Stich für Stich zum Traumjob
Serie: Gestochen scharfWie wird man Tätowierer? Nadine Röhrle erzählt, wie sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat
Im Jahr 2018 gibt es in Deutschland 326 anerkannte oder als anerkannt geltende Ausbildungsberufe – Tätowierer gehört nicht dazu. Wie also wird man Tattoo-Künstler? Nadine Röhrle alias „Lady Katy“ hat ihre Leidenschaft zu ihrem Beruf gemacht: Sie ist hauptberufliche Tätowiererin und arbeitet bei „Dalügges Tattoos“ in Murrhardt-Fornsbach. Der BKZ erklärt sie, wie sie das geschafft hat.

Nadines erstes Motiv auf Schweinehaut.
Von Silke Latzel
MURRHARDT.„Ich hatte schon immer eine künstlerische Ader, habe auch als Kind sehr gerne gezeichnet und wollte eigentlich schon mit zehn Jahren Malerin werden.“ Als sie älter ist, stellt Nadine Röhrle fest, dass sowohl das Gehalt eines Malers als auch die Möglichkeiten der Kreativität in diesem Beruf für sie zu sehr eingeschränkt sind. „Schon damals habe ich mit dem Gedanken gespielt, Tätowiererin zu werden, aber mein Umfeld hat mir erst einmal davon abgeraten. ,Was, wenn du mit 40 Jahren, aus welchen Gründen auch immer, den Beruf dann nicht mehr ausüben kannst? Dann stehst du ohne Ausbildung da‘, sagte man mir.“ Sie beginnt eine Lehre als Fotografin – etwas Handfestes, mit dem sie Geld verdienen und trotzdem kreativ arbeiten kann.
Ein Jahr zwischen zwei
verschiedenen Jobs
Drei Jahre arbeitet Röhrle in einem Waiblinger Fotostudio, der Traum vom Tätowieren begleitet sie weiter. „Nach der Arbeit hab ich mich zu Hause immer direkt an den Zeichenblock gesetzt, hab an verschiedenen Projekten gearbeitet.“ Irgendwann kommt Röhrle an den Punkt, an dem sie im Fotostudio an die Grenzen der Kreativität stößt. „Und da wusste ich, ich muss etwas ändern – entweder wegziehen oder ein eigenes Fotostudio eröffnen.“ Im Urlaub zeichnet sie an ihrer eigenen Tattoo-Idee und plötzlich ist für sie klar: Sie will sich zur Tätowiererin ausbilden lassen, egal wie.
Über ihre Mutter findet sie den Weg zu Dirk Dalügge, der mit seinem Tattoo-Studio weit über die Grenzen Murrhardts bekannt ist und für hochprofessionelle und ausgezeichnete Arbeiten steht. Röhrle besucht ihn in seinem Studio, bringt ihre Zeichnungen mit. „Er fand sie gut und wir haben einen Termin vereinbart, quasi zum Probearbeiten.“ Röhrle darf sich mit der Tätowiermaschine vertraut machen, Dalügge lässt sie ein erstes Motiv auf Schweinehaut stechen: Donald Duck. „Fünf Stunden habe ich dafür gebraucht“, sagt die 27-Jährige und lacht. Ihr wird Talent bescheinigt, Dalügge übernimmt ihre Ausbildung. 2013 reduziert Röhrle ihren Job im Fotostudio von Voll- auf Teilzeit, arbeitet von Montag bis Mittwoch als Fotografin, um Geld zu verdienen, und lernt von Donnerstag bis Samstag im Tattoo-Studio – unentgeltlich. Sonntag zeichnet sie. „Ich hatte also quasi eine Sieben-Tage-Woche.“ Ein Jahr hält sie die Doppelbelastung durch, dann kündigt sie im Fotostudio. „Ich wollte mich einfach richtig hinters Tätowieren klemmen.“
Ihre Ausbildung besteht in der Anfangszeit vor allem aus sehr viel Zuschauen bei Dalügges täglicher Arbeit, sei es beim Tätowieren selbst, der Hygiene dabei oder den Abläufen bei der Arbeit. „Tätowieren ist nicht so einfach, wie es aussieht“, sagt sie. „Man muss auf vieles achten. Jedes Motiv ist anders, jede Haut und jede Körperstelle. Man darf nicht zu tief in die Haut stechen und auch nicht zu flach. Das sind alles Dinge, für die man ein Gefühl entwickeln muss, das kann man nicht theoretisch lernen.“
Ihre erstes Tattoo an einem Menschen bekommt eine ganz besondere Person: Nadines Mama. Fast sieben Stunden dauert es, dann ziert eine Blumenranke Mutters Wade. „Meine Familie steht total hinter mir, ich habe auch schon meine 80-jährige Oma tätowiert.“ Fast ein Jahr lang tätowiert Röhrle kostenlos, dann ist sie so weit und kann Geld für ihre Arbeit nehmen. In Dalügges Studio mietet sie einen Platz, sticht zunächst nur einfache Motive, ihr „Lehrer“ schaut ihr dabei oft über die Schulter. „Das war auch gut so und hat mir Sicherheit gegeben.“ Röhrle ist ehrgeizig, will schnell besser werden und kompliziertere Motive stechen. „Manchmal hatte ich das Gefühl, ich komme gar nicht weiter und mache keine Fortschritte, da hat es mir sehr geholfen, einfach mal durchzuatmen, mit Dirk zu sprechen und dann auch mal meine Arbeiten anzuschauen, die sich ja mit der Zeit wirklich verändert haben.“ Auch wenn der Beruf stressig ist und immer hohe Konzentration erfordert – Nadine Röhrle denkt nicht ans Aufgeben. „Das war für mich nie eine Option.“
Mittlerweile arbeitet sie seit fast fünf Jahren hauptberuflich als Tätowiererin und kann von ihrem Beruf gut leben. Ihre Preise richten sich nach der Größe des Motivs und wie aufwendig es zu stechen ist. Zwei Kunden pro Tag ist für Röhrle das Maximum. Viele ihrer Kunden kommen auch mit Tattoo-Wünschen, die nicht in einer Sitzung zu schaffen sind – man trifft sich also öfter. „Die Beratung ist bei uns wichtig, wir nehmen uns Zeit, um die Wünsche der Kunden zu verstehen und sie dann umzusetzen.“ Was bei den Tätowierern in Dalügges Studio gar nicht geht: Motive aus dem Internet eins zu eins übernehmen. „Jedes Motiv und jede Idee wird von uns noch einmal bearbeitet, es soll ja etwas ganz Individuelles werden.“
Nadine Röhrles Ziel: Sie möchte so exakt tätowieren können, als sei die Zeichnung direkt aus dem Drucker gekommen.
Wer mehr über Nadine Röhrle wissen möchte, findet weitere Infos auf ihrer Homepage unter www.ladykaty-tattoo.de.

Die Arbeit erfordert hohe Konzentration und besonders hohe Hygienestandards.

Waren die Motive zu Beginn ihrer Ausbildung noch eher einfach und schlicht, sticht Nadine Röhrle mittlerweile immer detailliertere Tattoos und macht auch viele Cover-ups, überarbeitet also bereits gestochene Tätowierungen. Fotos: privat (3)/S. Latzel (1)/S. Schwellinger (1)

Nadine mit einer Auswahl ihrer Motive.

Gestochen scharf: Lady Katy mit ihrer Nadel.