Reparieren statt zum Schrott werfen

Reparaturcafés sind ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Es gibt sie in Backnang und etlichen Umlandgemeinden. Dort reparieren ehrenamtliche Fachleute Geräte aller Art. Auch die Europäische Union will weg von der Wegwerfgesellschaft. Sie will jetzt ein Recht auf Reparatur durchsetzen.

Einst war Heinz Roitsch als Elektroingenieur in der Serverentwicklung tätig. Jetzt hat der 67-Jährige als Rentner Zeit und Lust, sich in Reparaturcafés dem Aufspüren von defekten Bauteilen in elektrischen und elektronischen Geräten zu widmen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Einst war Heinz Roitsch als Elektroingenieur in der Serverentwicklung tätig. Jetzt hat der 67-Jährige als Rentner Zeit und Lust, sich in Reparaturcafés dem Aufspüren von defekten Bauteilen in elektrischen und elektronischen Geräten zu widmen. Foto: Alexander Becher

Von Florian Muhl

Rems-Murr. Fünf Schrauben sind bereits gelöst, jetzt noch einige Umdrehungen bei der letzten Schraube, dann kann Heinz Roitsch den Deckel des in die Jahre gekommenen digitalen Kabelreceivers hochlupfen. Das Innenleben der handlichen Blechkiste, die zahlreiche elektronische Bauteile enthält, kann nicht verheimlichen: Hier ist die wöchentliche Kehrwoche stets spurlos vorbeigegangen. Staub und Fussel haben sich ungeniert auf Widerständen und Leiterbahnen niedergelassen. Heinz Roitsch greift in eine seiner beiden großen und professionell ausschauenden Werkzeugkisten und zieht einen Pinsel hervor. „Gehen Sie damit bitte vor die Tür und säubern Sie das Innere bitte vorsichtig“, sagt er zu Simon Schreiber, dem Besitzer des TV-Empfängers.

Mit vorsichtigen Pinselschwüngen ist der Staub rasch entfernt. Simon Schreiber ist zufrieden. Der 41-Jährige ist ins Reparaturcafé im Backnanger Awo-Keller gekommen, weil sein Receiver kränkelt. Er lässt sich zwar einschalten, verweigert dann aber seinen Dienst. Der Backnanger benötigt den Receiver nicht unbedingt, nur für den Zweitfernseher. Aber einfach wegwerfen? Nein. Der gelernte Einzelhandelskaufmann erinnerte sich daran, dass er vom Reparaturcafé gelesen hatte, packte seinen kleinen Patienten ein und steuerte Gewölbekeller der Awo an.

Der Fehler liegt im Netzteil. Dort hat es dem Kondensator das Leben gekostet

Der in Arztpraxen übliche Ausruf „Der Nächste bitte!“ blieb aus, denn an diesem Tag sind mehr ehrenamtliche Fachleute als Hilfesuchende in die Aspacher Straße 32 gekommen. Einer von den Experten ist Heinz Roitsch. Über den offenen Receiver gebeugt und mit einem Messgerät an seiner Seite sagt der 67-jährige Elektrotechnikingenieur mehr zu sich selbst: „Er zieht noch Strom..., der geht noch in den Stand-by...“ Bereits vor dem Öffnen des Geräts hatte der Rentner eine Vermutung, die sich jetzt bestätigt: Der Fehler liegt im Netzteil. „Im Gleichspannungsbereich hats hier dem Elektrolytkondensator das Leben gekostet“, diagnostiziert der gebürtige Nordrhein-Westfale. Das hat er an dessen gewölbter Oberfläche festgestellt.

Natürlich wird wieder gemessen, damit der Defekt eindeutig bestimmt ist und auch ausgeschlossen werden kann, dass nicht mehr passiert ist, eventuell benachbarte Dioden einen Schlag haben. Bei dieser Arbeit sollte man allerdings höchste Vorsicht walten lassen, denn auch wenn der Netzstecker gezogen ist, könnte man noch ordentlich eine gewischt bekommen, denn der Kondensator könnte noch geladen sein. „Entweder es gibt einen entsprechenden Entladewiderstand oder man bleibt mit den Fingern da weg“, sagt Heinz Roitsch.

Für wenige Cent ist das kaputte Bauteil ausgetauscht

„Kann man den noch reparieren?“, fragt Simon Schreiber vorsichtig. Jetzt zahlt sich aus, dass der ehrenamtliche Experte so professionell und umfangreich ausgestattet ist. Er zieht eine fein untergliederte kleine Kiste hervor. Darin enthalten ist ein Sortiment von 550 neuen Kondensatoren, gekostet hat sie ihn 16 Euro. Jetzt lötet der 67-Jährige das defekte Bauteil heraus, findet rasch ein passendes Ersatzteil und greift erneut zu seinem Lötkolben. Innerhalb weniger Minuten sitzt der drei Cent teure neue Kondensator an seinem Bestimmungsort. Während Heinz Roitsch wieder zu seinem Hightech-Lötkolben greift, will Simon Schreiber von ihm wissen: „Woher wissen Sie das alles?“ – „Mit zwölf Jahren hab’ ich schon mit Elektronik losgelegt, dann Elektrotechnik studiert, Fachrichtung EDV, und hab’ dann in der Entwicklung gearbeitet, bei Siemens und bei der Firma Fujitsu zum Schluss.“ Das sei sein Hobby, meint der Rentner. „Ich wollte schon immer bei einem Repaircafé helfen.“

Aber dort, wo er den größten Teil seines Arbeitslebens verbracht hat, in der Gegend von Augsburg in Bayern, da gebe es nicht so viele. Nach Backnang sind er und seine Frau gekommen, weil die Tochter und auch die beiden Enkel hier leben. „Ich repariere alles. Ich schmeiße erst weg, wenn sichs gar nicht mehr lohnt.“ Aber an diesem Abend war sein Eingriff erfolgreich, der Receiver funktioniert wieder. Simon Schreiber ist zufrieden. Das defekte Bauteil hat nur drei Cent gekostet. Ein Vielfaches davon wirft der glückliche Reparaturcafébesucher ins Sparschwein.

