„Schmerzhafte, aber notwendige Eingriffe“

Das Interview: Das zweite Jahr in Folge kann Ostern, das wichtigste christliche Fest, nicht so gefeiert werden wie normalerweise. Dekan Wilfried Braun berichtet, was möglich ist und wie die Feierlichkeiten in seinem Kirchenbezirk aussehen werden.

Dekan Wilfried Braun steht vor dem Baugerüst der Stiftskirche in Backnang. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Dekan Wilfried Braun steht vor dem Baugerüst der Stiftskirche in Backnang. Foto: A. Becher

Von Melanie Maier

Herr Braun, Ostern steht kurz bevor. Können die Gottesdienste wie geplant stattfinden?

Sie wissen ja, dass man in diesen Zeiten sehr auf Sicht fahren muss. Das heißt, man kann immer nur sagen: mit Wahrscheinlichkeit. Aber Stand heute (Anm. d. Red.: am vergangenen Montag) ist es so, dass viele Gottesdienste unter sehr strengen Vorgaben und Sicherheitsvorkehrungen stattfinden können werden.1

Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen aus?

Vieles wurde reduziert, ausgedünnt oder anlässlich der Situation umgestellt – zum Beispiel sind fast durchgehend Anmeldungen erforderlich für die Gottesdienste. Dann gelten natürlich die Hygienevorschriften – es müssen zwei Meter Abstand gehalten werden, es gilt das verpflichtende Tragen einer FFP2-Maske, es darf nur eine bestimmte Anzahl von Plätzen belegt werden und so weiter. All diese Beschränkungen werden immer eher eine Stufe strenger gehandhabt als vorgeschrieben. Ein Beispiel: Einige Gemeinden haben längst den Gemeindegesang auch beim Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung ausgesetzt. Da gibt es einige sehr schmerzhafte, aber ich glaube in dieser Zeit einfach auch notwendige und verantwortliche Eingriffe.

Wie sieht es mit medizinischen Masken aus?

Wir legen den Schwerpunkt auf FFP2-Masken, aber wenn jemand mit medizinischer Maske kommt, werden wir ihn auch nicht zurückweisen.

Finden sämtliche Ostergottesdienste im
Kirchenbezirk vor Ort statt?

Nein. Es gibt Gemeinden, die sagen: Aufgrund unserer Lage vor Ort bieten wir nur Online-Gottesdienste an. Das ist in drei Kirchengemeinden im Kirchenbezirk der Fall: In Backnang ist es die Matthäusgemeinde, im Kirchenbezirk Oppenweiler und Sulzbach-Spiegelberg.

Die Entscheidung lag jeweils beim Kirchengemeinderat. Dass relativ viele Gottesdienste in präsentischer Form stattfinden werden, hing an den vergleichsweise niedrigen Inzidenzzahlen noch vor wenigen Tagen. Da hatten wir ja eine Zeit lang um die 70 und damit noch nicht die Veranlassung, oberkirchenrätliche oder dekanatamtliche dringende Empfehlungen herauszugeben. Wenn wir damals schon bei 150 oder noch höher gewesen wären, hätte das anders ausgesehen.

Ab welcher Zahl hätten Sie eingegriffen?

Wir sagen: Ab einer Inzidenz von 100 wird auf jeden Fall eingehend geprüft, ob man nicht auf alternative Gottesdienstformen ausweichen kann. Wenn man dann aber zu dem Schluss kommt, dass die Situation vor Ort das zulässt und die Sicherheitsvorkehrungen so gut sind, halte ich es für wichtig, Gottesdienste auch präsentisch halten zu dürfen.

Ist Ihnen das an Ostern, dem Höhepunkt des Kirchenjahres, besonders wichtig?

Ja. Ostern ist das wichtigste Fest der Christenheit. Es geht zentral um die Auferstehung Jesu Christi und den Sieg über den Tod. Das ist auch die elementarste Osterbotschaft: Neuen Mut zu fassen, auch in schwierigen Zeiten nicht den Kopf hängen zu lassen oder gar in den Sand zu stecken. Diese Botschaft ist in diesen Zeiten natürlich besonders wichtig. Und gerade darum ist es wichtig, ermutigende Formate für die Menschen zu finden. Das Angebot präsentischer Gottesdienste ist außerordentlich ermutigend für die Leute. Diese Rückmeldung habe ich in den letzten Monaten oft bekommen. Und es haben mir auch immer wieder Ärztinnen bestätigt, dass sie von einem solchen Gottesdienst kein Infektionsrisiko ausgehen sehen, weil die Sicherheitsvorkehrungen so hoch sind.

Hätten Sie ein Verbot der Präsenzgottesdienste problematisch gefunden?

Ein absolutes Verbot hätte ich problematisch gefunden. Es gibt ja das Mitdenken der Kirchen seit Anfang dieser Pandemie und im letzten Jahr über Ostern haben die Kirchen ja auch gezeigt, dass sie solidarische Zeichen setzen und in einer Ausnahmesituation auch ganz auf den Gottesdienst verzichten können. Und so wäre das bei einer Inzidenzzahl über 300 ja auch der Fall, wie man etwa an unserem Nachbarkirchenbezirk Schwäbisch Hall sieht. Aber wo es verantwortbar und möglich ist, finde ich es wichtig, auch die Möglichkeit zu präsentischen Gottesdiensten zuzulassen. Im Rems-Murr-Kreis werden wir die 300er-Marke vor Ostern, was das jetzige Abschätzen angeht, auf jeden Fall nicht überschreiten.1

Welche alternativen Formen gibt es?

