Stadtwerke-Chef zum Thema Energiepreise: „Wir wissen nicht, wie es weitergeht“

Interview Der Geschäftsführer der Stadtwerke Backnang, Thomas Steffen, kündigt die nächste Gaspreiserhöhung für Januar an und befürchtet massive Zahlungsausfälle. Die Heizung will er säumigen Zahlern aber nicht abstellen.

Thomas Steffen vor den Gastanks auf dem Gelände der Stadtwerke. Sie werden das Problem nicht lösen, denn ihr Inhalt reicht nur für wenige Stunden. Foto: Alexander Becher

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Thomas Steffen vor den Gastanks auf dem Gelände der Stadtwerke. Sie werden das Problem nicht lösen, denn ihr Inhalt reicht nur für wenige Stunden. Foto: Alexander Becher

Nach der planmäßigen Wartungspause fließt zwar wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1, zurzeit allerdings nur 20 Prozent der maximalen Kapazität. Befürchten Sie weiterhin Versorgungsengpässe im Winter?

Zunächst einmal bin ich erleichtert, dass überhaupt wieder Gas fließt. Wir wissen aber auch, dass sich das täglich ändern kann. Ob das, was jetzt in Deutschland ankommt, reichen wird, um unsere Speicher vor dem Winter so voll wie möglich zu bekommen, wird man sehen. Wir wissen auf jeden Fall, dass wir uns nicht auf die Lieferungen aus Russland verlassen können.

Wo kaufen die Stadtwerke Backnang ihr Gas ein?

Wir kaufen bei verschiedenen Großhändlern an der Energiebörse. Bisher war es immer so, dass wir feste Verträge hatten, mit denen wir uns die Gaspreise für die Zukunft gesichert haben. In der Regel haben wir das Gas für die nächsten zwei bis drei Jahre gekauft, sodass wir sicher kalkulieren konnten. Aktuell wissen wir allerdings nicht mehr, ob die vertraglich zugesicherten Preise noch eingehalten werden.

Das wäre der Fall, wenn die Notfallstufe greift?

Genau. Bei einer erheblichen Reduktion der Gasimporte können unsere Lieferanten uns höhere Preise berechnen, als wir vertraglich vereinbart haben, und dann wären auch wir rechtlich in der Lage, diese Erhöhung an unsere Kunden weiterzugeben, unabhängig davon, welche Preisgarantie wir mit ihnen vereinbart haben. Ich hoffe aber nicht, dass es dazu kommt, denn das würde auch einen Vertrauensverlust bedeuten. Es gibt doch nichts Schlimmeres, als wenn man seine Verträge nicht einhält.

Der Beschaffungspreis für eine Kilowattstunde Gas lag bis vor einem Jahr bei etwa 2 Cent. Was bezahlen Sie heute im Einkauf?

Die Preise für das nächste Jahr liegen derzeit bei 15 oder 16 Cent, danach gehen sie wieder runter auf 10 Cent für 2024 und 6 Cent für 2025. Sollten sich die Lieferungen aus Russland stabilisieren, könnten die Preise auch noch weiter fallen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie noch einmal auf die 2 Cent runtergehen, die wir früher hatten.

Sie hatten die Preise für Endverbraucher zuletzt im April erhöht. Der Verbrauchspreis pro Kilowattstunde hat sich damals schon fast verdoppelt auf 12,33 Cent für Bestandskunden. Wann kommt die nächste Preiserhöhung?

Zum 1. Januar 2023 werden wir die Preise wie alle anderen Energieversorger noch einmal anpassen müssen. Wie stark genau, wird man sehen, aktuell gehen wir von einer Preissteigerung zwischen 20 und 40 Prozent aus. Anders wäre es wie gesagt, wenn die Notfallstufe greift und unsere Vorlieferanten ihre Preise sofort erhöhen können. Diese Erhöhung müssten dann auch wir sofort an unsere Kunden weitergeben, sonst wären wir bald pleite.

Nicht nur Gas ist deutlich teurer geworden, sondern auch Strom. Dabei lag der Anteil von Erdgas an der Stromerzeugung im vergangenen Jahr bei gerade mal 12,6 Prozent. Wie kann es da sein, dass sich auch der Einkaufspreis für Strom beinahe verzehnfacht hat?

Allein mit marktwirtschaftlichen Fakten ist das nicht zu erklären. Jeder hat eben Angst und schlägt deshalb einen hohen Risikozuschlag obendrauf. Aus meiner Sicht ist der Markt da völlig aus dem Ruder gelaufen. Wir als Lieferant sind dem leider ausgeliefert, denn wir müssen unseren Strom an der Börse einkaufen.

