Offline im Seniorenheim?

Die Digitalisierung schreitet voran, das Schritthalten fällt gerade älteren Menschen aber nicht immer leicht – vor allem dann, wenn kein WLAN verfügbar ist. Genau das sei aber in zahlreichen Pflegeheimen der Fall, bemängelt der Kreisseniorenrat Rems-Murr.

WLAN im eigenen Zimmer scheint in vielen Pflegeheimen noch keine Selbstverständlichkeit zu sein. Symbolbild: Adobe-Stock/Ingo Bartussek

© Ingo Bartussek - stock.adobe.com

WLAN im eigenen Zimmer scheint in vielen Pflegeheimen noch keine Selbstverständlichkeit zu sein. Symbolbild: Adobe-Stock/Ingo Bartussek

Von Kai Wieland

Rems-Murr. Für sogenannte Digital Natives ist es der Albtraum schlechthin: eine Unterkunft ohne WLAN. Für viele Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen ist es laut Kreisseniorenrat Rems-Murr hingegen oft blanke Realität. Dabei ziehen auch in diese Einrichtungen zunehmend Menschen ein, die sich an ein Leben mit Smartphone und ständigem Internetzugang längst gewöhnt haben – Tendenz naturgemäß steigend, auch Digital Natives werden schließlich älter.

Im Jahr 2018 lieferte eine viel beachtete Umfrage des Portals pflegemarkt.com unter bundesweit 575 Heimleitern zum Thema WLAN in Pflegeheimen eine ernüchternde Zahl: Nur in 37 Prozent der Einrichtungen wurde den Bewohnern WLAN angeboten, in Flächenländern wie Baden-Württemberg und Bayern waren es gar nur rund 20 Prozent. Zudem wurde die Nutzung meist extra berechnet. Bis 2022 ist der Wert bundesweit zwar auf 56 Prozent gestiegen, im Zeitalter der Digitalisierung sei da dennoch viel Luft nach oben, findet der Kreisseniorenrat.

Große Unterschiede bei den Einrichtungen im Rems-Murr-Kreis

Im Haus Hohenstein in Murrhardt, einer Einrichtung des Unternehmens Doreafamilie, gehört WLAN bereits zur Standardausstattung und wird auch von den Bewohnern aktiv nachgefragt. „Rund die Hälfte der Neuzugänge will mittlerweile als Erstes das Passwort wissen“, bestätigt Einrichtungsleiter Jörg Kronenmüller. Das habe auch damit zu tun, dass vermehrt jüngere Leute in Pflege kämen. „Sie sind auf diese Weise ja mit der Familie und vor allem den Enkeln vernetzt.“ Allerdings wisse er durchaus auch von Einrichtungen, in denen selbst Neubauten nicht über flächendeckendes WLAN verfügten. „Es ist ja nicht vorgeschrieben, insofern gibt es da eigentlich alle Ausprägungen.“

Irina Rümke, Haus- und Pflegedienstleiterin im Alexander-Stift Weissach im Tal, berichtet ebenfalls von reger Handy-Aktivität bei den Seniorinnen und Senioren in ihrer Einrichtung, wofür sich diese selbstverständlich kostenlos in das WLAN-Netz einwählen könnten. Steffen Wilhelm, Pressesprecher der Diakonie Stetten, bestätigt dies auf Nachfrage für alle Häuser des Alexander-Stifts und benennt die Coronapandemie als wesentlichen Treiber für den beschleunigten WLAN-Ausbau in den Pflegeheimen: „Wir wollten an allen Standorten alternative und digitale Kontaktmöglichkeiten für unsere Bewohner und deren Angehörige schaffen.“

„Das Thema ist absolut im Kommen“

Anders sieht es zum Beispiel im Wilhelmine-Canz-Zentrum in Weinstadt aus. Dort ist aktuell kein flächendeckendes WLAN verfügbar, kann aber auf Anfrage unter anderem in den Komfortzimmern, die als Folge der Landesheimbauverordnung aus Platzgründen entstanden sind, eingerichtet werden. Auch die Dienstzimmer sind mit WLAN ausgestattet. Dass ein Internetzugang immer öfter nachgefragt werde, bekämen allerdings auch sie zu spüren, räumt Antje Helmond, kaufmännische Vorständin der Großheppacher Schwesternschaft, ein. „Das Thema ist absolut im Kommen und wird auch noch weiter an Bedeutung gewinnen. Der Ausbau des WLAN-Netzes ist deshalb fest vorgesehen und wird bei uns voraussichtlich nächstes Jahr budgetiert.“

Als Ursache für bislang fehlende WLAN-Angebote werden vorwiegend technische Hintergründe angeführt, welche in älteren Einrichtungen die schnelle Umsetzung erschweren. Im Luitgardheim in Beutelsbach ist WLAN bislang nur in Einzelfällen eingerichtet, soll jedoch im Zuge der derzeitigen Sanierung noch dieses Jahr für alle zur Verfügung stehen, um der auch hier wachsenden Nachfrage gerecht zu werden.

Eine Selbstverständlichkeit ist der WLAN-Zugang noch nicht

Überraschend oft konnte von Einrichtungen auf Nachfrage jedoch keine eindeutige Auskunft gegeben werden, ob die Bewohner insbesondere auf den Zimmern kostenlos Zugang zu WLAN haben. Häufig bleiben die Angaben vage: Internet sei im Haus grundsätzlich vorhanden und bei Bedarf auch für die Bewohner nutzbar, ob das Netz bis in die Zimmer reiche, wisse man aber nicht mit Sicherheit. Ein fester Bestandteil der Zimmerausstattung, wie es etwa auf der Webseite des Seniorenheims Kronenhof in Neufürstenhütte der Fall ist, scheint der Internetzugang jedenfalls oft noch nicht zu sein.

„Wir benötigen es ohnehin für die internen Abläufe, etwa für Lagerungspläne oder Patientenbögen, und arbeiten schon seit Jahren weitgehend papierlos“, erklärt Alexander Flint, der Betreiber des Kronenhofs, wobei er bei der Nutzung mit Blick auf die Altersstrukturen in den beiden von ihm betriebenen Einrichtungen Unterschiede erkennt: „Hier im Kronenhof haben wir überwiegend sehr betagte und greise Leute, da werden WLAN und Streaming-Angebote im TV eher von den Angehörigen und Besuchern genutzt, um etwa den Großeltern mal ein Video zu zeigen.“

Die Unterschiede in Sachen WLAN-Angebot mögen je nach Einrichtung also auch mit der Klientel zusammenhängen: Lässt diese noch keinen großen Bedarf erkennen, so genügen im Einzelfall pragmatische Sonderlösungen. Dieses Argument will Waltraud Bühl, Vorsitzende des Kreisseniorenrats Rems-Murr, allerdings nicht gelten lassen. Zwar treffe es zu, dass Menschen, die heute alt und womöglich schwer dement seien, das Internet überwiegend nicht in Anspruch nehmen könnten oder wollten. Zum einen werde sich das aber zunehmend ändern, zum anderen müsse es doch der Anspruch sein, dass jeder gleich behandelt werde und in Zeiten der Digitalisierung Zugang zum Internet habe.

„Wir wissen, dass es Geld kostet und nicht von heute auf morgen zu leisten ist“, betont Waltraud Bühl. „Uns geht es nicht darum, hier etwas unverzüglich einzufordern. Wir wollen es den Verantwortlichen aber ins Bewusstsein rufen, dass auch Senioren in Pflegeheimen ein Anrecht auf Internet haben und es deshalb zum Standard in diesen Einrichtungen gehören sollte. Stattdessen werden immer noch neue Häuser gebaut, in denen es kein flächendeckendes WLAN gibt.“

Für den Kreisseniorenrat ist es eine Frage der sozialen Teilhabe

Für viele ältere Menschen seien Smartphone und Tablet zu einer Tür zur Welt geworden, heißt es in einer Pressemitteilung des Kreisseniorenrats. „Es ist eine Frage der sozialen Teilhabe, die auch von der Politik immer wieder beschworen wird.“

Die steigende Nachfrage nach einem Internetzugang in vielen Pflegeheimen ist dafür ein klares Indiz. „Ganz allgemein beobachten wir gerade einen Wechsel hin zur verstärkten Nutzung von digitalen Geräten. Eine Ausstattung mit WLAN wird für die Bewohner und auch deren Angehörige immer wichtiger“, bestätigt Steffen Wilhelm. „Einige Bewohner bringen mittlerweile beim Einzug mobile Endgeräte oder Computer mit, die dann auch regelmäßig von ihnen genutzt werden.“

Ob sich WLAN auch in Pflege- und Senioreneinrichtungen bald als Standard etablieren wird, wie es in vielen anderen Bereichen des Alltags längst der Fall ist, werden die kommenden Jahre zeigen. Waltraud Bühl wird sich dafür einsetzen, weiß aber um die Herausforderung dieses Unterfangens: „Der Weg ist noch weit und steinig.“

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Erstellt:
7. März 2023, 06:00 Uhr

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