Tolle Tour mit einem kleinen Makel

Sommerreportage: Unterwegs auf dem Stromberg-Murrtal-Radweg, der zwischen Kirchberg und Fornsbach durch das Verbreitungsgebiet unserer Zeitung führt. Der fehlende Abschnitt zwischen Burgstall und Backnang trübt das Gesamtbild.

Tolle Tour mit einem kleinen Makel

© Alexander Becher

Von Steffen Grün

BACKNANG. Wie viele Fehler darf man machen, bis sie sich zum kapitalen Eigentor addieren? Zählen wir nach. Erstens: Nicht rasch genug weggeduckt, als in der Redaktionskonferenz Sommerreportagen verteilt wurden und jemand den Teilabschnitt des Stromberg-Murrtal-Radwegs testen sollte, der durch das Verbreitungsgebiet unserer Zeitung führt. Zweitens: Ja gesagt, obwohl schon seit fast zwei Jahrzehnten kein fahrtüchtiger Drahtesel im heimischen Keller steht. Drittens: Vom Kumpel vor die Wahl gestellt, ein E-Bike auszuleihen, das einen beinahe im Schlaf den Berg hinaufsausen lässt, oder doch lieber ein normales Mountainbike, meldet sich das Ego. Das muss doch wohl noch möglich sein, aus eigener Kraft einen moderaten Anstieg hinaufzustrampeln. Viertens: Anstatt die Räder im Auto des begleitenden Fotografen zu verstauen und zum Startpunkt bei der Landkreisgrenze kurz vor Kirchbergs Ortseingang zu transportieren, weil die S-Bahn wegen des Brückenbaus keine Option ist, wird die Anfahrt aus Backnang in völliger Überschätzung des Fitnesslevels zu einer Warmmachrunde deklariert. Fünftens und letztens: Und das alles bei sengender Hitze an einem der vielleicht letzten hochsommerlichen Tage in diesem Jahr.

Der Prolog: Ein stetiges, stellenweise sehr holpriges Auf und Ab charakterisiert die Route von Backnang über Unterschöntal und Zwingelhausen nach Kirchberg. Angekommen am eigentlichen Startpunkt und damit dort, wo der Stromberg-Murrtal-Radweg das Verbreitungsgebiet unserer Zeitung erreicht, wird erst einmal der Wasservorrat in die Nähe des Nullpunkts reduziert und die Brezel vertilgt, um den Energiespeicher wieder zu füllen. Dann kann es losgehen, rund 30 Kilometer bis zur nächsten Landkreisgrenze zwischen Fornsbach und Fichtenberg warten.

Schöner Auftakt, abrupter Stopp: Schnell geht es in Kirchberg rechts weg und aus dem Ort wieder hinaus. Auf topfebenem Kurs bleibt bei gemächlichem Tempo genug Zeit, die idyllische Landschaft zu genießen. Das zugewachsene Murrufer, mal mehr und mal weniger saftige Wiesen, einige grasende Kühe – es gibt etwas zu sehen, die Strapazen bleiben überschaubar. Plötzlich bleiben die Augen aber auf einem Schild hängen, das man auf einem Radweg, der vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club bereits vor viereinhalb Jahren mit immerhin drei von fünf Sternen ausgezeichnet wurde, so nicht erwartet. Schwarz auf weiß steht da: Radfahrer absteigen. Ein Befehl, keine Bitte – und das hat seinen Sinn. Wer nicht zu den geübten Mountainbikern gehört, die schwierige Trails erst so richtig glücklich machen, für den wäre es gefährlich, auf Höhe der Quelle Geisterhöhle einfach im Sattel zu bleiben. Zu steil geht es bergauf und später zu rasant bergab, zu spitz und teils zu groß sind die Steinchen und Steine.

Nicht das, was man von einem Radweg erwartet: Zwischen Kirchberg und Burgstall ist plötzlich absteigen angesagt, bei der Geisterhöhle ist es zu gefährlich. Ab Backnang geht es bis Murrhardt dagegen wieder gemütlich zu. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Nicht das, was man von einem Radweg erwartet: Zwischen Kirchberg und Burgstall ist plötzlich absteigen angesagt, bei der Geisterhöhle ist es zu gefährlich. Ab Backnang geht es bis Murrhardt dagegen wieder gemütlich zu. Fotos: A. Becher

