Typisch Mann, typisch Frau? Das war gestern!

Anlässlich des heutigen Weltfrauentags hinterfragen wir die Klischees zu bestimmten Berufsgruppen und stellen eine KfZ-Mechatronikerin für Lastwagen und einen Erzieher vor. Larissa Huber hat bei Mercedes in Backnang den Beruf der Nutzfahrzeugmechatronikerin erlernt. Daniel Lopes Pereira arbeitet im Hort an der Mörike-Gemeinschaftsschule in Backnang.

Larissa Huber, Burger Schloz. Frauen in Männerberufen

© Alexander Becher

Larissa Huber, Burger Schloz. Frauen in Männerberufen

Von Lorena Greppo und Florian Muhl

Backnang. Das Schrauber-Gen liegt ihr im Blut: Das Tonnen schwere Führerhaus eines dicken Brummis zu kippen, um an dessen Motor zu gelangen, ist für Larissa Huber kein Problem. Auch das Wechseln von 35 Litern Motoröl und dem dazu gehörigen Ölfilter beherrscht die 20-Jährige aus dem Effeff. Die junge Frau aus Oppenweiler ist praktisch mit den Geräuschen von laufenden Motoren und Presslufthammergetöse aufgewachsen. Sie liebt den Werkstattduft, die einen Hauch von Benzin- und Dieselnoten enthält. „Mein großes Vorbild ist mein Vater“, sagt sie. Der arbeitet bereits seit 40 Jahren als Land- und Baumaschinenmechaniker bei der Firma Lukas Gläser in Aspach.

„Mein Traum war es immer, auch dort zu arbeiten“, bekennt die junge Frau. Teilweise ist es ihr auch gelungen. Schulferien beispielsweise hatte sie schon mehrfach genutzt, um bei Gläser Ferienjobs und Praktika zu absolvieren und dabei ihrem Vater über die Schulter schauen zu können, wie er Bagger, Radlader und Asphaltfräsen repariert. Aber den Beruf dort zu erlernen, wo Papa schafft, das wollte sie dann doch nicht. So suchte sie andernorts nach einem Ausbildungsplatz und wurde bei Burger und Schloz in Backnang fündig.

„Ich wurde bei Mercedes sofort akzeptiert“

Aber zunächst musste sie als junges Mädchen zunächst den notwendigen Schulabschluss schaffen. Nachdem die Hauptschule in der Murrtalschule in Oppenweiler dicht gemacht wurde als sie gerade mit acht weiteren Mitschülerinnen und Mitschülern die siebte Klasse besuchte, wechselte sie auf die Conrad-Weiser-Schule nach Großaspach und hatte nach zwei Jahren dort ihren Hauptschulabschluss in der Tasche. Zwei weitere Jahre folgten auf der Berufsfachschule in Backnang mit dem Schwerpunkt Kraftfahrzeugtechnik. Am Ende konnte sie mit der Mittleren Reife auftrumpfen und mit 17 bei Mercedes in der Sulzbacher Straße beginnen. Und wegen der Berufsfachschule durfte sie sogar das erste Lehrjahr überspringen.

„Von Anfang an bin ich bei Mercedes gut aufgenommen worden, ich wurde sofort akzeptiert“, erinnert sich Larissa Huber. Sie hätte bei Burger und Schloz auch im Pkw-Bereich anfangen können, so wie ihre beste Freundin, aber da werden inzwischen fast nur noch Komponenten getauscht, da ist viel Elektronik drin und geschraubt wird kaum noch, sagt sie. Das mag sie nicht so sehr. Die 20-Jährige will lieber selbst Hand anlegen und zupacken. Und dabei auch die Finger schmutzig machen, „na klar, das gehört doch dazu“, lacht sie amüsiert. „Beim Lkw ist’s nicht so schlimm, wenn man mal mit der Jacke hängen bleibt, wie beim Pkw.“

„Manchmal sieht man den Kunden ihre Verwunderung ins Gesicht geschrieben“

Während die Pkw-Azubis nach Stuttgart in die Handwerkskammer fahren mussten, um die Schulbank zu drücken, war für die Nutzfahrzeug-Nachwuchsmechatroniker die Grafenbergschule in Schorndorf das Ziel, um die Inhalte der Fächer wie Mathe und Physik, Berufstheorie und Werkstattunterricht zu pauken.

Ob schon mal jemand komisch reagiert hat, weil eine Frau im typischen Männerberuf schafft? Nein, von den Kollegen noch nie, sagt Larissa Huber. „Bei den Kunden, man kann jetzt nicht sagen, dass sie komisch schauen, wenn ich jetzt rauskomme, um eine Birne zu wechseln oder nach ihrem Lkw zu schauen, aber manchmal sieht man ihre Verwunderung schon ins Gesicht geschrieben, aber einen dummen Spruch hab‘ ich noch nie an den Kopf geworfen bekommen.“ Den Aufgaben in der Werkstatt fühlt sich die 20-Jährige gewachsen. Sie ist weder zierlich und klein noch groß und kräftig gebaut. „Ich würde mich nicht als schwach bezeichnen“, sagt sie selbstbewusst. Und wenn dann doch mal mächtig schwere Teile zu bewegen sind wie beispielsweise Lkw-Räder, dann sind ausreichend helfende Hände zur Stelle.

