Ausstellung wieder abgebaut
Penis-Kunst zu viel für Reutlinger Kliniken – „will schon auch provozieren“
Über Kunst kann man bekanntlich streiten. Die Reutlinger Kreiskliniken wollten das offenbar gar nicht erst zulassen – und haben eine schon aufgebaute Ausstellung kurzerhand abgesagt.

© Michael Broszius
Sexuelle Anspielung, oder doch einfach nur Gemüse? Das Werk „Erotische Hilfsmittel“ von Michael Broszius.
Von Michael Bosch
Ja, er wolle schon auch provozieren – und ja, er habe sich im Vorfeld „eigentlich keinen Kopf gemacht“, sagt Michael Broszius. Dass seine Kunst bei den Verantwortlichen im Klinikum Reutlingen aber für so große Irritation sorgte, dass die Ausstellung an der Akademie der Kreiskliniken Reutlingen in Pfullingen kurz vor der Eröffnung wieder abgeblasen wurde, hat ihn doch etwas stutzen lassen. „Erst hab ich mich geärgert, jetzt kann ich darüber lachen“, sagt Broszius.
Drei Tage lang hatte Broszius mit seinem Künstlerkollegen Carlo Weiß die Schau aufgebaut – in der vergangenen Woche war die Vernissage geplant. Drei Tage im Voraus bekam die Klinkleitung offenbar Wind davon und sagte die Ausstellung komplett ab. Die Bilder hingen da schon, Broszius und Weiß durften wieder zusammenpacken.
„Es geht um Doppeldeutigkeit, nicht um Sex“
Was ist so anstößig, dass sich die Klinikleitung in Reutlingen zu dem Schritt gezwungen sah? Zwei „stiliisierte“ Penisse seien der Auslöser gewesen, sagt Broszius. Eine Grafik zeigt ein männliches Geschlechtsteil beim Pinkeln, darunter steht: „Das hätte mein dreijähriger Sohn auch hinbekommen!“ Was genau der Filius hinbekommen hätte, bleibt offen. Pinkeln? Das Bild malen?
„Es geht um Doppeldeutigkeit, nicht um Sex“, so der 49-Jährige. „In der heutigen Kunstwelt muss man provokant sein, sonst wird man überhaupt nicht wahrgenommen.“ Und: „Natürlich ist das alles ein bisschen überzogen“, sagt Broszius. Er meint seine Kunst, nicht die Absage.
Das zweite Glied, das für die Kliniken offenbar zu viel war, gehört zu einem Männerakt auf einer Holztafel. Darin stecken massive Nägel. Er habe sich in der „Imageaustellung“, zu es gehört, mit seiner Genese als Künstler und seinem „Leidensweg“ bis zum fertigen Werk befasst.
Die Klinikleitung störte sich außerdem an mehreren Motiven mit mehrdeutigen Wortspielen. Neben einer echten Chillischote steht der Satz: „Lust auf oral?“ Kulinarik oder Sexpraktik? Wieder lässt Broszius die Betrachter im Unklaren. Genauso bei der Aufforderung „Leck mich doch!“, die neben einem riesigen Lolli prangt. Ganz ohne Worte kommt eine Zeichnung aus, die einen Männerschritt zeigt. Die Hand des Abgebildeten steckt in seiner Jeanshose.
Bilder wurden zunächst umgedreht
Laut Brozsius seien insgesamt sieben Bilder im Vorfeld der Ausstellung, als diese schon hingen, zunächst umgedreht worden, damit sie nicht mehr zu sehen waren. Bei mehreren Frauen-Akten, die ebenfalls ausgestellt werden sollten, war das offenbar nicht der Fall. „Da hätte ich es noch eher verstanden“, sagt der Künstler, der sich vor allem über die Art und Weise der Absage gewundert hat. „Es ist traurig, dass man überhaupt nicht mit uns Künstlern gesprochen hat.“
Und was sagt die Reutlinger Klinik? Die Verantwortlichen dort argumentieren mit dem Jugendschutz. Pressesprecher Christian Hirtz sagte dem Reutlinger Generalanzeiger, es sei ein Unterschied, ob Kunst in einer Galerie, die Leute freiwillig besuchten, oder öffentlich gezeigt werde. In einer Ausbildungseinrichtung, bei der die Schüler nicht die Wahl hätten wegzubleiben, sei das etwas anderes. Michael Broszius hält dagegen, dass die Ausstellung auch schon anderwo im öffentlichen Raum zu sehen gewesen sei – und überhaupt seien Jugendliche und Kinder heutzutag beispielsweise im Netz mit ganz anderen Formen sexueller Inhalte konfrontiert.
Kliniken-Sprecher Hirtz argumentierte gegenüber dem GEA auch mit Schülern aus anderen Kulturkreisen, etwa Muslimen, bei denen es „höhere Empfindlichkeiten“ geben könnte. „Wenn wir Diversität wollen, müssen wir auf bestimmte Dinge Rücksicht nehmen“, wird er zitiert. Weil „eine ganze Reihe von Arbeiten als problematisch erachtet wurde“, sei die Ausstellung letztlich abgesagt worden. Für Brosius wäre es nicht in Frage gekommen, einzelne Bilder nicht zu zeigen, denn „die Ausstellung wäre so nicht komplett gewesen“. Aber: auch diesbezüglich habe „keine Kommunikation“ stattgefunden.
Komplett gezeigt wird die Ausstellung nun übrigens an anderer Stelle. Die Kosten, die den Künstlern entstanden sind, wird ihnen wohl nicht erstattet. Michael Brozsius, der auch eine Werbeagentur betreibt, freut sich inzwichen sogar ein bisschen über den unfreiwilligen PR-Stunt, den ihm die Klinik beschert hat. „Eine besser Publicity und so viel Aufmerksamkeit hätten wir wohl sonst nie bekommen.“
Anderer Ort für Ausstellung gefunden
KünstlerDer 49-jährige Michael Broszius kommt aus Reutlingen. Er ist Inhaber einer Werbeagentur und stellt derzeit auch in Berlin aus. Seine Kunst beschreibt er als „vielseitig, individuell, experimentell, provokant, spielerisch“.
AustellungDie Ausstellung von Carlo Weiß (Zinnbildliche Skulpturen, Oxidationsmalerei) und Michael Broszius (Der Leidensweg eines Künstlers, Streifzüge des Schaffens) findet nun im Kunst im Werk II in Dusslingen statt. Sie ist ab Sonntag, 17. August, zu sehen.