Sulzbach als Vorreiter bei Nahwärme

Energiewende vor der Haustür (4) Sulzbach an der Murr setzt seit 1993 auf sein Nahwärmenetz und erweitert es ständig. Die Überlegung, die (Wärme-)Energie zentral zu erzeugen und dann zu verteilen, hat viele Vorteile, unter anderem auch ökologische.

Das Befüllen des Holzhackschnitzelbunkers bei der Sulzbacher Festhalle geht einfach. Im Winter muss der Lastwagen drei- bis viermal pro Woche Material liefern, das sind dann etwa 150 Kubikmeter Hackschnitzel aus der Region.Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Das Befüllen des Holzhackschnitzelbunkers bei der Sulzbacher Festhalle geht einfach. Im Winter muss der Lastwagen drei- bis viermal pro Woche Material liefern, das sind dann etwa 150 Kubikmeter Hackschnitzel aus der Region.Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Sulzbach an der Murr/Aspach. Michael Heinrich erinnert sich mit Grausen an die Zeit zurück, als er um die Jahrtausendwende als frisch gekürter Hauptamtsleiter für die Vermarktung der Bauplätze im Sulzbacher Neubaugebiet Ziegeläcker zuständig war. Weil in dem neuen Baugebiet eine Anschlusspflicht an das Nahwärmenetz bestand, waren die Bauplätze nahezu unverkäuflich. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, wie wir zu heizen haben“, musste sich der junge Amtsleiter immer wieder von verärgerten Bauplatzinteressenten anhören.

Heute, mehr als 20 Jahre später, hat sich das Blatt völlig gewandelt. Das Sulzbacher Nahwärmenetz ist ein Erfolgsmodell. Das Netz wird seit den Anfängen 1993 ständig erweitert. Angeschlossen sind inzwischen nicht nur die Festhalle und das Schulzentrum, sondern auch der zweite Teil des Wohngebiets Ziegeläcker und die Ortsmitte samt dem Rathaus. 2022 wurden die Gebäude an der Jahnstraße, der Fuchsgasse und der Gartenstraße ans Netz genommen, im Vorjahr dann die Bahnhofsstraße. Geplant ist selbstverständlich, auch den dritten Abschnitt des Gebiets Ziegeläcker anzubinden. Eigentlich sollte die Erschließung dort bereits laufen, aber die Gemeinde möchte die Planung nochmals den aktuellen Erfordernissen anpassen. Das heißt: Das ursprüngliche Konzept, dort 40 Einfamilienhäuser zu bauen, ist aktuell nicht mehr vermarktbar und vonseiten der Kommune auch nicht mehr gewollt. Um die Erschließungskosten für die Gemeinde und die Baukosten für die Bauherren reduzieren zu können, werden in dem Gebiet vermutlich Mehrfamilienhäuser und andere Wohnformen entstehen.

Die Süwag, die das Sulzbacher Netz betreibt, legt trotzdem ihre Hände nicht in den Schoss. Der weitere Ausbau des Netzes geht in der Brühlgasse, Im Brühl und in der Hallerstraße weiter. Immer konkreter wird auch der Anschluss des riesigen Gebiets Hofäcker. Etwa 60 Gebäude, die in dem Areal seit den 50er-Jahren entstanden sind, sollen angeschlossen werden. Amtsleiter Heinrich: „Die Besitzer drängen auf den Anschluss und fragen ständig: ,Wann kommt das Netz‘.“ Das Backnanger Planungsbüro Frank arbeitet mit Hochdruck an der Ausschreibung, die noch vor den Sommerferien fertig sein soll. Heinrich rechnet mit einem Baubeginn noch in diesem Jahr.

Die Biogasanlage Lautertal speist die Abwärme des Blockheizkraftwerks ein

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Wenn alle Projekte umgesetzt sind, dann hängt die Hälfte des Sulzbacher Ortsnetzes an der Nahwärme. Die funktioniert bisher so, dass in der Heizzentrale bei der Festhalle Holzhackschnitzel die Energie liefern. Der Kessel hat eine Leistung von 800 Kilowatt und ist seit 1997 in Betrieb. Seit 2012 wird über eine Verbindungsleitung von der Biogasanlage im Lautertal die Abwärme des dortigen Blockheizkraftwerks ins Nahwärmenetz mit eingespeist.

Damit stehen weitere 550 Kilowatt Leistung zur Verfügung. Und wenn es ganz dick kommt, wenn also bei fetten Minusgraden alle Nutzer die Heizung aufdrehen, können zwei Reservekessel zugeschaltet werden. Die Spitzenlast- und Reservekessel stehen im Keller des Schulzentrum, könnten weitere 2400 Kilowatt beisteuern und werden mit Heizöl betrieben.

Künftig wird das nicht reichen. Deshalb war geplant, ein weiteres Heizkraftwerk im Norden der Gemeinde zu bauen. Weil sich diese Pläne aufgrund einiger Schwierigkeiten zerschlagen haben, kommt jetzt eine andere Lösung zum Zuge: zwei acht Meter hohe Pufferspeicher bei der Sporthalle, die zum Teil im Boden eingelassen werden. Der Vorteil ist, dass der Holzbrenner immer durchlaufen kann. Wenn die Anlage zu viel Wärme produziert, wird diese in den Speichern gepuffert. Und wenn das Netz mehr Wärme benötigt, als der Kessel liefert, können die Speicher zugeschaltet werden. Somit entfällt der große Nachteil, den Ofen öfter an- und ausschalten zu müssen.

