Plötzlich Ruhestand – und was dann?

Die einen freuen sich darauf, andere fürchten es – das Ende des Berufslebens. „Ich wollte nie aufhören“, sagt Brigitte Rodlberger. Die Sulzbacherin geht ihrer Tätigkeit als Alltagsbetreuerin bei der Erlacher Höhe auch in ihrer Rentenzeit nach. Wolfgang Neumann aus Kirchberg will nach langjähriger Schreibtischarbeit „etwas mit den Händen“ machen.

Brigitte Rodlberger hat zahlreiche Hobbys. Langweilig wird es ihr ganz bestimmt nicht. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Brigitte Rodlberger hat zahlreiche Hobbys. Langweilig wird es ihr ganz bestimmt nicht. Foto: J. Fiedler

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Für Brigitte Rodlberger war von Anfang an klar, dass sie auch nach dem Eintritt in die Rente mit ihrer Arbeit nicht einfach aufhören würde – die für sie auch eher Berufung denn Arbeit ist. Seit neun Jahren ist die vielseitig aktive Brigitte Rodlberger Alltagsbetreuerin bei der Erlacher Höhe. „Das ist sehr vielseitig“, schwärmt sie. Als Quereinsteigerin war sie zu dieser außergewöhnlichen Stelle gekommen, nach 25 Jahren bei der Drogeriekette Schlecker. 2012 waren alle Filialen geschlossen worden, die damals 55-Jährige stand plötzlich ohne Arbeit da. Sie setzte sich das Ziel, spätestens im Oktober des gleichen Jahres wieder in Lohn und Brot zu stehen.

Über einen Bekannten erfuhr sie, dass bei der Erlacher Höhe Stellen zu besetzen seien. Da sie durch die Pflege ihrer demenzkranken Mutter bereits eine gewisse Erfahrung mitbrachte, verbrachte sie dort einen Probetag. Ihr Fazit: Pflege sei zwar auf Dauer nichts für sie, aber die Arbeit als Alltagsbetreuerin reizte sie ungemein. Ihre Ausbildung zur Pflegehelferin und Alltagsbetreuerin schloss sie mit der Note 1,5 ab und übt die Aufgabe seither mit großer Hingabe und Leidenschaft aus.

Zum 1. Juli dieses Jahres nun winkte der Eintritt in den Ruhestand. Doch Brigitte Rodlberger war klar, dass sie die Erlacher Höhe nicht einfach verlassen würde: „Ich habe mir dort etwas aufgebaut, da kann man nicht einfach tschüss sagen!“ Betreuung, Biografiearbeit, Arztfahrten, das alles gehört zu ihrem Aufgabenbereich. „Da braucht man schon ein gewisses Vertrauensverhältnis zueinander“, so die Sulzbacherin. Mit ihrem Arbeitgeber wurde eine neue Vereinbarung geschlossen, sie reduzierte ihr Stundenkontingent. Praktischerweise kam hinzu, dass aufgrund von Corona für 2021 die Hinzuverdienstgrenze von üblicherweise 6300 auf 46060 Euro erhöht wurde. Das gilt noch bis Ende des Jahres. Doch auch wenn ab 2022 wieder die alten Regelungen gelten, Brigitte Rodlberger will die Erlacher Höhe nicht verlassen, dazu bedeutet ihr die Beschäftigung einfach zu viel. Sie möchte auf 450-Euro-Basis oder sogar ehrenamtlich weitermachen: „Ich wollte nie aufhören!“ Und vielleicht findet sie ja dann für ihre zahlreichen Hobbys ein bisschen mehr Zeit: für das Dekorieren, das Kochen, das Basteln, Yoga... langweilig wird es ihr ganz bestimmt nicht.

Auch für Wolfgang Neumann kam ein richtiger „Ruhestand“ überhaupt nicht infrage. Schon frühzeitig hatte sich der Elektrotechniker überlegt, nach über 35 Jahren bei einem Unternehmen in der Telekommunikationsbranche, zuletzt als stellvertretender Abteilungsleiter mit der Hauptaufgabe Reporting, „etwas mit den Händen“ zu machen. Bereits 2019 hatte er mit seinem Schwager, Inhaber eines Großküchenkundendiensts, ausgemacht, nach dem Renteneintritt mit einzusteigen. Am 1. Februar 2020 war es dann so weit, vom Schreibtisch ging es nahtlos über in den Küchenbereich. Doch nach sechs Wochen war Schluss – der erste Lockdown hatte den Gastrobereich schwer getroffen, der Kundendienst war zunächst nicht mehr gefragt. Der Kirchberger hat das Beste aus der Situation gemacht, zu Hause sitzen und jammern ist seine Sache nicht: „Ich habe mich nicht verloren gefühlt.“ Und als leidenschaftlicher Handwerker fielen ihm sogleich lauter Dinge an Haus und Garten ins Auge, die seiner Ansicht einfach mal gemacht gehörten. Dass der ursprüngliche Plan nicht umgesetzt werden konnte wie gedacht, war im Nachhinein auch in Ordnung: „Der Übergang lief trotzdem gut.“ Und das handwerkliche Arbeiten mache einfach Spaß, egal ob im Küchenstudio oder im heimischen Garten.

Nach dem aktiven Arbeitsleben im Wohnmobil zur Tochter nach Spanien

Zudem ist Neumann seit vielen Jahren im örtlichen Sportverein aktiv und möchte das fortführen. Jahrelang war er Jugendleiter, seit 2012 ist er erster Vorsitzender des Vorstands. Auch für seine Frau Christa rückt der Ruhestand langsam näher, für diese Zeit werden schon viele gemeinsame Pläne geschmiedet. Beispielsweise Reisen im Wohnmobil zur Tochter, die in Spanien lebt. Gemeinsame Radtouren mit den neuen E-Bikes. Und ganz sicher findet sich, wenn man nur eifrig genug sucht, auch noch das eine oder andere, das sich in den vier Wänden machen lässt. „Es gibt noch Potenzial“, sagt Wolfgang Neumann.

Tipps und Ideen

Broschüre Wer sich noch nicht damit beschäftigt hat, wie es nach dem Berufsleben weitergehen soll, für den bietet die Broschüre „Berufsende in Sicht?! Annäherung an eine neue Lebensphase“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) hilfreiche Tipps und Ideen. Den Ratgeber kann man im Internet unter https://bit.ly/300zSxM herunterladen.

Buchtipp Vier Typen von Ruheständlern beschreiben Gerhard Berger und Gabriele Gerngroß in dem Buch „Die neu gewonnene Freiheit“: den Weitermacher, der einfach so weiterarbeitet wie vor dem Renteneintritt, der Anknüpfer möchte sich nützlich machen und sein Wissen weitergeben, der Befreite genießt die neue Freiheit und der Nachholer will nun alles nachholen, was während des Berufslebens nicht möglich war.

Zum Artikel

Erstellt:
7. Oktober 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
So könnte der geplante neue Lebensmittelmarkt auf dem Festplatz neben dem Sportgelände aussehen. © CLP GmbH
Top

Stadt & Kreis

Netto kommt nach Althütte

Die Discounter Netto und Norma hatten Interesse bekundet, einen Lebensmittelmarkt auf dem Festplatz in Althütte zu bauen und zu betreiben. Der Gemeinderat gab nun der Firma Netto den Zuschlag. Ausschlaggebend waren die Rückmeldungen aus der Bevölkerung.