Wenn die Kamera läuft

Özdemir: „AfD-Mitglieder gehen ab wie Nachbars Lumpi“

In der ARD-Mediathek-Show „Press Play“ zappt Moderator Louis Klamroth mit Cem Özdemir durch Bewegtbild-Inhalte. Versteht der Grüne sich besser mit Merz als mit Habeck?

Cem Özdemir ist grüner Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg.

© Bernd Weißbrod/dpa/Bernd Weißbrod

Cem Özdemir ist grüner Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg.

Von Michael Maier/KNA

Talkshows bleiben im linearen Fernsehen ein ungemein beliebtes Genre - zumal bei den Sendern. Sie lassen sich preiswert produzieren, wirken stets aktuell und bieten die Möglichkeit, Menschen mit Perspektiven, die gerade häufiger (oder seltener) im Programm vorkommen sollen, einzuladen (oder eben nicht).

Frische Akzente sind in diesem Fernseh-Genre allerdings eher selten, weil die erfolgreichen Moderatorinnen und Moderatoren mit oft auch gleich nach ihnen benannten Formaten über Jahre dieselben Sendeplätze besetzen. Der Wechsel der "hart aber fair"-Moderation von Frank Plasberg nach über zwei Jahrzehnten zu Louis Klamroth Anfang 2023 ist da weiterhin die größte Neuerung. Ob Klamroth (Jahrgang 1989) in die Rolle hineinwächst und das TV-Genre oder zumindest sein Publikum verjüngt, darüber lässt sich weiterhin streiten.

In der ARD-Mediathek ist Klamroth jetzt mit zunächst drei halbstündigen Folgen einer weiteren Talk-basierten Show zu sehen. "Press play" heißt im Untertitel: "Politik trifft Popkultur mit Louis Klamroth", und in der ersten Folge sitzt Cem Özdemir auf dem Sofa im kleinen Studio.

Klamroth: Worüber weint Özdemir?

Eigentlich ziehe er beim Fernsehen die Schuhe aus und sehe dann etwa die "Tagesschau" oder VfB-Stuttgart-Fußballspiele, sagt der Grünen-Politiker zu seinen TV-Gewohnheiten. Doch hier zappt Klamroth jetzt neben ihm in sehr unterschiedliche Sendungen hinein, zu denen der Gast sehr unterschiedliche Fragen beantworten soll. Das ist natürlich kein Live-TV, vielmehr ist zum Beispiel ein Ausschnitt aus der Sat.1-Sendung "Promis unter Palmen" aus dem September 2020 zu sehen, mit Ronald Schill, der Anfang der Nuller Jahre in Hamburg ein - um es mal ganz vorsichtig zu sagen - umstrittener und zeitweise erfolgreicher Politiker war.

Özdemirs Erfahrungen mit der AfD

Kennt Özdemir den? Doch der Grüne, der 2026 Ministerpräsident in Stuttgart werden möchte, erzählt lieber von Erfahrungen aus dem Bundestag mit der AfD. Deren Mitglieder "gehen ab wie Nachbars Lumpi", wenn die Kamera läuft, aber auch nur dann, sagt er. Anhand eines neueren Ausschnitts aus der Dortmund-Ausgabe der WDR-Sendung "Lokalzeit" bekundet Klamroth: "Wenn Männer in der Öffentlichkeit weinen, das berührt mich irgendwie". Und natürlich soll auch sein Gast sagen, wann er zuletzt geweint hat. Was Özdemir dann auch tut.

Später geht es zurück ins Fernsehen des vorigen Jahrhunderts: In einem Ausschnitt aus einer "Menschen hautnah"-Sendung von 1994 ist Özdemirs inzwischen verstorbene Mutter zu sehen, die sich auch zu Herkunftsfragen und über "türkisches Blut" äußert. Das führt dann dazu, dass Özdemir als Schwabe Hölderlin zitiert.

Kann Özdemir besser mit Merz als mit Habeck?

Anhand von Bildern aus der ZDF-Dokuserie "Inside CDU" soll der Grüne sagen, ob er Friedrich Merz sympathisch findet, und windet sich so routiniert, dass er nächstes Jahr in Baden-Württenberg auch weiter mit der derzeit in Umfragen erfolgreicheren CDU koalieren könnte. Doch schimmert, als später ein "Markus Lanz"-Auftritt Robert Habecks auf dem Bildschirm erscheint, aus Özdemirs distanzierten Worten ("Er hat große Verdienste", "Ich wünsche ihm alles Gute, für das, was er jetzt macht") durch, dass er Merz zumindest sympathischer als seinen Parteifreund findet? Spätestens da hat das kuriose Prinzip mit dem Wechsel zwischen eher privaten und eher politischen Fragen Interesse geweckt.

Natürlich nutzt Özdemir das Forum, um Sympathiewerbung - also Wahlkampf - zu betreiben. So machen es ja alle Politiker, ob sie nun in den "Tagesthemen" auftreten oder für Tiktok befragt werden. Doch die scheinbar zufällige, offenkundig auf die Gäste zugeschnitte Auswahl der Ausschnitte aus dem unüberschaubaren Überfluss von Bewegtbild-Inhalten eröffnet eine assoziative Metaebene, die die gewohnten Talkshows nicht bieten.

Frischer Akzent mit Klamroth und „Press Play“

Da ist es Moderator Klamroth, der hier deutlich gelöster als in "hart aber fair" wirkt, und seinem Team von der Winterscheidt-/Heufer-Umlauf-Produktionsfirma Florida Factual tatsächlich mal gelungen, einen frischen Akzent zu setzen. In zwei weiteren gerade produzierten Startfolgen sind als Gäste die Linkenpolitikerin Heidi Reichinnek und der Publizist Michel Friedman zu sehen, die ebenfalls zahllose Auftritte im klassischen Fernsehen wie in anderen Mediengattungen absolvieren. Dass diese Ausschnitte zumeist kontextlos auf den Zuschauer losgelassen werden und zum Weiterdenken anregen, zeigt dabei die Überlegenheit von "Press Play" im Vergleich mit den handelsüblichen televisionären Talkformaten.

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Erstellt:
8. Oktober 2025, 12:46 Uhr

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