Bundeswehr
„Ohne den Menschen ist all die Technik nur wenig wert“
Der Kommandeur des Aufklärungslehrbataillons 3 in Lüneburg über den Beginn neuer Kriege, die Aufgabe von Spähern und Lehren aus dem Krieg in der Ukraine.
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Heeresaufklärer bei einer Übung vor dem Spähfahrzeug Fennek der Bundeswehr: bis zu zehn Kilometer weit dem Feind in die Karten schauen.
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Aufklärer sind immer schon die Soldaten, die als erste am Feind sind, Informationen gewinnen und es so Kommandeuren ermöglichen, Gefechte zu planen und zu führen. Unser Autor Franz Feyder schaut im Interview mit Oberstleutnant Jochen-Andreas Moos in die deutsche Heeresaufklärungstruppe.
Herr Oberstleutnant Moos, warum braucht das Heer Aufklärer?
Ein Truppenführer, der keine Aufklärer hat, ist blind. Kein General kann ohne Informationen im Gefecht bestehen. Unsere Informationen sind essenzielle Voraussetzung dafür, Gefechte zu planen und erfolgreich zu führen. Aus meiner Sicht kommt Aufklärern damit heute so viel Bedeutung zu wie in den vergangenen Jahrzehnten.
Warum?
Die Heeresaufklärungsgruppe gewinnt mit einer Vielzahl technischer Mittel und dem Sensor Mensch Informationen an Land und im bodennahen Bereich. Vereinfacht ausgedrückt: Wo wir unsere Sensoren hinbringen können, wird das Gefechtsfeld gläsern. Mit unsern Sensoren haben wir einen soliden Grundstock: von der fahrzeuggebundenen und leichten Spähaufklärung über luftgestützt abbildende Aufklärung und Radaraufklärung bis hin zu Feldnachrichtenkräften.
Was bedeutet das?
Die fahrzeuggebundene Spähaufklärung stützt sich auf den Spähwagen Fennek. Seine Beobachtungs- und Aufklärungsausstattung besteht aus einer Tagsichtkamera, einem Laserentfernungsmesser und einem gekühlten Wärmebildgerät. Die leichte Spähaufklärung gewinnt Informationen vor allem aus Verstecken, die die Soldaten in ihren Transportpanzern oder zu Fuß gewinnen, teilweise tief im gegnerischen Gebiet. Luftgestützte Aufklärung erfolgt mit Drohnen, auch bei eingeschränkter Sicht. Feldnachrichtenkräfte gewinnen Information aus zielgerichteten Gesprächen und in Befragungen.
In diesen Zeiten stellen sich viele Menschen die Frage: Taugt das alles noch, was die Bundeswehr hat?
Im Grundsatz ja. Aber natürlich geht der technische Fortschritt weiter und so gilt, dass wir uns ständig weiter entwickeln müssen. Hier sind wir aber derzeit auf einem gut Weg. Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Ich habe heute in meinem etwa 700 Soldaten großen Verband alles, um meinem Truppenführer ein realistisches, zuverlässiges und aktuelles Lagebild über den Gegner zur Verfügung zu stellen. Unsere Systeme lassen es zu, über 40 Kilometer in die Tiefe (des vom Feind besetzten Gebietes? Ja!) aufzuklären. Unsere Informationen werden ergänzt durch Aufklärungsmittel mit teilweise größerer Aufklärungstiefen, etwa bei Luftwaffe, Marine sowie aus dem Cyber-Raum.
Das hört sich für mich sehr an Technik orientiert an.
Ja, Technik spielt eine große Rolle. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch sehr viel verändert: Wir haben das Fernglas, das ja nur die Reichweite des menschlichen Auges erweitert, durch Sensoren und andere technische Mittel ergänzt. Das macht das Gefechtsfeld in Länge, Breite und Höhe um ein Vielfaches transparenter. Aber ich möchte auch betonen: ohne den Menschen ist all diese Technik nur wenig wert. Daher ist meine Kernbotschaft: die Heeresaufklärungstruppe heute ist eine perfekte Kombination aus Menschen und Technik.
