Stoba steigt in die E-Mobilität groß ein

Der Backnanger Automobilzulieferer mit weltweit 1200 Mitarbeitern will seine Kapazitäten in Richtung E-Mobilität ausbauen. Beim Besuch der Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut warb das Unternehmen gestern für eine Unterstützung durch das Land.

Stoba-e-Systems-Geschäftsführer Achim Fedyna (links) erläutert Nicole Hoffmeister-Kraut das neu entwickelte elektrische Antriebssystem. Die Wirtschaftsministerin war auf Einladung von Staatssekretär Wilfried Klenk und Stoba-Geschäftsführer Christoph Bode (von rechts) gestern nach Backnang gekommen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Stoba-e-Systems-Geschäftsführer Achim Fedyna (links) erläutert Nicole Hoffmeister-Kraut das neu entwickelte elektrische Antriebssystem. Die Wirtschaftsministerin war auf Einladung von Staatssekretär Wilfried Klenk und Stoba-Geschäftsführer Christoph Bode (von rechts) gestern nach Backnang gekommen. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

BACKNANG. Von außen sieht die etwa drei Meter hohe und vier bis fünf Meter breite und ebenso tiefe Maschine richtig schick aus. Da war wohl ein Designer am Werk. Aber was drinnen passiert, sieht man nicht. Kein Fenster. Dafür überträgt ein Monitor ein Livebild an den Maschinenstand. Die Teile, die drinnen in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit mit Laserstrahlen traktiert werden, sind zigfach vergrößert und sehen auf dem Monitor so aus wie Kaffeetassen aus Stahl. In Wirklichkeit sind es Düsen beziehungsweise Ventilsitze für einen Benziner-Direkteinspritzer und sind nicht mal halb so groß wie der kleine Fingernagel eines Kindes.

Unvorstellbar, dass die Laserstrahlen in den stählernen Winzlingen Kanäle im Nanobereich „bohren“, also Löcher, die wesentlich dünner sind als ein menschliches Haar. Und das fast lautlos. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut staunt und ist fasziniert zugleich und lauscht den Erläuterungen von Christoph Bode. Und dann kann der Geschäftsführer der gesamten Stoba-Unternehmensgruppe noch eins draufsetzen: „Die Maschine haben wir hier bei Stoba entwickelt und gebaut.“

Der hohe Besuch der Landesministerin am Hauptsitz der Stoba-Gruppe kommt nicht von ungefähr. Stichwort: E-Mobilität. Die damit verbundenen Technologien sind Herausforderung und Chance, den Automobilstandort Baden-Württemberg nachhaltig zu sichern. „Im Strategiedialog Automobilwirtschaft begleiten wir die Unternehmen im Land bei diesem Prozess und wollen über Branchengrenzen hinweg technologieoffen Innovationspotenziale eröffnen“, sagte Hoffmeister-Kraut gestern.

Noch vor wenigen Jahren hatte Stoba ganz auf Verbrenner gesetzt. „Die E-Mobilität steckt noch in den Kinderschuhen“, hatte Bode vor drei Jahren im Interview mit unserer Zeitung gesagt. Um Elektrofahrzeuge flächendeckend einzusetzen, gebe es auf absehbare Zeit weder die Infrastruktur noch die Kapazitäten bei den Herstellern, so der Geschäftsführer damals. Das Bild hat sich gewandelt. Stoba gibt in Sachen E-Mobilität mittlerweile mächtig Gas, um nicht zu sagen Strom. Das jüngste Geschäftsfeld entwickelt und baut mit Volldampf. Die zur Gruppe gehörende Stoba e-Systems hat ihren Sitz in Weinstadt-Endersbach und kümmert sich um alternative Antriebe. „Ziel ist es, im Jahr 2025 ein Verhältnis 50 zu 50 zu haben“, sagte Bode gestern. Das heißt, die Hälfte des Umsatzes entfällt auf die seitherigen Verbrenner-Zubehörteile wie Einspritzdüsen, die andere Hälfte soll alternativen Antrieben vorbehalten sein, vorwiegend E-Antrieben.

„Bis zu 4500 Ampere fließen in diesem Motor, aber nur 52 Volt.“

Was genau in Weinstadt entsteht, präsentierte Achim Fedyna am 1:1-Modell. Der Geschäftsführer der Stoba e-Systems setzte das waschmaschinentrommelgroße Aggregat per Knopfdruck in Bewegung: „Das ist nicht nur ein Elektromotor, dabei handelt es sich um einen kompletten Antrieb.“ Damit könne man alles, was zwei, drei, vier oder sechs Räder hat, antreiben. 40 Kilowatt leiste die Maschine in der Spitze, 28 Kilowatt in der Dauerbelastung. „In weiteren Ausbaustufen können bis zu 4500 Ampere in diesen Motor fließen bei einem Spannungslevel unter 60 Volt“, sagte Fedyna. Mit seinen Eigenschaften erschließe das eigenständige, hochintegrierte, elektrische Plug-and-drive-Antriebssystem eine neue, in der E-Mobilität bisher noch nicht abgedeckte Leistungsklasse.

