Streit nach der Randale: Waren die Krawalle absehbar?

dpa/lsw Stuttgart. War der Gewaltausbruch in der Stuttgarter Innenstadt vorhersehbar? Aus der Polizei wird mit dem Finger aufs Rathaus gezeigt.

Polizeieinheiten sammeln sich, um gegen Randalierer vorzugehen. Foto: Simon Adomat/dpa/Archivbild

Polizeieinheiten sammeln sich, um gegen Randalierer vorzugehen. Foto: Simon Adomat/dpa/Archivbild

Während sich die Polizei auf den nächsten großen Wochenend-Einsatz in Stuttgart vorbereitet, streitet sich ihre Gewerkschaft mit der Stadt um die Verantwortung für den jüngsten Gewaltausbruch. Nach Einschätzung der DPolG haben sich die Ausschreitungen schon länger angedeutet. Die Landeshauptstadt weist den Vorwurf zurück.

Probleme besonders mit „jugendlichen und heranwachsenden Tätern mit überwiegendem Migrationshintergrund“ hätten die Polizei zuletzt vermehrt beschäftigt; sie seien der Stadtverwaltung seit langem bekanntgewesen, sagte der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, der Deutschen Presse-Agentur. Diese Szene sei äußerst aggressiv und respektlos, bedrohe Polizisten und habe mit dem Stuttgarter Event-Publikum überhaupt nichts zu tun.

Ein Sprecher der Stadt hielt am Donnerstag dagegen: „Niemand hatte vor dem Wochenende Hinweise, dass es zu Krawallen mit dieser gewaltigen Dimension kommen könnte.“ Noch Mitte Februar habe die Polizei gemeldet, der Obere Schlossgarten sei kein Kriminalitäts-Brennpunkt. Die Verwaltung agiere stets auf Basis der Lageeinschätzung der Polizei.

Kusterer sieht die Polizei angesichts der Zustände um den zentralen Stuttgarter Eckensee erst in zweiter Linie gefordert: „Wer dabei der Polizei Steine in den Weg legt und nicht mit allen Möglichkeiten versucht, Rechtsgrundlagen und Möglichkeiten zu schaffen, damit die Polizei handeln kann, hat entweder die Situation nicht im Griff oder hat aus dogmatischen, politischen Anschauungen heraus einfach nichts getan.“

Unter anderem seien Forderungen der Polizei nach einer Durchsetzung des Grünflächenverbots von der Stadt ignoriert worden, sagte der Gewerkschafter. „Über die Platzverweise der Polizei macht sich das Problem-Klientel nur lächerlich.“ Seit Jahren sei zudem eine nächtliche Ausleuchtung des Parks aus polizeilicher Sicht geboten.

Die 280 Polizisten, die in der Nacht zu Sonntag gegen Krawallmacher und Plünderer in Stuttgart im Einsatz waren, erhalten nun Sonderurlaub. Innenminister Thomas Strobl (CDU) habe entschieden, dass die Beamten auch aus Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit einen Tag frei bekommen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Ministerium.

Für mindestens einen Beamten im Einsatz könnte die Krawallnacht ein juristisches Nachspiel haben: Auf einer Tonspur, die laut Polizeisprecher aus der Nacht stammt, ist zu hören, wie der Polizist die Randalierer als „Kanaken“ bezeichnet. „Die Tonspur ist echt“, sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums. „Und wir werden natürlich prüfen, inwieweit die Äußerungen straf- oder disziplinarrechtlich zu werten sind.“ Moralisch entspreche der Inhalt nicht dem Leitbild der Polizei. „Das ist natürlich nicht unser Stil.“

Im Zusammenhang mit der Randale waren 26 junge Menschen festgenommen worden, 8 von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Etwa jeder zweite Festgenommene hat einen deutschen Pass, darunter sind mehrere mit einem Migrationshintergrund. Neun der Festgenommenen weisen nach aktuellem Kenntnisstand einen Flüchtlingsbezug auf.

„Wir haben offensichtlich bei Menschen mit Migrationshintergrund ungelöste Integrationsprobleme und auch teilweise eine mangelnde Identifikation mit den Grundwerten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, sagte FDP-Landeschef Michael Theurer. Stadt und Land müssten mit Nachdruck deutlich machen, dass sie den Rechtsstaat konsequent durchsetzen.

Der Chef der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg warnte hingegen davor, vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen eine Integrationsdebatte zu führen. Gökay Sofuoglu sagte: „Das hat mit dem Integrationsthema nichts zu tun.“ Dazu seien die Täter und diejenigen, die sie ermuntert hätten, zu unterschiedlich. Es handele sich dabei nicht nur um perspektivlose Männer, sondern auch um Gymnasiasten, Studenten und Menschen mit Beruf. „Wir haben ein Problem mit der Jugend.“

Veronika Kienzle, OB-Kandidatin der Grünen bei der Stuttgarter Wahl im November, fordert daher auch, die anliegenden Landkreise einzubinden. Es müsse das Gespräch mit den umliegenden Kommunen gesucht werden - „denn auch anliegende Kreise tragen Verantwortung für ihre Jugendlichen“, sagte die Kommunalpolitikerin. Es sei ungut, wenn Jugendliche von außerhalb im Umland keine eigenen Orte hätten, an denen sie sich treffen könnten und sich stattdessen in Stuttgarts Innenstadt versammelten. „Jugendliche brauchen eigene Freiräume.“

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Erstellt:
25. Juni 2020, 12:42 Uhr

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