Zum Beispiel werden wir in der Stiftskirchengemeinde den Gründonnerstagsgottesdienst komplett als Abendmahl zu Hause feiern. Wir werden eine Liturgie zur Verfügung stellen, mit der die Gemeindemitglieder zum gleichen Zeitpunkt miteinander feiern können. Dazu wird es eine Telefonübertragung geben. Das haben wir letztes Jahr das erste Mal gemacht. Das war sonst noch gar nie in meinen ganzen fast 40 Jahren Pfarrdienst der Fall. Am Gründonnerstag war immer Gemeindeabendmahl.

Welche weiteren Aktionen haben sich die
Gemeinden für die Osterfeiertage überlegt?

Ganz viele. Wir haben die Online-Angebote deutlich hochgefahren, um Menschen nicht alleinzulassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Gottesdienste online mitzufeiern. Es gibt zum Beispiel den ökumenischen Kreuzweg „to go“, der in 14 Stationen durch Backnang führt und in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirchengemeinde entstanden ist. Dann gibt es einen Kreuz- und Osterweg insbesondere für Familien, eine interaktive Erlebnisrallye mit der Actionbound-App. Außerdem wird es einen „Come to the Cross“-Online-Gottesdienst für die Jugend geben. Er wird am Karfreitag um 18 Uhr aus der evangelischen Kirche Großaspach übertragen. Und aus Murrhardt wird es am Ostersonntag um 10 Uhr einen Online-Bezirksgottesdienst geben. 1

Inwieweit unterscheidet sich die aktuelle
Situation vor Ostern von der 2020?

Was die Erkenntnis angeht, sind wir ein ganzes Stück weiter. Man weiß jetzt zum Beispiel, dass die Übertragung nicht so sehr von haptischer Berührung herrührt, sondern eher von den Aerosolen. Daher kommt etwa das vorsorgliche Verzichten auf das Singen. Ich habe vor einem Jahr an Ostern noch die deutliche Hoffnung geäußert, dass man an Pfingsten wieder gemeinsam singen können möge. Das ist nicht passiert. Und jetzt wissen wir, dass gerade das Verzichten darauf eine ziemlich große Rolle spielt. Das andere ist, dass wir auch in Sachen Schutz eingeübt sind, dass wir eingespielte Mechanismen haben. Im vergangenen Jahr gab es auch noch mehr Unsicherheiten über den Verlauf der Pandemie, aber natürlich auch noch eine wesentlich größere Hoffnung auf ein baldiges Abflauen. Das muss man auch dazusagen.

Wie werden Sie persönlich Ostern feiern?

Familiär werden wir natürlich schmerzhafte Einschränkungen haben. Die Osterfeiertage werden auf kleiner Flamme gekocht, was die Begegnungen angeht.

Und wie sieht es dienstlich aus?

Auch dienstlich wird es Einschränkungen geben. Am Gründonnerstag werden meine Frau und ich, wie schon erwähnt, das Abendmahl zu Hause feiern. Am Karfreitag wird meine Frau Gottesdienst halten im Gemeindehaus Heininger Weg. Ich werde nicht hingehen wie sonst normalerweise. Ich werde auch keinen zweiten Abendmahlsgottesdienst halten, wie wir es eigentlich geplant hatten. Das Osterfeuer und die Osternacht werden in kleinem Kreis von meiner Frau gefeiert. Die Auferstehungsfeier auf dem Stadtfriedhof im Freien werde ich halten. Den Gottesdienst im Gemeindehaus Heininger Weg um 10 Uhr wird meine Frau dann auch draußen, in dem schönen, großen Garten halten.

Wilfried Braun

Wilfried Braun wurde 1958 in Baden-Baden geboren. Sein Abitur machte er 1977 in
Nagold. Nach seinem Theologiestudium in Bethel, Tübingen, Zürich und Lausanne war Braun von 1984 bis 1987 Vikar an der
Rosenbergkirche in Stuttgart.

Von 1989 bis 1997 war Braun Pfarrvikar und Pfarrer in Flözlingen-Zimmern (Dekanat Tuttlingen), von 1997 bis 2010 geschäftsführender Pfarrer der Petrus- und der Gesamtkirchengemeinde Gerlingen. 2010 wurde er Dekan in Backnang.

Im November 2019 wurde er wiedergewählt. Die Wahl wurde im Juli 2020, nach dem Wechsel des Kirchengemeinderatgremiums, bestätigt. Dies wurde im November 2020 offiziell verkündet, am 26. März von der Bezirkssynode bekannt gemacht.

Braun ist verheiratet mit Sabine Goller-Braun, der geschäftsführenden Pfarrerin an der Backnanger Stiftskirche. Das Paar hat drei erwachsene Töchter.

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Erstellt:
1. April 2021, 06:00 Uhr

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