Obwohl die junge Frau aus Oppenweiler während ihrer täglichen Arbeit schon ausreichend Bewegung hat, ist sie in ihrer Freizeit auch noch sportlich aktiv. Einerseits spielt sie Fußball beim FV Wüstenrot in der Kreisliga, zum anderen reitet sie schon seit zehn Jahren. Zweimal die Woche ist sie im Stall, wo sie eine Reitbeteiligung hat.

Schriftlicher und mündlicher Teil der Gesellenprüfung sind gut gelaufen

Wäre das nicht schon genug an Freizeitaktivitäten, setzt Larissa Huber dem noch ein drauf: Mit Stolz zeigt sie auf ihrem Smartphone einige Bilder. Darauf zu sehen zwei Opel Kadett C. „Das Coupe, ein GTE, eine 1000er Serie, gehört meinem Vater und die Limo gehört mir“, sagt sie. „Nebenher sind wir noch Hobbyschrauber.“ Wenn die beiden zwei Oldtimer Liebe und Pflege benötigen, sind Vater und Tochter in der Garage anzutreffen.

Mit gemischten Gefühle blickt Larissa Huber auf die vergangenen Tage zurück. Zum einen mit Stolz und Freude. Sie hat die Gesellenprüfung bestanden. Die schriftliche Prüfung sei genauso gut gelaufen wie der praktische Teil. Da hatte sie vier Stationen. Kupplung ausbauen und Fehler suchen und dann Niveauregulierung einstellen sowie das Lüftspiel von Bremsen einstellen und zum Schluss da Thema Unfallverhütungsvorschriften. „Da guckt man einfach das Auto durch, ob alles passt, alles dicht ist , ob die Lichter alle funktionieren, das Fahrzeug muss einfach den Sicherheitsvorschriften entsprechen.“ Alles gemeistert, jetzt hat sie den Gesellenbrief in der Tasche. Allerdings verlässt sie Burger und Schloz und damit auch die Kollegen. „Die werde ich schon vermissen, die hab‘ ich schon ein bisschen ins Herz geschlossen“, gesteht sie.

Letztlich überwiegt aber ihre Freude. Denn Anfang März ist ihr lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Sie hat einen Arbeitsvertrag bei Lukas Gläser bekommen und arbeitet zunächst im Lager, später dann als Mechanikerin in der Werkstatt. Dann wird auch sie lahme Bagger, Radlader und Asphaltfräsen wieder flott machen.

Er möchte in erster Linie für die Kinder da sein

Einen vermeintlich typischen Frauenberuf hat Daniel Lopes Pereira. Der 44-Jährige ist Teamleiter des Horts an der Mörike-Gemeinschaftsschule in Backnang. „Lopi, schau mal, was ich heute gemacht hab!“ „Lopi, spielst du mit uns Tischkicker?“ Wenn Daniel Lopes Pereira den Raum betritt, strahlen die Kinder. Andere in seiner Position widmen sich vor allem Verwaltungsdingen, das ist aber gar nicht sein Ding. Der Burgstettener möchte in erster Linie für die Kinder da sein. Im Bezug auf den organisatorischen Kram sagt er grinsend: „Die Arbeit ist da, aber sie ist auch morgen noch da.“

Für Daniel Lopes Pereira gehört auch das Tischkickern zum Beruf. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Für Daniel Lopes Pereira gehört auch das Tischkickern zum Beruf. Foto: Alexander Becher

Dass er es gut mit Kindern kann, haben er und sein Umfeld schon früh festgestellt, sagt Lopes Pereira. Früher hat er bei der TSG Backnang Basketball gespielt und später auch Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren trainiert. Trotzdem sei es nie sein Wunsch gewesen, die Kinderbetreuung zum Beruf zu machen. Nach der Schule begann er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, doch „ich habe schon nach drei Monaten gemerkt, dass das nichts für mich ist“. Durch Zufall las er eine Stellenanzeige in der BKZ: Die Gemeinde Weissach bot ein Vorpraktikum für eine Erzieherausbildung an. Daniel Lopes Pereira bewarb sich und wurde prompt angenommen.

Dass er als Mann in diesem Berufsbild die Ausnahme war, bemerkte er früh. In seiner Ausbildung waren unter 90 Azubis nur zwei Männer. „Ich wurde zu einem Extra-Gespräch mit dem Schulleiter eingeladen“, erzählt Lopes Pereira. Dieser entmutigte den Azubi nicht etwa, er habe ihn nur darauf aufmerksam gemacht, dass er die kommenden zwei Jahre fast ausschließlich unter Frauen sein werde und gefragt, ob das für ihn ein Problem darstelle. Tat es nicht.