Technik kann immer getäuscht werden.
Natürlich. Bisweilen wird Technik auch bewusst genutzt, um etwas vorzutäuschen, das real gar nicht da ist. Hier bietet das elektromagnetische Spektrum vielfältige Optionen. Genau hier wird dann auch der Mensch wieder relevant. Dessen Verstand, dessen Kompetenz, dessen Erfahrungswert lässt dann eine Bewertung zu, ob das, was da vorgegaukelt wird, taktisch-operativ überhaupt Sinn ergibt. Ich glaube, wir kommen nicht ohne Technik aus, das schließt unbemannte Systeme und künstliche Intelligenz ausdrücklich ein. Wir brauchen aber immer auch noch die Erfahrungen und das Wissen unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie machen unsere Streitkräfte aus.
Andere Streitkräfte – Polen, Niederländen, Ukrainer – experimentieren mit Pferden für ihre Aufklärer. Sie auch?
Derzeit lernen wir in dieser Hinsicht vor allem von unseren Partnern. Ich bin aber auch sicher, dass wir uns nicht verschließen sollten, einige unserer Soldatinnen und Soldaten in die Lage zu versetzen, reiten zu können. Fragt mich jemand, ob ich meine Männer und Frauen in schwerem Gelände nur zu Fuß losschicken möchte oder auf Pferden, dann ist für mich die letzte Variante besser. Unter uns Soldaten gibt es das geflügelte Wort: schlecht gefahren ist besser als gut gelaufen. Ich variiere : schlecht geritten ist besser, als gut marschiert.
Welchen Vorteil sehen Sie?
Ich verspreche mir davon, die Reichweite, die Wirksamkeit und die Durchhaltefähigkeit meiner Aufklärer in Räumen zu erhöhen, in denen das Gelände den Einsatz mit Gefechtsfahrzeugen nicht zulässt. Soldaten zu Pferde können dann mehr Wasser, mehr Verpflegung, mehr Munition, mehr Sensorik mitführen. Ich bin sicher, in einer Phase des Übergangs bis zu dem Moment, in dem wir in solchen Räumen unbemannte Systeme einsetzen können, bietet sich so eine Alternative. Aber um ganz klar zu sein: mir geht es um die Fähigkeit „reiten zu können“. Nicht mal wir im Aufklärungslehrbataillon 3 wollen wieder Pferde züchten.
Kein Konflikt der letzten 40 Jahren prägt uns wie der in der Ukraine.
Wir müssen Lehren aus dem ziehen, was gegenwärtig in der Ukraine passiert. Wir müssen schauen, was wir daraus für die Bundeswehr und speziell uns Aufklärer ableiten können. Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft mehr mit unbemannten Systemen sowohl auf unserer wie der gegnerischen Seite zu tun haben. Da gucken wir im Moment vor allem auf das, was fliegt. Perspektivisch wird es aber ganz sicher auch um unbemannte Systeme auf dem Boden gehen. Ich teile die Perspektive des früheren und des aktuellen Inspekteurs des Heeres: der erste Feindkontakt wird in Zukunft durch unbemannte Systeme, dann erst von Menschen erfolgen.
Welche Lektionen lernen wir gerade?
Wir sollten uns hüten, alles, was wir in der Ukraine sehen, als Blaupause für das zu nehmen, was kommt. Nicht alles, was wir da erleben, lässt sich eins zu eins auf eine mögliche Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland übertragen. Aber wir sehen sicher wichtige und zentrale Entwicklungen, die wir ernst nehmen müssen.
Was wird den Aufklärer von heute von dem von morgen unterscheiden?
Ich bin sicher, der Aufklärer von morgen wird in zwei Bereichen besser sein müssen als heute. Er wird mit der Artillerie oder Flugzeugen und Schiffen weitreichendes Feuer schneller und genauer zur Wirkung zu bringen. Zum anderen wird er selbst mehr als heute in der Lage sein, Ziele zu zerstören - vor allem hochwertige Ziele in der Tiefe des Raumes.
