Streikauswirkungen halten sich in Grenzen

Am Backnanger Bahnhof fahren die S-Bahnen gestern und heute nur im Stundentakt. Die Ersatzfahrpläne der Deutschen Bahn verhindern ein Chaos im Personenverkehr. Die Stimmung der Fahrgäste schwankt zwischen Verständnis für die Lokführer und Verärgerung.

Der Zug nach Filderstadt fällt aus. Eine Anzeige, die gestern sehr häufig zu lesen war. Die Fahrgäste stellten sich darauf ein. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Der Zug nach Filderstadt fällt aus. Eine Anzeige, die gestern sehr häufig zu lesen war. Die Fahrgäste stellten sich darauf ein. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Die Auswirkungen des Lokführerstreiks waren gestern am Backnanger Bahnhof zu spüren. Ja, stimmt. Aber so wirklich darunter leiden, dass sich der Staatskonzern Deutsche Bahn AG und die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) mal wieder in den Haaren hatten, mussten die Fahrgäste nicht. Dafür waren noch viel zu viele Züge unterwegs. Oder wie es ein Sprecher der Bahn formuliert: „Trotz der kurzfristigen Ankündigung ist es gelungen, die Ersatzfahrpläne im Fern- und Nahverkehr stabil umzusetzen.“ Doch der Bahnsprecher räumt auch ein: „Dennoch können wir nicht garantieren, dass alle Reisenden wie gewünscht an ihr Ziel kommen.“

Die Lautsprecher im Bahnhofsbereich sind gestern vermutlich öfter im Einsatz als an üblichen Tagen. Immer wieder informiert die Stimme aus den Boxen, dass dieser oder jener Zug ausfällt aus. Und dann sagt die Stimme vom Band: „Grund dafür sind die Streikauswirkungen. Wir bitten um Entschuldigung.“ In all den Fällen, in denen sich die Durchsage auf die S3 bezieht, heißt es dann auch noch weiter: „Die S3 fährt heute nur bis Hauptbahnhof. Wir informieren Sie über Anschlüsse im Zug.“

Die Auswirkungen des Streiks sind zwar ärgerlich, aber für die meisten auch überschaubar. So wie im Fall einer 33-Jährigen aus Maubach. Sie hat einen Termin in Waiblingen. Um den pünktlich zu erreichen, musste sie erst mit einer S-Bahn nach Backnang fahren, um dann den Regionalzug nach Stuttgart zu nehmen. „Normalerweise benötige ich 15 Minuten nach Waiblingen, heute sind es 35.“ Auch wenn sich die Frau über diesen Umstand ärgert, so hat sie doch Verständnis für die Lokführer. Aber: „Es kommt mir derzeit häufig vor, die haben doch eben erst gestreikt, oder?“

Viele Fahrgäste reagieren ziemlich entspannt auf den Arbeitskampf

Ganz relaxt sieht Alexander Pusch aus Murrhardt den Arbeitskampf. Er ist am frühen Morgen schon mit der Bahn nach Backnang gefahren, der Zug fuhr pünktlich um 6.50 Uhr in Murrhardt los. Als Pusch wieder zurückfahren wollte, war der nächste Zug ausgefallen. „Ich muss eine halbe Stunde auf einen Go-Ahead-Zug warten, aber das mache ich gerne. Der ist dann in 15 Minuten in Murrhardt, der Bus bräuchte eine halbe Stunde. Außerdem habe ich schon die Fahrkarte gebucht und im Zug wackelt es nicht so, da kann ich besser Zeitung lesen.“ Pusch war auch schon beim Streik vor zwei Wochen unterwegs und urteilt nun so: „Es geht. Aber man muss immer im Internet prüfen, welcher Zug fährt. Und man sollte die Rushhour vermeiden, sonst drücken sich zu viele in den verbleibenden Verbindungen. Und das ist nicht gut, gerade zu diesen Pandemiezeiten.“

Von einem Gedränge kann aber gestern Morgen in den Regionalzügen und S-Bahnen keine Rede sein. Viele Plätze sind frei, manche Waggons nur zu einem Bruchteil besetzt. Vermutlich haben sich zahlreiche Fahrgäste schon frühzeitig auf den Arbeitskampf eingestellt und die Fahrt bleiben lassen oder sind mit anderen Verkehrsmitteln unterwegs. Der Bahnhof liegt zuweilen nahezu menschenleer da. Nur kurz vor den jeweiligen Abfahrtszeiten füllen sich die Bahnsteige etwas. Es scheint, als hätten alle Fahrgäste die Empfehlung der Bahn beherzigt: „Wir bitten alle Fahrgäste, die nicht zwingend fahren müssen, ihre Reise, sofern möglich, zu verschieben. Wer dennoch unterwegs sein muss, sollte sich vor Reiseantritt aktuell informieren.“

