Runter von der Rasierklinge

Mutmacher-Geschichten: Alkohol, Haschisch, LSD, Kokain, Heroin – Eric Bachert hat früher kaum eine Droge ausgelassen. Der Weg aus der Sucht war hart und dauerte viele Jahre. Seit 2007 ist der Backnanger clean.

Die Skulptur des spanischen Künstlers Antonio de Andrés-Gayón hat Eric Bachert gekauft, weil er darin sein Leben wiedererkennt. Durch den Drogenkonsum hatte er völlig abgehoben, bis seine heutige Frau ihn wieder auf den Boden zurückgeholt hat. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Die Skulptur des spanischen Künstlers Antonio de Andrés-Gayón hat Eric Bachert gekauft, weil er darin sein Leben wiedererkennt. Durch den Drogenkonsum hatte er völlig abgehoben, bis seine heutige Frau ihn wieder auf den Boden zurückgeholt hat. Foto: J. Fiedler

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. „Mein Leben ist ein Monument des Scheiterns.“ Eric Bachert wirkt eher amüsiert als deprimiert, wenn er das sagt, und fügt hinzu: „Heute bin ich sehr glücklich und zufrieden“. Der 56-Jährige sitzt am Esstisch einer aufgeräumten Backnanger Vorstadtwohnung. Hier lebt er zusammen mit seiner Frau das bürgerliche Leben, von dem er geglaubt hatte, dass er es niemals haben würde. Aber es gibt auch noch die alte Junggesellenbude mit den vielen Büchern, direkt gegenüber vom Rathaus. Früher fuhr dort regelmäßig der Rettungswagen vor, um Bachert nach seinen Exzessen ins Krankenhaus einzuliefern. Heute nutzt er die Räume als Büro für seine Firma und als Rückzugsort, wenn es ihm daheim zu turbulent wird, weil mal wieder die erwachsenen Töchter seiner Frau mit ihren Kindern zu Besuch sind.

Eric Bachert ist dankbar dafür, dass er überhaupt noch da ist. Viele seiner alten Freunde und Weggefährten sind durch Rauschgift gestorben, versehentlich oder mit voller Absicht wie sein jüngerer Bruder, der unter Depressionen litt und sich 1997 den „goldenen Schuss“ setzte. Auch bei ihm selbst stand es Spitz auf Knopf: Einmal fanden ihn Passanten in einem Backnanger Parkhaus mit einer lebensbedrohlichen Mischung aus Alkohol und Methadon im Blut. Im Backnanger Krankenhaus mussten sie ihn wiederbeleben.

Dabei hat Eric Bachert immer geglaubt, er habe das mit den Drogen im Griff. Mit 15 raucht der Backnanger seinen ersten Joint auf dem Balkon eines Kumpels. Die Jungs lieben Rockmusik, Bachert ist großer Fan der Rolling Stones, kiffen gehört für ihn zum Rockerleben dazu. Aber in seiner Clique probieren sie auch anderes Zeug: Im Wochenendhaus eines Freundes kochen sie Kakteen, um daraus Mescalin zu gewinnen, auch mit Tollkirschen und Fliegenpilzen wird experimentiert. „Das war unser Freizeitvergnügen am Wochenende“, erinnert er sich. Montags geht es dann wieder zum Lernen ins Tausgymnasium.

Lange glaubt Bachert, er habealles im Griff, dann stürzt er ab.

Doch schon damals merkt Eric Bachert, dass die bewusstseinserweiternden Stoffe auf ihn eine noch größere Faszination ausüben als auf seine Freunde. Er liest Bücher über den LSD-Erfinder Albert Hofmann und „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Die Geschichte über heroinsüchtige Jugendliche in Berlin wurde geschrieben, um vor den Gefahren des Rauschgifts zu warnen, bei Bachert hat sie die gegenteilige Wirkung: „Mich hat das total angezogen. Das wollte ich unbedingt ausprobieren.“ Über einen Freund besorgt er sich Heroin und erlebt „das beste Gefühl, das ich in meinem Leben je hatte“. Aber so ein Trip ist teuer: Bachert gönnt ihn sich nur ein-, zweimal im Monat und glaubt, er habe alles unter Kontrolle. „Ich habe damit kokettiert, dass ich auf der Rasierklinge reite.“

Nach Abitur und Zivildienst studiert er Politikwissenschaften und plant eine politische Karriere: Eric Bachert tritt in die SPD ein, mit 24 wird er als jüngster Stadtrat in den Backnanger Gemeinderat gewählt, bei den Jusos ist er zeitweise der Landesgeschäftsführer. Eine Zukunft als Abgeordneter im Landtag oder Bundestag scheint möglich. Doch die Drogen bleiben sein ständiger Begleiter und die Sucht nimmt schleichend Besitz von ihm. Wenn er sich nach dem Aufstehen nicht gut fühlt, schnupft er nun auch schon mal morgens eine Linie, irgendwann braucht er jeden Tag seinen Stoff. Um seine Trips zu finanzieren, beginnt er zu dealen. Im Gemeinderat stimmt er zugleich für das Programm „Drogenfreie Innenstadt“. „Das war totaler Irrsinn, ich habe mich selbst belogen“, sagt er rückblickend.

