Was geschah am . . . 8. Juni 1972?
„The Terror of War“: Das Napalm-Mädchen aus dem Vietnam-Krieg
Im Vietnamkrieg wird während eines Napalm-Angriffs die Fotografie „The Terror of War“ aufgenommen, die das Mädchen Kim Phuc bei ihrer Flucht aus dem Ort zeigt.

© Nick Ut(?)/AP/dpa
Die neunjährige Kim Phuc Phan Thi (M) flieht nackt mit ihren Brüdern und Cousins vor einem Napalm-Angriff. Es ist eine der denkwürdigsten Aufnahmen des 20. Jahrhunderts.
Von dpa/Markus Brauer
Nackt und schreiend läuft ein junges Mädchen frontal auf den Fotografen zu. Der drückt den Auslöser. Und hält in einem winzigen Moment den großen Schrecken des Vietnamkrieges auf Film fest. „The Terror of War“ – so der Titel der Aufnahme – ist noch 53 Jahre später eine der bedeutendsten und authentischsten Darstellungen von Gewalt und Gräueltaten, denen die Zivilbevölkerung in Kriegen ausgesetzt ist.
Die neunjährige Phan Thi Kim Phuc hat sich als Symbol ins weltweite Gedächtnis eingebrannt. „Was ist fragiler als ein kleines, nacktes, neunjähriges Mädchen mitten in einem völlig absurden Kontext – nämlich auf offener Straße umgeben von Militärpersonal“, erklärt der Experte für Fotografiegeschichte, Michael Ebert, die Sogwirkung der Aufnahme. „Wenn Kinder zu Opfern werden, berührt uns das immer ganz, ganz stark.“
Kriegstrauma mit Happy End
Die Qualen des Mädchens in der Mitte der Szenerie sind das zentrale Element in der Bildkomposition. Ihr Cousin im Vordergrund, auch die anderen Kinder gehören zur Familie. Im Hintergrund: Soldaten und dicke Rauchschwaden. Die ausgebreiteten Arme lassen christliche Betrachter wohl an Jesu Tod am Kreuz denken.
Ein weiterer Faktor, der dieses Bild in seiner ikonischen Wirkung so berührend mache, sei das Happy End, so Ebert. Denn Kim Phuc überlebt.
Als am 8. Juni 1972 die südvietnamesische Armee fälschlicherweise das Dorf Trang Bang etwa 40 Kilometer nordwestlich des damaligen Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) beschießt, ist der Abzug der mit ihr verbündeten US-Truppen aus dem Land bereits in vollem Gange.
Ikonische Aufnahme für die Ewigkeit
Vor Ort ist Fotograf Nick Ut. Der 21-jährige Vietnamese arbeitet damals bereits seit sechs Jahren für die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Kurz vor der geplanten Rückkehr nach Saigon „sah ich, wie ein Flugzeug vier Napalmbomben abwarf“, schreibt er Jahrzehnte später im US-Magazin „Newsweek“.
Menschen, die teils tote Kinder in ihren Armen halten, rennen auf ihn zu. Darunter auch Kim Phuc. „Ich fragte mich, warum sie keine Kleidung trug“, erinnert sich Ut. „Aber als ich näher an sie heranlief und Fotos machte, konnte ich sehen, wie schwer verbrannt sie war.“
Es dauert maximal 15 Sekunden, bis der Fotograf und seine Kollegen anderer Medien den Kindern helfen. Ut selbst bringt das Mädchen und weitere Verwundete in ein Krankenhaus.
Die perfekte Millisekunde
„Er hat ihr das Leben gerettet mit dieser Aktion“, erklärt Ebert, der sich seit Jahren intensiv mit dem Foto und dessen Protagonisten auseinandersetzt. „Ich habe alle Aufnahmen ausgewertet, die an dem Tag gemacht worden sind.“ Mehrere Fotografen seien in Trang Bang gewesen. „Nur Nick hat das Bild der Bilder gemacht.“ Es sei die perfekte Millisekunde gewesen, in der der junge, aber erfahrene Reporter mit seiner Leica M2 abgedrückt habe.
Eigentlich zeigt Uts Aufnahme einen größeren Ausschnitt der Szene: Am rechten Bildrand sind noch weitere Soldaten und ein Fotograf zu sehen. Das ursprüngliche Kleinbildformat des Fotos mit der Nummer 7A wird aber bereits im AP-Büro in Saigon passend für das Zeitungsformat beschnitten: Kim Phuc rückt dabei in die Mitte – und gibt der Aufnahme die Energie.