In einem Wartebereich sitzt Jutta Mates. Die Hauswirtschafterin muss dringend ins Rems-Murr-Klinikum nach Winnenden. Weil ihre favorisierte S-Bahn ausfällt, nimmt sie jetzt die früher verkehrende Regionalbahn. Schließlich steht in Winnenden noch ein Fußmarsch von 15 Minuten zum Krankenhaus auf dem Programm, „und ich will ja nicht gehetzt auf der Arbeit ankommen“. Mates hat wenig Verständnis für den Arbeitskampf, „die haben doch erst vor zwei Wochen gestreikt“. Ein älterer Herr kritisiert ebenfalls, „die hätten sich anders einigen sollen, ohne Streik“. Als dann der Regionalzug einfährt sagte er: „Aber ich habe jetzt Glück, der Zug kommt. Jetzt kann ich nicht schimpfen.“

Jan Rössle fährt seit drei Jahren täglich von Murrhardt zur Arbeit. Ihm machen die Streiks wenig aus, da es sich bei ihm nur um kurze Distanzen handelt. „Aber für Leute, die weiter fahren müssen oder auf Anschlusszüge angewiesen sind, kann es schon bitter werden.“

Der Backnanger Landtagsabgeordnete Gernot Gruber bedauert es sehr, dass die Gewerkschaft nicht an den Verhandlungstisch mit der Bundesbahn zurückgekehrt ist. „So wichtig es ist, dass Gewerkschaften streiken dürfen und Bahnbeschäftigte gut bezahlt werden, so fragwürdig ist es auch, wenn die GDL das Recht auf Streik zum Machtkampf mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) einsetzt. Die EVG setzt sich für alle Bahnbeschäftigte ein.“ Besonders beklagt der Sozialdemokrat den Zeitpunkt des Machtkampfs. Die Region Stuttgart sei aufgrund der Sanierung des Tunnels zwischen Hauptbahnhof und Vaihingen bereits durch den eingeschränkten S-Bahn-Betrieb betroffen. Die GDL nehme keine Rücksicht auf ihre Fahrgäste und säge so an dem Ast, auf dem sie selber sitzt.

Grundangebot mit Stundentakt bei den S-Bahnen

Go-Ahead Vorteilhaft im Zugverkehr auf der Murrbahn ist es, dass die von Go-Ahead betriebenen Regionalexpresszüge vom Streik nicht betroffen sind. Die RE-Züge von Go-Ahead sind im Fahrplan an den 88er-Nummern zu erkennen.

Online-Infos Kundeninfos gibt es online auf bahn.de und in der DB Navigator-App, an Bahnhöfen und auf Social Media. Die Bahn hat zudem eine kostenlose Streikhotline eingerichtet. Mehr Infos unter www.s-bahn-stuttgart.de

Grundangebot Ein Pressesprecher der Bahn zeigt sich erleichtert, dass das verlässliche Grundangebot der Bahn im Fern- und Nahverkehr im zweiten GDL-Streik weiter stabil läuft. So kommen im Fernverkehr mehr Züge als noch im ersten Streik zum Einsatz. Die DB will das bundesweite Angebot auf 30 Prozent aller Zugfahrten des normalen Fahrplans ausbauen. Im Regional- und S-Bahn-Verkehr sind rund 40 Prozent der Züge unterwegs. Hier schwankt die Anzahl der angebotenen Züge je nach Region stark.

Stundentakt Die S-Bahn Stuttgart versucht, auf den Hauptlinien im Stundentakt zu fahren. Während der zurzeit laufenden Bauarbeiten zur Modernisierung der S-Bahn-Stammstrecke sind das die Linien S1, S2, S23, S4, S5, S6 und S60.

Hauptlinie S3: Die Hauptlinie S3 (derzeit S23) fährt ab Backnang zur Minute 11 und ab dem Hauptbahnhof in Stuttgart zur Minute 15 ab. Die über Marbach am Neckar fahrende S4 fährt in der Minute 03 in Backnang und zur Minute 07 in Stuttgart ab.

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Erstellt:
24. August 2021, 06:00 Uhr

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