Das Studium bricht Eric Bachert ab, macht stattdessen eine Banklehre. An den Wochenenden feiert er weiter wilde Partys – manchmal von Freitagabend bis Sonntagmittag ohne Pause. Kokain und Ecstasy halten ihn wach. Montags zieht er dann wieder Anzug und Krawatte an und berät Firmenkunden, die eine Finanzierung brauchen. Doch das Doppelleben endet, als eines Tages fünf Polizeibeamte und ein Drogenspürhund vor seinem Haus stehen. In der Wohnung finden sie Heroin und leere Spritzen, Eric Bachert muss vor Gericht, bekommt sechs Monate auf Bewährung, sein Amt als Stadtrat legt er nieder. Doch von den Drogen kommt er nicht mehr los. Statt Karriere in der Politik zu machen, jobbt er als Flugbegleiter, versucht eine Substitution mit Methadon und findet schließlich Zuflucht in der legalen Droge Alkohol. Als er seine Arbeit verliert und seine Beziehung zerbricht, gerät die Situation endgültig außer Kontrolle.

Eric Bachert trinkt jetzt Wodka aus Wassergläsern – bis zu sechs Flaschen am Tag. Wenn er kein Geld hat, stiehlt er den Schnaps im Supermarkt. Er, der sein Leben lang dünn war, nimmt 27 Kilo zu, hat kaum noch soziale Kontakte. Im Vollrausch landet er mehrfach im Krankenhaus, einmal messen die Ärzte in seinem Blut unglaubliche 8,2 Promille. Eric Bachert ekelt sich vor sich selbst, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. An manchen Tagen muss er auf allen vieren vom Bett zur Toilette robben, weil seine Beine ihren Dienst versagen. „Ich war total entmenscht, nur noch Biomasse.“

Im Garten der Suchtkliniktrifft er die Frau seines Lebens.

In verschiedenen Kliniken versucht er den Entzug, doch der Erfolg der Therapien ist zunächst überschaubar. Bachert bezeichnet sich selbst als „Drehtürpatienten“ – kaum entlassen, ist er schon wieder da. Manchmal führt ihn der erste Weg von der Klinik direkt zum Schnapsregal im nächsten Supermarkt. Die Wende kommt, als er 2006 im Garten der Suchtklinik in Winnenden einer Frau begegnet, die dort als Heilpädagogin arbeit. Die beiden verlieben sich, aber Bachert ist klar: Sie haben nur eine gemeinsame Zukunft, wenn er seine Sucht besiegt. Jetzt ist sein Wille geweckt und er hat einen Menschen an seiner Seite, der ihn dabei unterstützt. „Eva war der größte Glücksfall meines Lebens. Sie ist meine Kraftquelle“, sagt Bachert über die Frau, mit der er seit 2007 verheiratet ist. Und Kraft braucht er reichlich, um nach 20 Jahren auf Drogen clean zu werden und es auch zu bleiben. Aber Eric Bachert schafft es: Seit 14 Jahren hat er nichts mehr genommen. Befreit von dem Ballast, baut er sich auch beruflich eine neue Existenz auf: Heute arbeitet der 56-Jährige als selbstständiger Veranstaltungstechniker und führt die Geschäfte der Stuttgarter Theaterhaus-Stiftung. Im Kulturbetrieb fühlt er sich auch deshalb so wohl, weil dort nur seine Arbeit zählt und seine Biografie keine Rolle spielt.

Eric Bachert hat seine Vergangenheit hinter sich gelassen, aber er hadert nicht mit ihr. „Ich glaube, alles, was im Leben passiert, hat seinen Sinn.“ Und schließlich hätte er ohne seinen Absturz ja nie die Frau seines Lebens getroffen. Die Gedanken an den Rausch, sie kämen auch heute noch manchmal hoch, gibt Eric Bachert zu. Aber er hat gelernt, damit umzugehen. Sein neues Lebensziel hat er bereits definiert: „Ich möchte 100 werden – bei vollem Bewusstsein.“

In der Serie Mutmacher-Geschichten berichten wir über Menschen, die ihr Glück gefunden haben, die schwierige Situationen gemeistert und ihre Träume verwirklicht haben. Damit setzen wir einen Gegenpol zu all den negativen Nachrichten, die jeden Tag in der Zeitung stehen.

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Erstellt:
29. Mai 2021, 11:30 Uhr

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