Die hohen Energiekosten sind für alle Kunden ärgerlich, Haushalte mit geringem Einkommen können sie aber in den Ruin stürzen. Droht den Stadtwerken eine Flut von Zahlungsausfällen?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir davor keine Angst haben. Ich gehe davon aus, dass nicht nur die unteren Einkommensschichten Probleme bekommen werden. Energie ist ja nicht das Einzige, was zurzeit teurer wird. Wir rechnen deshalb mit massiven Zahlungsausfällen und werden dann auch Liquiditätsprobleme bekommen. Aber darauf müssen wir uns eben gut vorbereiten.

Werden Sie Kunden, die nicht zahlen, im Winter die Heizung abdrehen?

Rein technisch hätten wir die Möglichkeit, bei Kunden, die nicht zahlen, das Gas abzustellen. Das haben wir in den vergangenen Jahren aber so gut wie nicht gemacht. Und es gibt in der Politik auch bereits Tendenzen, dass es ein Moratorium geben soll, ähnlich wie in der Coronazeit. Ebenso wichtig ist aber auch, dass man allen klarmacht, wo sie noch Energie einsparen können, damit die Rechnung erst gar nicht so hoch ist.

Die Krise könnte sich auch in Ihrer Bilanz niederschlagen. OB Friedrich hat zuletzt davor gewarnt, dass die Preisexplosion dazu führen könnte, „dass solide Stadtwerke unter die Räder kommen“. Teilen Sie seine Befürchtung?

Das sehe ich genauso. Es war bisher undenkbar, dass ein Energieversorger, der kommunal getragen wird, rote Zahlen schreibt. Das war ein stabiles Geschäft. Nun gab es 2021 bereits Stadtwerke, die massiv in Schieflagen geraten sind, und ich rechne damit, dass sich das dieses Jahr noch verschärfen wird. Wir sind zum Glück breit aufgestellt, weil wir nicht nur Gas verkaufen, und stehen deshalb gut da. Wir haben unsere Ziele für 2021 erfüllt und sind guter Dinge, dass uns das auch in diesem Jahr gelingen wird. Aber wir stehen vor einer Zeit mit großen Unsicherheiten und wissen nicht genau, wie es weitergeht.

Als Energieträger der Zukunft scheint Erdgas auch mit Blick auf den Klimaschutz nicht geeignet. Was muss passieren, um den fossilen Brennstoff ganz zu ersetzen, und was können Sie als Stadtwerke dazu beitragen?

Wir brauchen Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, Alternativen zu nutzen. Wenn wir zum Beispiel Erdgas durch strombasierte Wärmepumpen ersetzen wollen, muss die Produktion von erneuerbarem Strom deutlich gesteigert werden. Aber dafür braucht es Rahmenbedingungen, damit willige Investoren – und da zähle ich uns als Stadtwerke auch dazu – solche Projekte umsetzen können. In der Vergangenheit gab es zu viele Restriktionen, auch bei den Windkraftprojekten hier in der Gegend. Zum Glück gibt es in der Politik jetzt Tendenzen, das alles zu beschleunigen.

Das bestehende Gasnetz könnte man auch verwenden, um grünen Wasserstoff zu vertreiben. Wie realistisch ist diese Zukunftsvision?

Das ist ein interessantes Thema und unser Netz ist gut darauf vorbereitet. Die Leitungen, die wir in den letzten 20 bis 30 Jahren verlegt haben, sind alle schon wasserstofftauglich. Das Problem ist, dass der Wasserstoff im Moment noch nicht da ist und wir ihn auch langfristig nicht in der erforderlichen Menge vor Ort produzieren können. Ein Vorteil ist aber, dass wir Wasserstoff auch dem Erdgas beimischen können. Bis vor einem Jahr hieß es, zwischen 2035 und 2040 sei man so weit. Ich hoffe, dass sich das jetzt deutlich beschleunigt.

Das Interview führte Kornelius Fritz.

Stadtwerke Backnang

Gasnetz Das Erdgasnetz der Stadtwerke Backnang ist 219 Kilometer lang. Angeschlossen sind insgesamt 6277 Haushalte in Backnang sowie in den Gemeinden Allmersbach im Tal, Aspach, Auenwald, Kirchberg an der Murr und Weissach im Tal.

Geschäftsfelder Weitere Sparten sind die Wasserversorgung, der Aufbau und Betrieb von Nahwärmenetzen, Stromnetzbetrieb und Stromerzeugung. Der Stromvertrieb erfolgt über die Tochtergesellschaft Backnangstrom. Der Jahresumsatz der Stadtwerke lag 2021 bei 19 Millionen Euro.

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Erstellt:
28. Juli 2022, 06:00 Uhr

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