ist noch offen. „Diese Frage steht im Moment nicht auf unserer Agenda“, erklärte Landrat Sigel gestern. Entscheiden wird der Kreistag darüber wohl erst im kommenden Jahr.

Aktuell gibt es drängendere Probleme, vor allem die prekäre Finanzlage. Die Patientenzahlen an den Standorten Winnenden und Schorndorf liegen um 13 Prozent unter den Planwerten. Die Klinikleitung glaubt, dass Corona der Grund ist: Aus Angst vor dem Virus würden nach wie vor viele versuchen, einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Gleichzeitig sind die Kosten für Energie, Lebensmittel und viele weitere Produkte deutlich gestiegen. Hinzu kommen riesige Investitionen an beiden Standorten, die finanziert werden müssen.

Deutliche Kritik an Klinikfinanzierung

Das Klinikdefizit, das unter Marc Nickel mit großer Kraftanstrengung auf zuletzt 15,3 Millionen Euro reduziert worden war, könnte dieses Jahr deshalb wieder explodieren – auf bis zu 30 Millionen Euro. Landrat Sigel betont, dass dafür nicht die Klinikleitung verantwortlich sei: „Obwohl wir alle Hausaufgaben gemacht haben, haben wir immer noch Druck. Das finde ich bedenklich“, sagte der Landrat und forderte weitere finanzielle Hilfen von Bund und Land. Auch Marc Nickel übte noch einmal deutliche Kritik an der Klinikfinanzierung: „Das System muss dringend überarbeitet werden, um zukunftsfähig zu sein“, erklärte der scheidende Geschäftsführer.

Unabhängig davon, ob und wie viel Geld die Politik noch locker machen wird, wartet auf den neuen Klinikchef André Mertel und sein Führungsteam eine diffizile Aufgabe. Denn der Landkreis wird nicht auf Dauer ein hohes zweistelliges Millionendefizit ausgleichen können. Als Alternative bliebe aber wohl nur ein drastischer Sparkurs, der vor allem intern schwer zu vermitteln wäre. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht wertgeschätzt wird“, machte Richard Sigel deutlich. Die Belegschaft müsse von Anfang an in die Überlegungen eingebunden und beteiligt werden.

2017 den richtigen Kurs eingeschlagen

Der neue Geschäftsführer traut sich diese schwierige Aufgabe zu: „Medizinisch sind wir top aufgestellt. Wirtschaftlich gibt es einige Herausforderungen, aber wir müssen nichts Grundlegendes ändern“, sagte André Mertel gestern. Mit der 2017 beschlossenen Medizinkonzeption habe man bereits den richtigen Kurs eingeschlagen.

Der 45-Jährige weiß, wovon er spricht, denn er arbeitet schon seit 2015 als kaufmännischer Leiter und Prokurist an den Rems-Murr-Kliniken. In dieser Funktion habe er sich das Vertrauen der Belegschaft erarbeitet, sagte Landrat Sigel. Auch die Zusammenarbeit mit der medizinischen Leitung steht unter einem besseren Stern: Die Chefärzte Christoph Ulmer (Schorndorf) und Hans-Joachim Strittmatter (Winnenden) erklärten gestern jedenfalls beide, dass der neue Geschäftsführer auch ihr Wunschkandidat gewesen sei.

Kommentar
Quadratur des Kreises

Von Kornelius Fritz

Manchmal macht der Ton die Musik. Dann kommt es gar nicht so sehr darauf an, was jemand macht oder sagt, sondern wie er es vermittelt. Sollte dies das zentrale Problem von Marc Nickel gewesen sein, dann könnte der Wechsel an der Spitze der Rems-Murr-Kliniken tatsächlich etwas bringen.

An den grundsätzlichen Problemen ändert sich durch den Führungswechsel allerdings nichts. Da ist einerseits die Klinikleitung, die Antworten auf sinkende Fallzahlen und davongaloppierende Kosten finden muss. Das Ziel, die Kliniken schrittweise vom Tropf des Kreishaushalts zu nehmen, ist zuletzt wieder in weite Ferne gerückt. Und da ist andererseits die Belegschaft, die nach zwei Jahren Coronapandemie müde und ausgelaugt ist und die vielfach versprochene Anerkennung noch immer vermisst.

Ein Zukunftskonzept zu finden, das diese widersprüchlichen Interessen vereint und hinter dem sich am Ende alle versammeln, gleicht der Quadratur des Kreises. Der neue Klinikchef André Mertel startet zwar mit einem Sympathiebonus, doch spätestens wenn er zum Rotstift greifen und unangenehme Entscheidungen verkünden muss, dürfte es auch für ihn ungemütlich werden.

k.fritz@bkz.de

André Mertel

Werdegang Der neue Geschäftsführer ist in einem kleinen Dorf im Vogtland aufgewachsen. Nach dem Studium der Gesundheitsökonomie in Mainz war er für mehrere private Klinikkonzerne wie die Schön Klinik und die Sana Kliniken AG tätig, 2014 wechselte er zur Oberender AG.

Rems-Murr-Kliniken Im Auftrag seines Arbeitgebers wurde er im April 2015 als externer Manager an die Rems-Murr-Kliniken entsandt, zunächst als kaufmännischer Leiter, ab 2018 auch als Klinikleiter in Schorndorf. Zum 1. August 2022 übernimmt der 45-Jährige nun die Geschäftsführung. André Mertel ist verheiratet und hat drei Töchter.

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Erstellt:
12. Juli 2022, 06:00 Uhr

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