Nach Protesten in der Ukraine

Selenskyj kündigt Lügendetektortests für Staatsdiener an

Der ukrainische Präsident beugt sich dem massiven Druck und stellt die Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden wieder her. Ganz beruhigt hat sich die Lage noch nicht.

Selenskyj steht in der Ukraine unter Druck.

© Vadym Sarakhan/AP/dpa/Vadym Sarakhan

Selenskyj steht in der Ukraine unter Druck.

Von red/dpa

Nach scharfer Kritik der EU und massiven Protesten Tausender Ukrainer hat Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew einen Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden vorgelegt. Um einen russischen Einfluss in den staatlichen Stellen auszuschließen, sollen aber alle Mitarbeiter mit Zugang zu Staatsgeheimnissen Lügendetektortests unterzogen werden, kündigte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft an. „Und das müssen regelmäßige Kontrollen sein“, sagte er. 

Zuvor hatte er demnach einen entsprechenden neuen Gesetzentwurf zur Arbeit der Anti-Korruptionsbehörden in das Parlament – die Oberste Rada – eingebracht. Dieser sieht Lügendetektortests innerhalb von sechs Monaten vor. Trotzdem gab es in Kiew und anderen Städten des Landes erneut Proteste gegen Selenskyjs erst am Dienstag trotz Kritik in einem Eilverfahren unterschriebenes Gesetz, mit dem die Anti-Korruptionskämpfer der Generalstaatsanwalt und damit letztlich auch dem Präsidenten unterstellt werden sollten. 

Demonstrationen am dritten Tag infolge

Die Protestierenden forderten die Verabschiedung des neuen Gesetzes, dass den Anti-Korruptionskämpfern ihre bisherigen Vollmachten wieder zubilligt. In Kiew versammelten sich die Demonstranten den dritten Tag infolge in Sichtweite des Präsidentensitzes, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Die Zahl der Versammelten blieb aber mit einigen Hundert hinter den Zahlen des Vortags zurück.

„Der Gesetzentwurf stellt alle prozessualen Vollmachten wieder her und garantiert die Unabhängigkeit vom Nationalen Antikorruptionsbüro (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP)“, schrieben die beiden Behörden nach Bekanntwerden von Selenskyj neuem Gesetzestextes auf ihren Telegramkanälen. NABU und SAP waren demnach an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt.

Abstimmung über korrigiertes Gesetz bisher ohne Termin

Ein Zeitpunkt der Abstimmung in der Rada war zunächst nicht klar. Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk versprach bei Facebook, das Dokument in der nächsten Sitzung zur Abstimmung zu stellen. Abgeordneten zufolge ist die Oberste Rada allerdings erst einmal bis Mitte August in den Sommerferien.

Zuvor viel Unverständnis für Gesetz

Die Gesetzesänderung am Dienstag hatte nicht nur Proteste in verschiedenen Städten ausgelöst. Auch in der EU stieß die Entscheidung auf Unverständnis. Der NABU und SAP waren 2015 mit westlicher Hilfe gegründet worden, um die notorische Korruption vor allem bei hochrangigen Politikern und in der Verwaltung zu bekämpfen. Das in die EU strebende Land gilt der Nichtregierungsorganisation Transparency International nach trotz aller Reformen als eines der korruptesten Länder Europas.

Kritiker warfen Selenskyj autoritäre Tendenzen vor, indem er sich die lange Zeit unabhängige Behörden unterwerfen wollte. Dass er nun scheiterte, bezeichneten Kommentatoren als eine herbe politische Niederlage, die den Präsidenten angeschlagen zurücklasse.

Selenskyj setzt auf Unterstützung von Kanzler Merz

Selenskyj informierte nach eigenen Angaben auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) über die jetzigen Änderungen. Er habe „Deutschland eingeladen, sich an der Begutachtung des Gesetzentwurfs durch Experten zu beteiligen. Friedrich hat mir seine Bereitschaft zur Unterstützung zugesichert.“ Geplant sei auch eine Einbeziehung anderer europäischer Partner wie Großbritannien und die EU.

„Wir waren uns alle einig, dass es keine Einmischung oder Einflussnahme Russlands auf die Funktionsweise unserer Antikorruptionsinfrastruktur geben darf“, teilte Selenskyj nach einem Treffen mit den Behördenvertretern mit. „Jeder, der Zugang zu Staatsgeheimnissen hat – und das gilt nicht nur für das NABU und die SAP, sondern auch für das Staatliche Büro für Ermittlungen, unsere nationale Polizei – muss sich einem Lügendetektortest unterziehen. Und das müssen regelmäßige Kontrollen sein“, sagte Selenskyj.

Schon bisher gab es solche Tests, aber nicht in der nun geplanten Dichte. Das NABU teilte allerdings am Abend erleichtert mit, dass laut dem Gesetzentwurf nicht der Geheimdienst SBU die Tests führe, sondern eine verwaltungsinterne Kontrollstelle. Der auf der Rada-Seite veröffentlichte Text spricht aber bei der ersten Kontrolle nach Inkrafttreten des Gesetzes explizit vom SBU. Alle nachfolgenden Kontrollen sollen mindestens alle zwei Jahre durch interne Kontrollorgane erfolgen.

Selenskyj kündigt Antwort auf russische Angriffe an

Der ukrainische Präsident verurteilte in seiner Abendbotschaft einmal mehr die andauernden russischen Angriffe – ungeachtet der direkten Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau am Mittwoch in Istanbul. Russland zeige mit den Attacken – wie auf den Markt in Odessa und auf die Stadt Charkiw, wo es mehr als 40 Verletzte gab -, dass es kein Interesse an einem Frieden habe. Auch viele andere Städte waren einmal mehr Ziele russischer Drohnen- und Bombenangriffen, es gab Tote und Verletzte.

„Natürlich werden wir Russland auf all das antworten“, kündigte Selenskyj an. Die Ukraine greift in ihrem Abwehrkampf gegen den seit mehr als drei Jahren andauernden Moskauer Angriffskrieg immer wieder auch russisches Staatsgebiet an. Bei einem Drohnenangriff auf das russische Gebiet Kursk starb eine Frau, wie Behörden dort am Abend mitteilten. Insgesamt stehen die Zahlen der Opfer und die Schäden in keinem Verhältnis zu den massiven Zerstörungen, vielen Toten und Verletzten durch die russischen Angriffe in der Ukraine.

Zum Artikel

Erstellt:
25. Juli 2025, 07:52 Uhr
Aktualisiert:
25. Juli 2025, 07:54 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen