Sogar Gebeine wurden entdeckt

Baustellenführung für Mitglieder des Kirchbauvereins in der Backnanger Stiftskirche: Neue Aus- und Durchblicke sind möglich – Denkmalschutz ist immer dabei

Nach außen hin deutet das Gerüst darauf hin: Die Backnanger Stiftskirche wird saniert. Auch im Innenraum hat sich mittlerweile viel getan. Dies wurde bei einer Baustellenführung deutlich.

Die angerüstete Backnanger Stiftskirche: Vor allem in Inneren wird derzeit hart gearbeitet.

© Alexander Becher

Die angerüstete Backnanger Stiftskirche: Vor allem in Inneren wird derzeit hart gearbeitet.

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Da steht sie, die Stiftskirche, seit Jahrhunderten prägt sie Backnang. Unberührt sieht sie aus, ein bisschen einsam, ein bisschen verfroren, am Rande des erwachenden Weihnachtsmarkts, mit Baustahlgittern und Flatterbändern abgesperrt, fast wie ein Tatort aus dem Fernsehkrimi. Unterhalb der Kirche, auf dem Stiftshof: Remmidemmi, Jingle Bells, fröhliche Stimmen und Glühweinschwaden. Hinter der Absperrung: Ruhe. Die Kirche wird seit dem letzten März renoviert, heißt es. Von außen sieht man nicht viel. Nichts los also in der Stiftskirche? Von wegen – von innen ist die Kirche kaum wiederzuerkennen.

Ein gutes Dutzend Menschen vom Kirchbauverein sind zur Baustellenführung gekommen, auch Pfarrer Wolfgang Beck von St. Johannes ist da – dass die katholische Nachbargemeinde Mitglied im evangelischen Kirchbauverein ist, freut Ute Ulfert, die Vorsitzende des Vereins, ganz besonders.

Vorsichtig setzen die Besucher ihre Schritte: Überall sind Löcher im Boden, Wände herausgebrochen, neue Aus- und Durchblicke möglich. Wo vorher Treppen nach oben führten, tun sich „neue“ (natürlich uralte) Apsiden auf, ein Innengerüst ist aufgebaut im großen Kirchenschiff bis unter die Holzdecke, die obere der beiden Emporen fehlt, aber die Säulen, die sie trugen, sind noch da: Sie liegen aufgestapelt auf dem Boden, wie Fichtenstämme am Waldweg, bereit zur Abfuhr, daneben gewaltige Kanthölzer. Auf Brettern balanciert man über frisch gezogene Gräben im Boden, in denen Kunststoffrohre verlaufen – die „neue“ Stiftskirche soll Fußbodenheizung bekommen. Irgendwo liegt ein Haufen rostiger Beschläge und Scharniere, ansonsten Leitern, Bretter, Sprudelflaschen, ein einsamer Campingstuhl, das übliche Baustellenchaos. Dies hier ist tatsächlich ein Tatort, ein Ort, an dem sich was tut, ein Ort, an dem derzeit ganz viel getan wird von Männern (hauptsächlich Männern) der Tat, Handwerker und Ehrenamtler und die Kombination von beidem: Ehrenamtliche Handwerker.

Stiftskirchenrenovierung in Backnang macht Fortschritte

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 Luftaufnahme, Baustelle der Stiftsbauhütte/Stiftskirchensanierung in Backnang
Luftaufnahme, Baustelle der Stiftsbauhütte/Stiftskirchensanierung in Backnang

© Alexander Becher

Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche (zum Dekanat hin) wurden Fundamente/Mauerre...
Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche (zum Dekanat hin) wurden Fundamente/Mauerreste freigelegt // Luftaufnahmen, Baustelle der Stiftsbauhütte/Stiftskirchensanierung

© Alexander Becher

Energiesparlampe im Chorgewölbe
Energiesparlampe im Chorgewölbe

© Alexander Becher

Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019
Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019
Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019
Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Panorama Eingangsbereich /  Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im Novembe...
Panorama Eingangsbereich / Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche wurden Fundamente/Mauerreste freigelegt
Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche wurden Fundamente/Mauerreste freigelegt

© Alexander Becher

Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019
Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019
Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Erste Empore, zweite Empore demontiert, Gerüst im Innenraum // Baustellenführung...
Erste Empore, zweite Empore demontiert, Gerüst im Innenraum // Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Demontierte Holzstützen der abgebauten zweiten Empore liegen im Innenraum
Demontierte Holzstützen der abgebauten zweiten Empore liegen im Innenraum

© Alexander Becher

Bodenaufbau im Bereich des Altars
Bodenaufbau im Bereich des Altars

© Alexander Becher

Früherer Raum des Mesners, jetzt ist nur noch die Tür vorhanden
Früherer Raum des Mesners, jetzt ist nur noch die Tür vorhanden

© Alexander Becher

Gerüst im Innenraum // Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 201...
Gerüst im Innenraum // Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Treppenbereich erste Empore, an der Wand sichtbar der ehemalige Aufgang zur zwei...
Treppenbereich erste Empore, an der Wand sichtbar der ehemalige Aufgang zur zweiten Empore // Baustellenführung, Stiftskirchensanierung im November 2019

© Alexander Becher

Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche wurden Fundamente/Mauerreste freigelegt
Im Bereich des Vorplatzes zur Kirche wurden Fundamente/Mauerreste freigelegt

© Alexander Becher

Stolz zeigt Ulfert Bilder von den Männern der Stiftsbauhütte bei der Arbeit, wie sie mit Seilen und purer Körperkraft die 6-Meter-Bänke der zweiten Empore vorsichtig zwei Stockwerke weit in die Tiefe herunterlassen (das war noch bevor das Innengerüst stand). Da darf nichts ins Rutschen kommen, da müssen viele gemeinsam die Balance halten, da muss sich einer auf den anderen verlassen können, und es funktioniert.

Immer dabei: der Denkmalschutz. Natürlich. Darf man die Bänke verkaufen oder verschenken? Nein, darf man nicht. Darf man die selbsttragende Holzdecke – eine raffinierte Konstruktion– antasten? Nein, darf man nicht. Bloß putzen darf man sie, allenfalls neu anstreichen. Darf man die Jugendstilfliesen, die da unter dem Klinkerboden zum Vorschein kamen, zerstörend abbauen? Ja, darf man (ein Glück, sonst hätte man die ganze Baustelle gleich abblasen können).

Was wird mit der Krypta, dem uralten Gewölbe unter dem Chor? Nichts wird damit, sie bleibt, wie sie ist. An jeder Ecke lauern Überraschungen, auch und gerade für die Bauleute: Ein Schacht kommt zum Vorschein, von dem keiner was wusste – prima, da kann man Leitungen legen und Rohre für die Fußbodenheizung. Und Gebeine wurden gefunden. Nicht unter einer Grabplatte, sondern unter dem Fundament. „Ist das Herrmann, der Markgraf von Baden?“ fragt einer der Besucher, der sich offenbar auskennt in der Stadtgeschichte. Nein, das ist nicht Herrmann. Diese Gebeine müssen schon viel länger dort liegen, wahrscheinlich wurden sie bestattet noch vor dem Bau der Backnanger Stiftskirche. Ein Mann, eine Frau und ein Kind seien es gewesen, sonst wisse man (noch) nichts über sie. Sie sind jetzt in Tübingen und werden von den Archäologen des Landesdenkmalamts untersucht – anschließend wird man sie in Ehren bestatten, in Backnang natürlich, da, wo sie hingehören.

„Was wird denn mit den Lampen?“, fragt eines der anwesenden Kinder und zeigt nach oben zur Decke. „Die ganz da oben, die so aussehen wie eine riesige Pizza Margherita?“ Da lacht Ute Ulfert. „Wir nennen sie Spiegeleier“, sagt sie. „Die kannst du mitnehmen, die stehen nicht unter Denkmalschutz.“ Weitere Themen sind Brandschutz, Umweltschutz und der Einbau vernünftiger Sanitäranlagen. Bei einer Generalsanierung wie dieser gilt kein Bestandsschutz mehr: Sämtliche Regeln modernen Brandschutzes müssen eingehalten werden – vom Kirchenschiff abgetrennte Treppen und zusätzliche Fluchtmöglichkeiten inklusive. Regenwasser darf nicht mehr vom Stiftskirchendach einfach im Burgberg versickern wie die letzten paar hundert Jahre, es muss in die Kanalisation. Und dass die Stiftskirche endlich anständige Toiletten und mindestens ein behindertengerechtes WC braucht, dass man irgendwo Geschirr spülen können muss (bisher haben die Mitarbeiter Geschirr zum Spülen mit nach Hause genommen) und dass ein Putzwagen irgendwo stehen muss, versteht sich fast von selbst. Andere Herausforderungen gibt’s so bloß in einer Kirche: Wie können die Podeste für die großen Chorkonzerte im Boden versenkt werden? Wie sollen Kanzel, Altar und Taufstein gestaltet werden? Wie schützt man die Orgel inmitten der Baustelle vor Staub, Feuchtigkeit und Kälte? Fragen über Fragen. Für manche gibt’s schon gute Lösungen, andere waren so vor Baubeginn gar nicht vorauszusehen. Es bleibt richtig spannend am Tatort Stiftskirche.

Auch innen gibt es Gerüste: Der Kirchbauverein hatte zu einer Führung eingeladen. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Auch innen gibt es Gerüste: Der Kirchbauverein hatte zu einer Führung eingeladen. Fotos: A. Becher

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Erstellt:
2. Dezember 2019, 16:00 Uhr

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