Schöffenwahl: Richterinnen und Richter ohne Robe

Die Schöffenwahl für die Amtsperiode 2024 bis 2028 steht vor der Tür. Bewerben kann man sich jetzt schon in seinem jeweiligen Wohnort. Vier ehrenamtliche Richterinnen und Richter aus dem Raum Backnang berichten über ihre Tätigkeit. Drei von ihnen haben sich schon wieder beworben.

Vier von über 20 Schöffinnen und Schöffen, die in Backnang noch (mindestens) bis Jahresende ihr Schöffenamt bekleiden (von links): Heike Heinze-Kühnle (Allmersbach im Tal), Beatrice Blum-Hepp (Auenwald), Wolfgang Martin (Aspach) und Anke Mohr (Murrhardt). Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Vier von über 20 Schöffinnen und Schöffen, die in Backnang noch (mindestens) bis Jahresende ihr Schöffenamt bekleiden (von links): Heike Heinze-Kühnle (Allmersbach im Tal), Beatrice Blum-Hepp (Auenwald), Wolfgang Martin (Aspach) und Anke Mohr (Murrhardt). Foto: Alexander Becher

Von Florian Muhl

Rems-Murr. „Im Namen des Volkes ergeht das folgende Urteil“, heißt es am Ende jeder Gerichtsverhandlung. An der Urteilsfindung sind oft auch Laienrichter beteiligt. Mit ihrem Amt übernehmen sie eine verantwortungsvolle Aufgabe in der Strafrechtspflege. Die Schöffen bringen Volksmeinung in Gerichtsverfahren ein und entscheiden mit über Schuld und Strafe. Das Schöffenamt verlangt in hohem Maß Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Urteilsvermögen, aber auch geistige Beweglichkeit und körperliche Eignung. Derzeit sind allerorten Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, sich für das Amt zu bewerben. Drei aktive Schöffinnen und ein Schöffe aus dem Raum Backnang berichten über ihre Erfahrungen.

„Ich sehe meine Aufgabe darin, zu versuchen, dass dem Verurteilten auch geholfen wird“, sagt Anke Mohr. „Ich will zum Beispiel immer, dass der einen Bewährungshelfer kriegt oder in eine Entzugsklinik kommt oder eine Suchtberatung bekommt, dass der irgendeine Unterstützung erhält und nicht in einem Jahr wieder bei uns aufschlägt“, so die Mutter dreier erwachsener Kinder aus Murrhardt weiter.

Ähnlich argumentiert Beatrice Blum-Hepp. „Wir müssen nicht nur ein Urteil treffen, sondern den Menschen eine Perspektive geben. Wir diskutieren oft darüber, was den Verurteilten wirklich weiterhelfen kann, und das befriedigt mich“, so die selbstständige Steuerberaterin aus Hohnweiler. Und ein kurzes Fazit ihrer bisher gut vierjährigen Tätigkeit am Backnanger Amtsgericht zieht die 59-Jährige: „Ich bin jetzt noch nie aus einer Verhandlung herausgekommen und war unzufrieden mit irgendeinem Urteil.“ Die Mutter zweier Söhne berichtet über konstruktive Urteilsfindungen: „Wir haben auch schon als Schöffen angeregt, den Fall unter einer anderen Perspektive zu sehen, und haben so den Urteilsvorschlag verändert oder ergänzt.“ Das sei ja eigentlich auch ihr Job, sagt Blum-Hepp. „Wir wissen ja nicht, um was es geht, wenn wir in die Verhandlung gehen.“

Drei der vier Schöffen haben sich schon für die neue Amtsperiode beworben

Das bestätigt Wolfgang Martin. „Die Unvoreingenommenheit ist wichtig, dass man reingeht, ohne zu wissen, um was es da geht“, sagt der 66-Jährige. „Eine Viertelstunde vor Verhandlungsbeginn gibt der Richter eine kurze Zusammenfassung des Falles, worum es geht“, erläutert der Aspacher, der ebenfalls seit gut vier Jahren Schöffe ist. Nicht nur er, sondern auch Beatrice Blum-Hepp und Heike Heinze-Kühnle aus Allmersbach im Tal haben sich bereits für die kommende Schöffenamtsperiode 2024 bis 2028 beworben. Alle drei sind Hauptschöffen.

Das Gesetz unterscheidet zwischen Hauptschöffen, Ersatzschöffen und Ergänzungsschöffen. Zunächst sind ausschließlich die Hauptschöffen zur Mitwirkung im Strafverfahren berufen. Anke Mohr ist die einzige Ersatzschöffin (auch Hilfsschöffin) im Quartett. Sie tritt dann an die Stelle des Hauptschöffen, wenn dieser – etwa wegen Krankheit – für eine Teilnahme an Sitzungen nicht zur Verfügung steht. „Die Hauptschöffen bekommen schon im Vorhinein für das ganze Jahr ihre eventuellen Termine“, sagt Mohr. Das waren in Backnang rund 16 Termine, in der Regel donnerstags oder auch montags, von denen aber nicht alle stattgefunden haben. Auf geplante Urlaubs- oder Kurtermine nimmt das Gericht aber Rücksicht. „Ich als Hilfsschöffe, ich werde gerufen, wenn einer von den Hauptschöffen ausfällt“, sagt Mohr. „Das kann sein, ich bekomme 14 Tage vorher eine schriftliche Nachricht, dass ich eine Verhandlung habe, es kann aber auch sein, ich werde morgens um 9 im Büro angerufen: Seien Sie um 11 Uhr da. Und das ist natürlich ein bisschen schwierig“, so die Murrhardterin weiter. In einem Fall habe sie bei einer so kurzfristigen Anfrage absagen müssen, die Verhandlung ist letztlich ausgefallen.

Das Schöffenamt ist nicht immer einfach

Aus beruflichen Gründen – Anke Mohr ist Finanzchefin bei einem Film- und Animationsstudio in Stuttgart – bewirbt sich die Diplombetriebswirtin nicht erneut. Sie bekennt auch, dass das Schöffenamt, das sie gerne ausübt, nicht immer einfach ist. „Mein erster Angeklagter kam in Fußfesseln aus der JVA Stammheim, da war ich erst mal geschockt. Und wir mussten ihn auch wieder zurück ins Gefängnis schicken. Das muss man erst mal als Mensch verkraften können.“ Einen Menschen ins Gefängnis zu schicken, das findet sie schon schwer.

Zustimmend sagt Wolfgang Martin: „Ich gehe nach einer Verhandlung oft eine halbe Stunde spazieren. Wie ich noch gearbeitet habe, war’s für mich schwierig, sofort vom Amtsgericht vor den PC zu sitzen und in die Telefonkonferenz.“ Der Hobbysegler hat nach eigener Aussage „schon immer so einen Gerechtigkeitstick“. Aus diesem Grund habe er auch seinen Job gewählt. Bei Bosch war er bis vor einem Jahr für die Cyber-Security zuständig. Auf gut Deutsch hat er dafür gesorgt, dass hochpreisige Luxusschlitten nicht von Hackern übernommen werden konnten. Sein Motto lautet: „Die Guten belohnen und die Bösen, die sich nicht an Regeln halten, bestrafen.“

Das Bild von einem Angeklagten kann sich in der Verhandlung total wandeln

Am längsten als ehrenamtliche Richterin tätig ist Heike Heinze-Kühnle. Sie befindet sich schon in ihrer dritten Amtsperiode. „Ich war zu der Zeit im Gemeinderat, als nach Schöffen gesucht worden ist, und da hab’ ich gedacht, das interessiert mich.“ Das war im Jahr 2008. Die 54-Jährige sagt: „Ich bin immer mal wieder überrascht, wenn ich die Leute so sehe und denke, das hätte ich jetzt hinter dem oder der Angeklagten einfach nicht vermutet, weil sie oft so ganz und gar brav aussehen, und dann... die Abgründe halt doch da sind.“