Pulitzer-Preis für „Terror of War“
Nach Uts Ankunft aus dem Krankenhaus in der Redaktion wird das Foto an die Zentrale nach New York gefunkt. Trotz Verstoßes gegen die Regel, eigentlich keine vollständig nackten Personen zu zeigen, geht die Aufnahme in den weltweiten AP-Dienst. Abendzeitungen drucken das Bild, am darauf folgenden Tag ist es auf der Titelseite der „New York Times“.
Es wird später als „Pressefoto des Jahres“ ausgezeichnet, zudem erhält Ut den renommierten Pulitzer-Preis. Anfang 2021 verleiht ihm US-Präsident Donald Trump die National Medal of Arts.
„Ich habe meine Kindheit verloren“
Kim Phuc erleidet damals auf der Hälfte ihres Körpers Verbrennungen dritten Grades. 14 Monate muss sie im Krankenhaus bleiben. Seit Anfang der 1990er Jahre lebt sie in Kanada. „
Dieses Bild erinnert mich immer wieder daran, dass ich meine Kindheit verloren habe“, sagte sie einmal. „Ich bin nicht länger ein Opfer des Krieges. Ich bin eine Mutter, eine Großmutter und eine Überlebende, die zum Frieden aufruft.“
Worum ging es im Vietnam-Krieg?
Die Geschichte dieses blutigen Dschungelkrieges ist vielschichtig und kompliziert. Er begann kurz nach der Unabhängigkeit von der langjährigen Kolonialmacht Frankreich und zog sich über fast 20 Jahre, von 1955 bis 1975.
Seit Mitte der 1960er Jahre mischten die USA massiv mit und unterstützen südvietnamesische Truppen beim Versuch, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien zu verhindern. In Vietnam heißt der blutige Konflikt „The American War“ (Der amerikanische Krieg).
Die Nordvietnamesen agierten unter dem Namen „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“ – kurz „Vietcong“ genannt. Sie wurden von der damaligen Sowjetunion unterstützt. Ihr Anführer war Ho Chi Minh, der im kommunistischen Vietnam noch heute wie ein Heiliger verehrt wird. Saigon heißt seit Kriegsende offiziell Ho-Chi-Minh-Stadt.
Schmähliche Niederlage für die USA
Als die USA sich 1973 aus dem Krieg zurückzogen, hatten sie die erste große militärische Niederlage ihrer Geschichte eingefahren und 58.000 Soldaten verloren. Trotz des Einsatzes entsetzlicher Waffen wie des Brandkampfstoffs Napalm und „Agent Orange“ – eines hochtoxischen Entlaubungsmittels – hatten die GIs gegen die ausgeklügelten Guerilla-Taktiken des Vietcong letztlich keine Chance.
Bis heute regieren die siegreichen Kommunisten. Sie halten die Erinnerung an den Krieg, der nach Schätzungen zwei bis fünf Millionen Vietnamesen das Leben kostete, weiter lebendig
Info: Wer drückte den Auslöser der Kamera?
Zweifel53 Jahre nach dem ikonischen Foto vom Vietnamkrieg gibt es Zweifel, wer der Fotograf war. Die Organisatoren des Wettbewerbs World Press Photo haben ernsthafte Zweifel an der Urheberschaft. Bis zur eindeutigen Klärung werde daher der Name des Fotografen nicht mehr genannt, teilte die Organisation in Amsterdam am 16. Mai 2025 mit. Das ist das Ergebnis einer eingehenden Analyse des historischen Fotos.
20 Dollar für einen Mitarbeiter Bisher galt der damals 21 Jahre alte Nick Ut als Fotograf, er hatte für die Nachrichtenagentur AP gearbeitet. Doch in einem Dokumentarfilm waren Anfang des Jahres erstmals Zweifel geäußert worden. Wahrscheinlicher ist demnach, dass ein damals freier Mitarbeiter von AP das Foto machte. Er soll dafür 20 Dollar bekommen haben. World Press Photo untersuchte die Urheberschaft. Nach der Analyse des Standortes, der Entfernung des Fotografen und der benutzten Kamera hatten eher zwei andere Mitarbeiter, Nguyễn Thành Nghệ oder Huỳnh Công Phúc, auf den Auslöser gedrückt.
Echtheit des Fotos unbestrittenDie Echtheit des Fotos selbst sei aber unbestritten, betont Joumana El Zein Khoury, Direktorin von World Press Photo. „Es steht außer Frage, dass dieses Foto einen realen Moment in der Geschichte darstellt, der in Vietnam, den Vereinigten Staaten und weltweit noch immer nachhallt.“ Möglicherweise werde die Frage, wer der Urheber des Fotos ist, nie völlig geklärt.