Totenehre kontra Leichentourismus

Kühleinheit am Winnender Klinikum zu klein – Klinghoffer-Antrag auf Erweiterung im Kreistagsausschuss abgeschmettert

Symbolfoto: karrenbrock.de / pixelio.de

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Von Martin Winterling und Armin Fechter

WAIBLINGEN. Die Backnanger Kreisrätin Charlotte Klinghoffer fordert die Erweiterung der zu klein konzipierten Kühleinheit am Winnender Klinikum. Es gehe dabei um die Wahrung der Totenehre, begründet sie ihr Begehren. Dem Landkreis wirft sie zugleich vor, eine Sparpolitik zu betreiben, die zu Leichentourismus führe.

Der Tagesordnungspunkt 5.3.16 hatte Brisanz: „Erweiterung der Kühleinheit im Rems-Murr-Klinikum Winnenden um mindestens neun Plätze (idealerweise um zwölf Plätze)“. Die zu klein konzipierte Pathologie im neuen Krankenhaus führe zu Leichentourismus, die Zustände in der stets überfüllten Prosektur seien pietätlos, begründete Charlotte Klinghoffer ihren Antrag jetzt im Verwaltungs-, Schul- und Kulturausschuss des Kreistags. Die Backnangerin bildet zusammen mit der Kirchbergerin Gudrun Wilhelm die zweiköpfige Gruppe Wilhelm/Klinghoffer, kurz Wi/Kli.

Landrat Richard Sigel, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken, wies die Vorwürfe entschieden zurück. Dass die Pathologie im Winnender Klinikum zu klein ist, wird von den Kliniken gar nicht bestritten. Aufgrund des Patientenwachstums habe sich gezeigt, „dass in Hochbelegungszeiten die Unterbringungsmöglichkeiten von Verstorbenen in der Prosektur limitiert sind“, heißt es in der Stellungnahme des Landratsamts zu dem Antrag von Klinghoffer und Wilhelm, den beiden Kreisrätinnen, die ursprünglich auf der Liste der FDP/ FW kandidiert hatten, im Zuge des Streits mit der Partei aber aus der Fraktion ausgeschieden waren.

Seit 2017 werden wegen des Platzmangels Verstorbene aus dem Klinikum vorübergehend zu einem Winnender Bestattungsunternehmer gebracht, der über geeignete Kühlräume verfüge. „Dies ist ein auch in anderen Krankenhäusern übliches Verfahren.“ Verstorbene liegen aber zeitweise in ihren Betten auf den Gängen, führte Charlotte Klinghoffer, ihres Zeichens Bestattungsunternehmerin in Backnang, aus. Es handle sich da um „Leichentourismus“. Im Jahr 2018 seien 83 Leichen ausgelagert worden, bis November 2019 bereits über 100. Die Zahl wäre laut Klinghoffer tatsächlich sogar noch größer. Aus dem Klinikum komme immer wieder ein Anruf oder Hinweis, dass eilige Abholung gewünscht werde, sodass eine externe Lagerung nicht notwendig wird. Dass diese Vorgehensweise auch in anderen Krankenhäusern üblich sei, bestritt Klinghoffer: „In keinem Klinikum in unserer Region wird ein solches Verfahren angewendet.“

Wenn die Verstorbenen in ihren Betten auf den Gängen liegen, hätten alle Bestatter Zugang. Aus Klinghoffers Sicht ein Verstoß gegen den Datenschutz. Kritisch sieht die Bestatterin vor allem aber den Transport und die zwangsläufig häufigeren Umlagerungen der Leichen aufgrund zu weniger Kühleinheiten. Dies gehe zudem ins Geld. Jede externe Lagerung koste 120 Euro. Gezwungenermaßen werde die Kühlkette unterbrochen, wenn der Transport in großer Hitze im Sommer durchgeführt werde. „Dies beeinträchtigt den Zustand des Leichnams wesentlich“, sagte Klinghoffer und sprach von einem pietätlosen Umgang mit Verstorbenen – verbunden mit dem Hinweis, den Kolleginnen und Kollegen im Kreistag Details ersparen zu wollen.

Klinghoffer regte in ihrem Etatantrag weiterhin an, für die Pathologie einen Hubwagen mit Kippvorrichtung anzuschaffen, damit das Klinikpersonal auch adipöse Verstorbene ohne großen körperlichen Aufwand in die Kühleinheit umlagern könnte. „Dies ist im Rahmen des Arbeitsschutzes geboten und reduziert den Personalaufwand des Klinikums“, heißt es dazu im Antrag.

Für Landrat Sigel ist die Pathologie kein Thema, das sich für eine öffentliche Auseinandersetzung eignet. Dem schloss sich eine große Mehrheit der Kreisräte im Ausschuss an. Es meldete sich keiner zu Wort. Der Wi/Kli-Antrag wurde bei nur drei Jastimmen abgeschmettert.

Landratsamt sieht keinen Verstoß gegen den Datenschutz

In den Unterlagen für den Kreistag wies das Landratsamt darauf hin, dass sich auch der Aufsichtsrat mit dem Antrag beschäftigt habe. Die Rems-Murr-Kliniken betonen, dass kein Verstoß gegen den Datenschutz vorliege. Der Zugang zur Prosektur und zu den Kühlkammern sei nur befugten Personen nach Anmeldung an der Information und Vorlage aller notwendigen Dokumente möglich. „Eine Verbringung von Verstorbenen außerhalb des Klinikums erfolgt nach formalrechtlich, ethisch und hygienisch einwandfreien Bedingungen.“ Das von den Hinterbliebenen beauftragte Bestattungsunternehmen hole den Verstorbenen bei externer Unterbringung bei der kooperierenden Bestattungsfirma in Winnenden ab, was auch kurzfristig möglich sei. Fazit: „Der Prozess der Verlegung von Verstorbenen in Hochbelegungszeiten in eine externe Prosektur konnte erfolgreich etabliert werden.“

Die Kosten für die externe Lagerung summieren sich laut Klinghoffer in diesem Jahr auf mindestens 13200 Euro. Dem stellte sie die Kosten gegenüber, die bei einer Erweiterung der Kühleinheit im Klinikum entstünden: „Eine Kühleinheit besteht in der Regel aus drei Boxen mit eigenständigen Aggregaten. Eine solche Einheit kann man ab 16000 Euro inklusive Montage erwerben. Aufgrund der von der Verwaltung vorgelegten Statistik ergibt sich zwar, dass womöglich zwei Einheiten (beziehungsweise sechs Boxen) ausreichend wären. Jedoch müssen wir die geplante Bettenerweiterung auch im Auge behalten.“ Nach Klinghoffers Schätzung werde sich die Investition nach vier Jahren amortisiert haben.

Die Kreisrätin unterstrich zudem, dass keineswegs persönliche Gründe hinter dem Antrag stünden: „Es geht mir um den Zeitraum, bevor der beauftragte Bestatter tätig werden kann, und um die Wahrung der Totenehre.“ Sie kündigte an, an dem Antrag festzuhalten.

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Erstellt:
12. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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