„Ich hatte mal einen Fall, in dem sich ein Bild von einer Angeklagten während der Verhandlung total gewandelt hat“, erzählt Beatrice Blum-Hepp. „Die Frau war angeklagt wegen Rauschgifthandels. Es hat sich dann herausgestellt, dass sie ihre Oma mit Pflegegrad vier pflegt. Und ich dachte: Die hat die ganzen Prüfungen vom medizinischen Dienst bestanden, da kann sie sich trotz ihrer Sucht am Riemen reißen.“

Die krasseste Erfahrung: Ein Schiebetermin

„Das Gravierendste“, wie Wolfgang Martin sagt, war für ihn ein Enkeltrickprozess. „Ich war ganz normal geladen. Mir wurde im Vorfeld gesagt: Das ist nur ein Schiebetermin. Es kamen alle, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, die Angeklagte wurde von drei Beamten in Handschellen aus der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd vorgeführt, alle standen auf, der Richter eröffnet die Sitzung: Sind alle da? Ja. Also dann, auf Wiedersehen, die Sitzung ist wieder beendet.“ Der Aspacher war geschockt. Als Schiebetermin wird ein kurzer Gerichtstermin bezeichnet, der dazu dient, eine Fortsetzung der Hauptverhandlung innerhalb der Frist zu gewährleisten. „So was erstaunt einen als Normalbürger, denn so ein Termin verursacht ja immense Kosten“, sagt Martin zu seiner „krassesten Erfahrung“.

Wissenswertes rund um die Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter

Schöffenwahl Die Amtszeit der Schöffen für die Geschäftsjahre 2019 bis 2023 endet am 31. Dezember. Jetzt können sich Bürgerinnen und Bürger für die Amtsperiode 2024 bis 2028 als Schöffe zur Wahl stellen.

Aufgaben Mit ihrer Lebens- und Berufserfahrung garantieren Schöffinnen und Schöffen eine Rechtsprechung, die lebensnah und allgemein verständlich ist, und sie stärken das Vertrauen in die Justiz. Sie entscheiden mit den Berufsrichterinnen und Berufsrichtern über Schuld- und Straffragen bei allen schwerwiegenden, umfangreichen und bedeutsamen Anklagevorwürfen.

Bewerbung Wer das Schöffenamt ausüben will, muss sich rechtzeitig bei seiner Wohnortgemeinde bewerben, in Backnang beispielsweise bis zum 21. April (Bewerbungsformular abrufbar: www.backnang.de), in Althütte bis zum 2. Juni. Melden können sich deutsche Bürgerinnen und Bürger, die am 1. Januar 2024 das 25. Lebensjahr vollendet haben und nicht älter als 69 Jahre sind.

Ablehnung Personen, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen für das Amt nicht geeignet sind, die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen oder in ungeordnete finanzielle Umstände geraten sind, sollen nicht berufen werden. Ausgeschlossen sind zudem Personen, die wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sind, sowie einige Berufsgruppen wie Mitarbeiter des Strafvollzugs, Rechtsanwälte, Polizeibeamte sowie Pfarrer.

Verfahrensablauf Der Gemeinderat entscheidet, wer aus dem Kreis der Bewerberinnen und Bewerber in die Vorschlagsliste aufgenommen wird, die in der Folge dem Amtsgericht Backnang übersandt wird. Dort wird im Spätsommer die eigentliche Schöffenwahl durchgeführt.

Entschädigung Die Schöffen werden für Zeitversäumnis und Verdienstausfall entschädigt.

Informationen Weitere Informationen gibt es unter www.justiz-bw.de/Schoeffenwahl+2023.

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Erstellt:
6. März 2023, 06:00 Uhr

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