Remsbahn wirft Schatten auf die Murrbahn

Go-Ahead-Manager: Chaos soll sich nicht wiederholen – Zugausfälle und Verspätungen bringen Reisende auf die Palme

Flott soll der Flirt vom Hersteller Stadler auf der Murrbahn rollen. Aber das Fahrzeugmaterial, das der Betreiber Go-Ahead einsetzen will, wird erst kurz vor dem Betriebsstart Mitte Dezember ausgeliefert. Und auf der Remsbahn gibt es große Probleme mit den Flirts. Designbild: Stadler Pankow

Flott soll der Flirt vom Hersteller Stadler auf der Murrbahn rollen. Aber das Fahrzeugmaterial, das der Betreiber Go-Ahead einsetzen will, wird erst kurz vor dem Betriebsstart Mitte Dezember ausgeliefert. Und auf der Remsbahn gibt es große Probleme mit den Flirts. Designbild: Stadler Pankow

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Seit Pfingsten betreibt die britische Verkehrsgesellschaft Go-Ahead den Regionalverkehr auf der Remsbahn. Was mit hohen Erwartungen und großen Hoffnungen begann, ist dann aber in eine unglaubliche Serie von Pannen gemündet. Zugausfälle, Verspätungen, Türen, die sich nicht öffnen oder schließen, und Bahnen, die auf offener Strecke liegen bleiben, bringen Reisende seitdem auf die Palme. Hinzu kommen so prall gefüllte Wagen, dass man als Fahrgast schlicht nicht mehr umfallen kann, wie der FDP/FW-Kreisrat Jochen Haußmann gestern im Umwelt- und Verkehrsausschuss des Kreistags beklagte.

Die Probleme auf der Remsstrecke werfen bereits einen ersten Schatten auf die Murrbahn: Go-Ahead will ab dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember auch auf der Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg fahren und dafür nagelneue Flirt-Triebwagen des Herstellers Stadler einsetzen. Die Züge sind so neu, dass sie erst kurz vor Betriebsstart ausgeliefert werden. Droht damit den Reisenden auf der Murrbahn das gleiche Szenario, wie es auf der Remsbahn derzeit abläuft?

Ersatzkonzept mit anderen Fahrzeugen für die Murrstrecke

„Wir arbeiten an einem Ersatzkonzept“, erklärte Flottenmanager Christoph Schneider von Go-Ahead gestern. Das Unternehmen will auf der Murrbahn zunächst andere Fahrzeuge einsetzen, die von Subunternehmern beschafft werden sollen – drei Monate lang, „um nicht wieder ein Chaos hervorzurufen“, wie Schneider sagte. Denn unter den gegebenen Umständen sei es nicht möglich, die neuen Fahrzeuge ausreichend zu testen. Das Eisenbahnbundesamt habe zwar die Zulassung für das Wagenmaterial, das im sogenannten Netz 3a zum Einsatz kommen soll, Ende Oktober erteilt. Doch für einen gründlichen Probebetrieb reicht es nach der Auslieferung nicht mehr.

Schneider, der bei Go-Ahead für die Beschaffung, den Betrieb und die Instandhaltung der Fahrzeuge verantwortlich ist, war allerdings nicht wegen der Murrbahn in das Kreistagsgremium gekommen, sondern um die aktuelle Situation auf der Remsbahn zu beleuchten und zu den anhaltenden Störungen Stellung zu nehmen. Begleitet wurde er von Simon Scherer, Standortleiter Essingen im Ostalbkreis, wo das Unternehmen einen Wartungsstützpunkt unterhält. Die Fahrzeuge, so machte Schneider deutlich, seien vom Land Baden-Württemberg gepachtet, Go-Ahead sei nur Betreiber.

Dass Züge auf offener Strecke ohne ersichtlichen Grund stehen bleiben, hängt nach seinen Worten mit der Netzwerktechnik in den Triebwagen zusammen: „Wir sind die ersten, die diese Technik nutzen.“ Das System steuert alle Komponenten im Zug, von den Türen über die Heizung bis zum Licht im Klo. Und es bricht dann und wann unvorhersehbar zusammen. Schneider: „Wir wissen nicht, wo der Fehler herkommt.“

Die Schwierigkeiten mit Türen und Schiebetritten haben aber nach Schneiders Ausführungen einen klar erkennbaren Grund: Es sind die nicht normgerechten Bahnsteigkanten, die sich von Station zu Station unterscheiden. Dabei schreibt das europäische Regelwerk ganz genau vor, was zulässig ist – und auf dieser Grundlage sind die Züge gebaut und mit ihren Bauteilen ausgestattet.

Dass die Digitalisierung bremst, statt dass die Dinge schneller gehen, verwunderte Landrat Richard Sigel aber schon. „Wir versuchen, die Probleme anzugehen“, versicherte Flottenmanager Schneider. Dazu stehe man auch mit dem Hersteller in ständigem Kontakt. Viele Störungen habe man inzwischen identifiziert, diese Fehler würden jetzt abgestellt. Aber das betreffe noch nicht alle Punkte. Voraussichtlich Ende Januar, Anfang Februar werde man weitere Probleme beheben können, kündigte Schneider an. Dass solche Maßnahmen so viel Zeit kosten, liegt nach seinen Worten nicht zuletzt an der Verfahrensdauer: Änderungen müssten vom Eisenbahnbundesamt geprüft und abgesegnet werden. Das nehme jeweils etwa zehn Wochen in Anspruch. Aber immerhin sei man inzwischen besser geworden, zeigte Schneider anhand von Grafiken: Bei der Pünktlichkeit gebe es einen Aufwärtstrend, Ausfälle gingen zurück.

Die Problematik mit den Bahnsteighöhen sei doch nicht neu, wandte Kreisrat Haußmann ein. Zugleich fragte er nach Entschädigungen für die Reisenden, ein Punkt, den das Verkehrsministerium tatsächlich in Erwägung gezogen hat. Dafür aufkommen solle, wie Gottfried Schmitt von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg berichtete, der Hersteller.

Astrid Fleischer (Grüne) stellte klar, nur ein funktionierendes System könne zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel motivieren. Den Betreiber als Alleinschuldigen zu brandmarken, wies unterdessen Christoph Jäger (CDU) zurück: „Da sind einige im Boot“, sagte er mit Blick darauf, dass die Ausschreibung für die Fahrzeuge vom Land gemacht wurde.

„Wir haben insgesamt eine desolate Infrastruktur“, wies dagegen Klaus Riedel (SPD) auf ein Grundproblem hin, für das er die Bahn verantwortlich machte. Zugleich beklagte er ebenso wie Albrecht Ulrich (Freie Wähler), dass viel Geld in große Projekte fließe statt in den öffentlichen Nahverkehr.

Gudrun Wilhelm von der Gruppe Wi/Kli forderte Go-Ahead auf, das, was nicht klappt, weiterzureichen. „Wir geben den Druck weiter“, versicherte Simon Scherer, und es würden auch Schadensersatzforderungen gestellt, schließlich müsse man sieben- und achtstellige Vertragsstrafen zahlen. Und er gab zu verstehen, dass die Bahn als Staatskonzern den größten Gewinn, mit dem sie ihre Defizite in anderen Bereichen ausgleicht, mit der Infrastruktur mache.

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Erstellt:
5. November 2019, 06:00 Uhr

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