Dank des Nahwärmenetzes ist die Gemeinde Sulzbach vor drei Jahrzehnten der Vorreiter gewesen beim Thema Umweltschutz und regenerative Energien. Der Auslöser allerdings war ein Ärgernis, das sich heute – nicht zuletzt nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – als Glücksfall entpuppt hat. 1993 sah man dies im Rathaus vermutlich anders. Ein Umweltgutachten attestierte der Gemeinde nämlich, dass im Ort ein Erdgasnetz nicht wirtschaftlich umsetzbar sei. Dafür lautete die Empfehlung, ein Nahwärmenetz zu bauen und dies mit einer Holzhackschnitzelanlage zu betreiben. Bürgermeister Dieter Zahn und Hauptamtsleiter Gerold Kühnle setzten sich dafür ein und konnten den Gemeinderat trotz einiger Widerstände von der innovativen Technik überzeugen. Seither wurden in der Gemeinde viele Millionen Euro in das Netz investiert. Anfangs kümmerte sich noch die Kommune selbst um die Erschließung, heute hat die Süwag diese Aufgabe übernommen.

Die Anlagen arbeiten wirtschaftlich und ökologisch optimal

Aspach In der Gemeinde Aspach existieren zwei Nahwärmenetze.

Kleinaspach Etwa 140 Einheiten sind in Kleinaspach an der Nahwärme angeschlossen, wobei die Gemeinde das Netz selbst betreibt. Versorgt werden unter anderem zwei Großkunden und sieben kommunale Gebäude wie etwa die Grundschule, die Hardtwaldhalle, der Bauhof oder die Feuerwehr. Der erste Bauabschnitt wurde 2015 in Betrieb genommen, der zweite 2019. Allein in die Heizzentrale investierte die Gemeinde 1,6 Millionen Euro, dazu weitere 3,3 Millionen Euro in die Leitungen. Die Wärme stammt von der Holzhackschnitzelanlage und der Abwärme einer landwirtschaftlichen Biovergärungsanlage. Für den Notfall kann ein Heizölkessel zugeschaltet werden. Die Gemeinde ist laut Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff euphorisch gestartet. Aber bevor die Anlage nochmals erweitert wird, will Welte-Hauff das Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsanalyse abwarten. Da der seitherige Betrieb defizitär kalkuliert war, müssen die Gebühren laut Bürgermeisterin „nachjustiert“ werden. Sobald der Betrieb eine schwarze Null abwirft, steht die Kommune einer Erweiterung des Netzes und dem Bau einer Unterstützungsanlage aufgeschlossen gegenüber.

Großaspach Die Nahwärme für das Großaspacher Netz stammt zum Großteil aus der Biogasanlage von Putenmäster Micha Baumgärtner auf dem Schöntaler Hof. Aus Pflanzen und Mist wird dort Strom erzeugt. Zusätzlich kommt Wärme aus einem Erdgasblockheizkraftwerk in der Schule. Bei Spitzenlast springt noch ein Erdgas- und Heizölkessel an. Der erste Bereich in Großaspach wurde von 2015 bis 2019 ans Netz angeschlossen, der zweite Bereich im Vorjahr. Die Trassenlänge beträgt etwa sechseinhalb Kilometer. Die Abwärme versorgt über 140 Gebäude, darunter das Rathaus, die Feuerwehr, die Julianakirche, die Gemeindehalle sowie die Conrad-Weiser-Schule. Ganz aktuell wurde das neue Baugebiet Stegmühlenweg an das Netz angeschlossen.

Vorteile Nahwärmenetze haben zahlreiche Vorteile. So arbeiten die Anlagen zum Beispiel sehr effizient, die Wärme wird aufgrund der Größe der Anlage und der Kontinuität des Betriebs wirtschaftlich und ökologisch optimal erzeugt. Für die Abnehmer bedeutet ein Anschluss oft einen Raumgewinn. Sie brauchen keine Lagerstätte für Heizöl oder Pellets und statt eines großen Heizraums nur eine übersichtliche Übergabestation. Auch ist kein Kamin vonnöten. Kosten für Schornsteinfeger, Heizkessel sowie Reparaturen und Wartungen entfallen. Wenn gesetzliche Vorgaben strenger werden, ist dies ein Thema für den Netzbetreiber, es muss sich nicht jeder einzelne Hausbesitzer drum kümmern. Zudem bieten die Betreiber eine hohe Versorgungssicherheit durch redundante Systeme und einen 24/7 Bereitschaftsdienst.

Nachteile Da die Netzbetreiber nur langfristige Verträge anbieten, besteht eine Abhängigkeit von deren Kalkulation.

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Erstellt:
13. April 2024, 06:00 Uhr

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Achtung: Diese Aufnahme stammt nicht aus Bartenbach, sondern ist ein Symbolfoto. Jene Fotos, die am Mittwoch im Sulzbacher Teilort aufgenommen worden sind, wurden bisher nirgendwo veröffentlicht. Sie werden erst noch von Experten überprüft. Quelle: FVA Baden-Württemberg
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