Der Geschäftsführer hat auch schon konkrete Vorstellungen, wo man den Antrieb einbauen könnte. Kontakt habe man mit einem der großen Wohnwagenhersteller aufgenommen. Mit dem Stoba-Aggregat ließen sich die Mobilheime spielend leicht in Parkbuchten auf dem Campingplatz rangieren. Oder Aufsitzrasenmäher. „Warum brauchen die einen Verbrenner als Antrieb?“, so die rhetorische Frage des Entwicklungschefs. Dafür sei der Stoba-Antrieb optimal geeignet.

Auch von dieser Präsentation zeigte sich Hoffmeister-Kraut beeindruckt. „Stoba ist durch stetige Innovationen und strategische Weiterentwicklungen bereits mitten in der Transformation der Automobilwirtschaft angekommen“, so die Ministerin. Sie war letztlich auf Einladung von Bode nach Backnang gekommen. Die guten Kontakte des Staatssekretärs Wilfried Klenk waren dabei sicherlich nicht hinderlich. Der Stoba-Geschäftsführer wies gestern darauf hin, dass es jetzt das ganzheitliche Engagement und die verbindliche Unterstützung der Landesregierung brauche, um den Übergang weg von Verbrennungsmotoren hin zu einem neuen Energie- und Mobilitätszeitalter aktiv gestalten zu können. „Stoba ist ein Unternehmen, das seine Wurzeln in Baden-Württemberg hat. Von hier aus wollen wir mit unseren innovativen Technologien die E-Mobilität gestalten“, sagte Bode. Das Land sollte seinen Führungsanspruch in der Mobilitätsindustrie klug und nachhaltig bewahren. „Hierfür braucht es flexible und zügige Unterstützung seitens der Politik“, forderte Bode.

Das Unternehmen hat schwere Zeiten hinter sich. Als Zulieferer der Automobilindustrie verzeichnete Stoba Präzisionstechnik am Standort Backnang seit August 2019 einen spürbaren Auftragsrückgang und liegt damit im Branchentrend. Als eine Maßnahme hatte die Geschäftsleitung deshalb eine dreiwöchige Betriebsruhe am Standort Backnang über den Jahreswechsel beschlossen. Und dann kam die Coronapandemie. Im April verzeichnete Stoba einen Umsatzeinbruch von 80 Prozent. Die Monate Mai und Juni sahen mit einem Minus von 50 beziehungsweise 60 Prozent unwesentlich besser aus. Das habe sehr viel Geld gekostet, einen zweistelligen Millionenbetrag. Kurzarbeit war die Folge, 80 Prozent fast im ganzen Standort. Der Geschäftsführer kündigte weitere Einschnitte an. Die Belegschaft in Backnang werde um rund zehn Prozent reduziert werden, von jetzt 680 auf dann 600 Mitarbeiter. Man werde Verträge nicht mehr verlängern und ältere Kollegen in Frührente schicken. Weil Stoba jetzt viel Geld benötigt, um in neue Technologien zu investieren, liegt alle Hoffnung bei Hoffmeister-Kraut und der Landesregierung.

Präzisionstechnik in Backnang

Die Stoba-Unternehmensgruppe besteht aus folgenden drei Geschäftsfeldern – alle Spezialisten auf ihrem Feld:

− Stoba Präzisionstechnik (Precision Technology) in Backnang (680 Mitarbeiter)

− Stoba e-Systems in Weinstadt-Endersbach (70 Mitarbeiter)

− Stoba Sondermaschinenbau (Customized Machinery) in Memmingen (60 Mitarbeiter)

– Weitere Standorte (durch Zukäufe und die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland) gibt es in Großbritannien, in Tschechien, in den USA und in China.

Zurzeit hat Stoba weltweit etwa 1200 Beschäftigte.

Im vergangenen Jahr lag der Jahresumsatz der gesamten Stoba-Unternehmensgruppe bei 190 Millionen Euro.

Das Unternehmen Stoba ist 1995 aus der insolventen Karl Stockburger GmbH&Co. hervorgegangen und gehört mittlerweile der österreichischen Berndorf AG.

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Erstellt:
5. August 2020, 06:00 Uhr

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