Während dieses Receiver-Eingriffs hatten die anderen Helfer an benachbarten Tischen auch einiges zu tun, denn ein knappes Dutzend Bürger hatte ebenfalls sein krankes Schätzchen eingepackt, um es von Expertenhand behandeln zu lassen. So erhielt beispielsweise ein Staubsauger einen neuen Motor.

Ein normaler Bodenstaubsauger ist nicht fürs Nasssaugen geeignet

„Der Besitzer des defekten Saugers war schon einmal da und meinte, sein Sohn habe mit dem funkelnagelneuen Gerät in der Küche nass gesaugt“, sagt Ullrich Naumann. „Das hat der normale Bodenstaubsauger natürlich nicht vertragen. Es hat dann im Inneren plötzlich geknallt und gefunkt“, so der 78-Jährige weiter. Ullrich Naumann, ehemaliger langjähriger Vorsitzender der Awo Backnang, hat das Reparaturcafé vor acht Jahren gegründet und hat den Überblick über alle Tätigkeiten. So seien an diesem Abend auch diverse Kassetten- und Videorekorder mit Antriebsproblemen in Gang gesetzt worden, die jeweils einen neuen Riemen benötigten. In Behandlung waren auch eine Kettensäge und ein Hochentaster.

„Es gibt Tage, da wird man fast depressiv, weil man nichts zum Laufen bringt, dann ein anderes Mal verlassen drei von vier Geräten den Raum, die wieder funktionieren“, weiß Naumann aus Erfahrung. „Im Schnitt sind wir etwa in 50 Prozent der Fälle erfolgreich, mindestens.“ Der Backnanger ärgert sich über die zunehmende Wegwerfmentalität und freut sich deshalb um so mehr über den Gesetzentwurf für ein „Recht auf Reparatur“, den die Europäische Union dieser Tage vorgelegt hat. Demnach sollen künftig Hersteller und Händler von Neuwaren dazu verpflichtet werden, Reparaturen auch nach Ende der allgemeinen Gewährleistungsfrist von zwei Jahren anzubieten und Ersatzteile vorzuhalten.

Manchmal sind auch Bedienungsfehler das Problem

Aber aus Erfahrung weiß Ullrich Naumann: „Es ist nicht immer etwas kaputt, es sind oft auch Fehlbedienungen oder dass irgendwo unwissend etwas verstellt wurde. Vorhin zum Beispiel war eine Frau mit einem Bosch-Quirl da und sagte: Der blockiert, der geht nicht.“ Der 78-Jährige hat sich das Rührwerk zuerst mal angeschaut. „Eingesteckt, grünes Lämpchen leuchtet, schaltete ein und er lief“, sagt er. Die Frau war ganz entgeistert und verblüfft. „Der Schalter ging etwas schwer und sie hatte einfach den Widerstand nicht überwinden können. Dann, mit einer anderen Daumenhaltung, hat auch sie es geschafft.“

Reparaturcafés in Backnang und Umgebung

Reparaturcafés Kostenlos repariert wird in Backnang und Umlandgemeinden. Andere Repaircafés findet man unter www.abfallwirtschaft-rems-murr.de

Backnang Das Awo-Reparaturcafé öffnet immer am letzten Dienstag im Monat, das nächste Mal am 25. April, jeweils von 17 bis 20 Uhr im Gewölbekeller der Awo, Aspacher Straße 32.

Burgstetten Veranstaltungsort für das Café der Gemeindeverwaltung ist das Florian-Haus in der Rilkestraße 29 in Erbstetten. Die Öffnungszeiten sind jeweils von 17.30 bis 19.30 Uhr an folgenden Terminen: 17.4., 15.5., 12.6., 17.7., 18.9., 16.10., 13.11. und 11.12.

Oppenweiler Die lokale Agendagruppe unter dem Dach der Gemeinde Oppenweiler veranstaltet den Reparaturtreff im Untergeschoss der Murrtalschule (Werkraum) jeweils von 16 bis 19 Uhr. Die nächsten Termine sind am: 11.5., 15.4., 13.7., 14.9., 12.10., 9.11. und 14.12. Kaffeevollautomaten sind ausgeschlossen.

Weissach im Tal Das Reparaturcafé findet abwechselnd im Dorftreff Cottenweiler, Heutensbacher Straße 3 jeweils von 17.30 bis 20 Uhr und im Bildungszentrum in Cottenweiler jeweils von 15 bis 18 Uhr statt: im Dorftreff am 31.3., 26.5., 28.7. und 27.10. und im Bildungszentrum am 28.4., 30.6., 29.9. und 24.11.

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Erstellt:
12. April 2023, 06:00 Uhr

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