Der Col de Burgstall: Kaum ist die Gefahrenstelle auf schiebende Weise bewältigt und der Ortsteil von Burgstetten erreicht, offenbart der Stromberg-Murrtal-Radweg seine größte Schwäche in der hiesigen Region: Es ist nicht möglich, weiterhin an der Murr entlangzufahren, das Teilstück bis zur Kläranlage Oberschöntal fehlt. Stattdessen lauert ab der Bahnunterführung ein Anstieg, der sich gewaschen hat. Auch Fabian Bölke schaut mit einer Portion Respekt nach oben. „Ich bin nur ausnahmsweise hier, weil ich mit dem Fahrrad zu einem Treffen mit Freunden nach Backnang fahre“, erzählt der Ludwigsburger. Das Navi leitet ihn. Von dem überregionalen Fernradweg, der zumindest an diesem Tag in weiten Teilen nicht allzu stark frequentiert ist, hört er zum ersten Mal. Dann verabschiedet sich Bölke wieder und erklimmt den Hang mit einem Karacho, das einen neidisch werden lässt. Der Versuch, in Sichtweite zu bleiben, endet im Fiasko. Als Jan Ullrich bei einer Tour-de-France-Etappe in den Vogesen 1997 schwächelte, schrie Udo Bölts seinem Teamkollegen und späteren Toursieger einen legendären Spruch hinterher: „Quäl dich, du Sau.“ In Burgstall ist Udo Bölts aber weit und breit nicht zu sehen, als Motivationshilfe vonnöten ist. Das Ergebnis: Raus aus dem Sattel und schon wieder schieben. Mit bemitleidenden Blicken beobachtet von einem Mann, der im Hof sein E-Bike putzt. Immerhin: Oben angekommen ist das Gröbste schon geschafft, einen vergleichbaren Anstieg gibt es bis Fornsbach nicht mehr.

Treffen mit einem Vielfahrer: Von Burgstall geht es nach Erbstetten und dann in Richtung Backnang, bei der Kläranlage Oberschöntal ist die Murr wieder da und der Radweg macht seinem Namen wieder alle Ehre. An dieser Stelle kommt Ottmar Polzien entgegen, bremst auf Zuruf ab und dreht um. „Ich fahre jeden Tag von Köngen nach Backnang zur Firma Telent und wieder zurück“, berichtet der 57-Jährige. „Der kürzeste Weg ist 36 Kilometer lang, die schönere und sicherere Strecke hat 42 Kilometer.“ Nicht weiter verwunderlich also, dass 2020 schon gut 14000 Kilometer auf seinem Tacho stehen, zumal weitere Touren dazukommen. „Der Radweg zwischen Erbstetten und Backnang müsste viel breiter sein“, übt Polzien klare Kritik, aber noch viel besser fände auch er es, wenn das fehlende Stück am Fluss entlang gebaut werden würde.

Täglich aus Köngen zum Arbeitsplatz nach Backnang und zurück: Ottmar Polzien ist Vielfahrer, dieses Jahr sind es schon gut 14000 Kilometer.

© Alexander Becher

Täglich aus Köngen zum Arbeitsplatz nach Backnang und zurück: Ottmar Polzien ist Vielfahrer, dieses Jahr sind es schon gut 14000 Kilometer.

Der Verkehr nimmt zu: Von regem Betrieb kann weiterhin nicht gesprochen werden, aber auf dem Weg in die Innenstadt, unter anderem vorbei am Etzwiesenstadion, wird es zunehmend etwas belebter. Auf der Bleichwiese bietet der Imbisswagen die Möglichkeit, den Wasserhaushalt wieder auszugleichen, die unmittelbar in der Nähe zu findende ADFC-Reparaturstation wird nicht benötigt. Den Fahrrädern geht es gut, den Fahrern so lala. Es passt ins Kalkül, dass der Kurs sehr flach ist und weitgehend flach bleibt. Über das Freibad geht’s zunächst Richtung Steinbach, dann wird gen Oppenweiler abgebogen. Zell, Aichelbach – mehr als kleinere Hügelchen lauern nicht. Auf Dauer zu wenig für einen wie Rouven Hölzlein aus Backnang, dem der Stromberg-Murrtal-Radweg „unter diesem Namen nicht bekannt“ ist. Das Stück zwischen Sulzbach und Backnang sei aber oftmals Teil seiner Touren, „ich bin etwa dreimal pro Woche ab dem späten Nachmittag unterwegs, zwischen 30 und 70 Kilometer“. An diesem Tag hat der 23-Jährige schon eine Runde von Backnang über Prevorst bis fast zum Breitenauer See und weiter über Löwenstein und Großerlach hinter sich.