Daniel Lopes Pereira kann gar zwei männliche Kollegen vorweisen

An seinem heutigen Wirkungsort in Backnang ist Daniel Lopes Pereira übrigens nicht der einzige Mann – er kann gar zwei männliche Kollegen vorweisen. „Männer ziehen andere Männer an, das merken wir in vielen Bereichen“, sagt Regine Wüllenweber, Leiterin des Amts für Familie, Jugend und Bildung und fügt lachend hinzu: „Vor allem wenn einer so eine coole Socke ist.“ Wenn jemand diesen Beruf mit Spaß und Herzblut ausübe, sei er die beste Werbung. Überhaupt sei die Zahl der männlichen Bewerber im Bereich der Kinderbetreuung in den vergangenen Jahren gestiegen, so Wüllenweber. Gründe dafür sind unter anderem die Vielfalt der Berufsprofile, bei denen auch immer mehr Bewegungs- und Naturschwerpunkte gefragt sind, eine bessere Bezahlung sowie eine Ausbildung mit mehr Praxisnähe. Auch gebe es immer mehr Väter, die sich bewusst für ihre Kinder Zeit nehmen wollen. Überhaupt sei die Gesellschaft dahingehend im Wandel. „Für mich geschieht das aber in zu kleinen Schritten“, räumt die Amtsleiterin ein. Von einer paritätischen Verteilung sei man in der Branche noch weit entfernt.

Warum es ein Zugewinn ist, wenn mehr Männer in der Kinderbetreuung tätig sind, veranschaulicht Wüllenweber in einem Gegenbeispiel: „Manche Kinder werden bis zur weiterführenden Schule nur von Frauen betreut.“ Daniel Lopes Pereira zeigt auf, warum unterschiedliche Erziehertypen wichtig sind: „Ein Kollege von mir kennt zum Beispiel die Spiele, die die Kinder zocken. Er ist mit ihrer Lebensrealität in dieser Hinsicht vertraut. Ich wiederum decke andere Bereiche ab.“ Besonders gefällt ihm die Freiheit, die der Job bietet. „Nullachtfünfzehn gibt es hier nicht.“ Im Hort könne nicht alles nach einem strikten Plan ablaufen, macht er klar. Er sei einer, der die Pläne ab und zu über den Haufen wirft. „Jedes Kind ist anders und da muss man auch anders handeln“, erklärt der 44-Jährige. Wichtig ist ihm dabei, dass man als Mensch authentisch bleibt. Manchmal macht er Witze mit den Kindern, manchmal muss er aber auch streng sein. Für Daniel Lopes Pereira hat die Arbeit als Erzieher auch etwas Familiäres. „Man sieht sich schließlich jeden Tag, im besten Fall vier Jahre lang.“

„Man ist an einem Tag Manager, Seelsorger, Bewegungstherapeut und vieles mehr“

Das Verständnis dafür, was den Job eines Erziehers ausmacht, fehlt bei manchen. Das erlebt der Burgstettener immer wieder in Gesprächen mit Freunden und Bekannten. „Viele denken, da wird den ganzen Tag nur gespielt.“ Dabei sei die Arbeit im Hort sehr vielfältig. „Man ist an einem Tag zugleich Manager, Seelsorger, Bewegungstherapeut und vieles mehr.“

Ist man denn als Erzieher auch mal froh, wenn man die Kinder los ist und seine Ruhe hat? Bei dieser Frage muss der 44-Jährige lachen. „Ich habe zu Hause auch drei Jungs“, erklärt er. Insofern hört der Trubel nach Feierabend nicht zwangsläufig auf, die Kinderbetreuung ging über lange Zeit einfach nahtlos weiter Seine Söhne sind aber nun 12, 14 und 16 Jahre alt und inzwischen recht selbstständig. Den Ausgleich zum Alltag findet Daniel Lopes Pereira beim Laufen. Am Backnanger Silvesterlauf nimmt er regelmäßig teil, geht aber auch über längere Distanzen an den Start – etwa beim Berlin-Marathon. Und das soll noch längst nicht alles gewesen sein. „Mein Plan ist es, irgendwann einmal nach Portugal zu laufen“, verrät er. Das hieße, zwei bis drei Monate lang jeden Tag etwa 50 Kilometer zu bewältigen. Nach Möglichkeit wolle er den Ultralauf mit einer Spendenaktion zugunsten des Kinderhospizdienstes verbinden.

Was der Beruf eines Erziehers einem gibt, macht Daniel Lopes Pereira an einem Beispiel deutlich. Ein ehemaliges Hortkind sei zu Besuch vorbeigekommen. „Ihm musste man damals schon deutlich die Grenzen aufweisen“, erinnert sich der Teamleiter. Der Junge habe sich bei ihm für die Unterstützung bedankt, die ihn zu dem Mensch gemacht habe, der er heute ist. „Mir zeigt das: Du machst das Richtige.“ Als Erzieher hinterlasse man Spuren bei den Kindern. Das wiegt es dann auch auf, dass manche berufliche Briefe und Mails auch nach Jahren im Beruf noch an „Frau Pereira“ adressiert werden.

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Erstellt:
8. März 2023, 11:30 Uhr

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