Das Ziel naht: Sanfte Tritte reichen, um den Drahtesel von Oppenweiler bis Sulzbach zu bewegen. Es ist weitgehend eben, daran ändert sich auch nichts mehr. Etwas ungemütlich wird es zwischen Sulzbach und Schleißweiler, weil wegen der aktuellen Baustelle auf der Landesstraße vor Bartenbach viele Autos von hinten überholen wollen. Ihnen entgegen kommt Florian Feuchter, der „abends zur Entspannung nach der Arbeit“ oft 20 bis 30 Kilometer abspult, „manchmal auch weniger“. Er wisse zufällig, dass der Stromberg-Murrtal-Radweg hier entlangführt, erklärt der 27-jährige Sechselberger und ist damit der erste Gesprächspartner, bei dem das so ist. Es wird auch der einzige bleiben, denn so etwas wie ein überregionaler Tourenfahrer ist nicht anzutreffen. Weil es schon nach 20 Uhr ist und es langsam zu dämmern beginnt, endet die Radtour bereits am Murrhardter Bahnhof anstatt erst hinter Fornsbach. Zurück geht’s mit dem Zug, auch wenn das ambitionierte Radler belächeln werden.

Tolle Tour mit einem kleinen Makel

© Alexander Becher

Die Bilanz: Ein Prolog, der schon etliche Körner gekostet hat. Eine Etappe, die es im ersten Abschnitt in sich hat, danach aber zunehmend gemütlich zu fahren ist. Offizielle Hinweisschilder, mit denen etwas sparsam umgegangen wurde, inklusive der normalen Radwegweiser reicht es aber. Acht Murrüberquerungen plus eine neunte außer Konkurrenz, da der korrekte Weg nicht zum Murrhardter Bahnhof, sondern in die Innenstadt geführt hätte. Und die weiterhin offene Frage, ob künftig ein neues Mountainbike oder ein neues E-Bike im Keller stehen soll. Argumente für beide Varianten lieferte diese Tour, die im Nachhinein kein Eigentor war, sondern vielmehr ein Volltreffer.

In der Abendsonne unterwegs: Florian Feuchter aus Sechselberg liebt es, zur Entspannung nach Feierabend eine Runde auf dem Rad zu drehen.

© Alexander Becher

In der Abendsonne unterwegs: Florian Feuchter aus Sechselberg liebt es, zur Entspannung nach Feierabend eine Runde auf dem Rad zu drehen.

152 Kilometer, sieben Etappen und etliche Sehenswürdigkeiten

Von West nach Ost, einmal quer durch das Ländle: Der Stromberg-Murrtal-Radweg führt über rund 152 Kilometer von Karlsruhe bis nach Gaildorf. Unterteilt ist die Route offiziell in sieben Etappen: Von Karlsruhe nach Pfinztal (13,4 Kilometer/78 Höhenmeter bergauf), von Pfinztal nach Maulbronn (29,1/420), von Maulbronn nach Vaihingen an der Enz (23,5/230), von Vaihingen nach Marbach am Neckar (28,9/191), von Marbach nach Backnang (20,4/346), von Backnang nach Murrhardt (17,6/158) und von Murrhardt nach Gaildorf (18,7/241).

Die komplette Tour auf einen Streich zu erledigen, dürfte für ambitionierte Hobbyradler durchaus machbar sein. Für „Genussradler und Pedelecfahrer“, auf die der Kurs mit mittlerem Schwierigkeitsgrad laut der offiziellen Homepage in erster Linie ausgelegt ist, ist dagegen die gemächliche Variante ratsam. Es gibt schließlich viel zu sehen, denn der Stromberg-Murrtal-Radweg verbindet malerische Flusstäler, idyllische Fachwerkstädte und Weindörfer, zwei Naturparks und zwei Unesco-Welterbestätten miteinander. Zudem gibt es auch entlang der Strecke eine Menge zu entdecken, wenn die Zeit reicht.

Landschaftliche Höhepunkte sind die Flusstäler von Pfinz, Enz und Murr sowie die Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald und Stromberg-Heuchelberg. In kultureller Hinsicht warten etwa die Fächerstadt Karlsruhe und die Schillerstadt Marbach sowie die Unesco-Welterbestätten Kloster Maulbronn und Obergermanisch-Raetischer Limes. In der Liste der Highlights, die auf der Homepage genannt werden, tauchen auch das Urmensch-Museum in Steinheim an der Murr, ein Stadtrundgang in Backnang, das Wasserschloss und der Schlossgarten in Oppenweiler, das Arboretum in Sulzbach, das Naturparkzentrum und das Carl-Schweizer-Museum in Murrhardt, das Freizeitgebiet am Waldsee in Fornsbach, der Diebachstausee in Fichtenberg und das Alte Schloss in Gaildorf auf.

Weitere Infos zur Strecke, zu Sehenswürdigkeiten, zu geführten Touren, zum Fahrradverleih oder zu Kartenmaterial gibt’s im Internet unter www.stromberg-murrtal-radweg.de.

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Erstellt:
27. August 2020, 11:30 Uhr

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