Über Grenzen des Erträglichen

Bundesministerin Christine Lambrecht nimmt auf dem Roten Stuhl der SPD in Allmersbach Platz

Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht war der 43. Ehrengast auf dem Roten Stuhl der SPD Weissacher Tal. Angekündigt hatte der Vorstand des SPD-Ortsvereins Weissacher Tal einen Dialog, bei dem die Anliegen, Sorgen und Fragen der Bürger sowie auch zuvor „Unausgesprochenes“ und „Unterschwelliges“ zur Sprache kommen würden. Das Konzept ging auf.

Spricht mit Bürgern über Hetze im Netz, Zorn gegen „die da oben“, Brutalität im Alltag und mehr: Ministerin Christine Lambrecht. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Spricht mit Bürgern über Hetze im Netz, Zorn gegen „die da oben“, Brutalität im Alltag und mehr: Ministerin Christine Lambrecht. Foto: T. Sellmaier

Von Carmen Warstat



ALLMERSBACH IM TAL. Christine Lambrecht, die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, war einer Einladung ihres Staatssekretärs Christian Lange nach Allmersbach im Tal gefolgt. Im dortigen Bürgersaal der Turn- und Versammlungshalle im Wacholder stimmten Tafeln mit Statements unter dem Motto „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ die Gekommenen auf eine Diskussion ein, die lebhaft zu werden versprach. Angefangen vom scheinbar harmlosen „Die da oben machen sowieso, was sie wollen“ bis hin zum „Vogelschiss“-Zitat eines Alexander Gauland war so ziemlich alles dabei, was heute auf den Nägeln brennt.

Das WDR-Kinderlied „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ wird ebenfalls thematisiert

Das SPD-Ortsvereinsteam um den Vorsitzenden Jürgen Hestler aus Weissach im Tal hatte die Äußerungen sozusagen auf der Straße eingefangen, um sie zur Diskussion zu stellen und setzte mit Einspielern noch eins drauf: Das WDR-Kinderlied „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ wurde per Beamer präsentiert. Dem folgten eine Reihe mehr oder weniger bekannter Statements der AfD-Prominenz, die an die Grenzen des Erträglichen beziehungsweise juristisch Erlaubten gehen und vom extremistischen Kern der Partei zeugen. Die SPD Weissacher Tal hatte in der Einladung zu diesem „Deutschlandgespräch“ wissen lassen, dass „über Hetze im Netz, Zorn gegen ‚die da oben‘, Brutalität im Alltag und was sonst noch unsere Demokratie kaputt macht“ gesprochen werden soll.

„Die meisten Themen laufen im Internet heiß“, konstatierte Jürgen Hestler und übergab nach dem Hinweis auf fallende Tabugrenzen, die die Demokratie gefährden, an die Ministerin, die als Ehrengast auf dem Roten Stuhl das erste Wort haben sollte. Christine Lambrecht stellte klar, dass das hohe Gut der Meinungsfreiheit dort aufhört, wo das Strafrecht beginnt, bei Beleidigungen mittels Fäkalsprache etwa, bei Morddrohungen, bei der Holocaustleugnung sowieso. An der Ermordung des Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, machte Lambrecht die Gefährlichkeit aufpeitschender Hasswellen im Netz deutlich und sprach von einer widerlichen Entwicklung. Deshalb solle das zwei Jahre alte Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärft werden und die Provider in Zukunft verpflichten, solche Postings an das Bundeskriminalamt (BKA) zu melden. Handeln sei die Devise, vor allem: Klare Grenzen setzen, auch in der digitalen Welt. „Wenn wir eine starke Demokratie wollen, muss der Rechtsstaat auch die Grenzen setzen“, sagte die Politikerin. Im anschließenden Dialog mit den Bürgern versicherte die Ministerin, dass die Mittel für Demokratieförderung „nicht sinken dürfen, sondern im Gegenteil“. Eine klare Absage erteilte sie einer pauschalen Verurteilung aller Antifa-Gruppen als extremistisch, wie sie in den Raum gestellt wurde. Als Maßstab nannte sie hier das Gesetz gegen Volksverhetzung und Morddrohungen. „Punkt, Ende, Aus.“ Die Frage, ob sie noch trennen könne (etwa zwischen Gewerkschaftern und Terroristen) gab sie an den Diskutanten zurück. Unter der Fragestellung „Kann man das (noch) sagen?“ wurde beispielsweise Alexander Gaulands Meinung, Hitler und die Nazis seien „nur ein Vogelschiss in der über 1000-jährigen erfolgreicher deutscher Geschichte“, analysiert. Lambrecht charakterisierte die Äußerung auch insofern als perfide, als sie bewusst und geschickt die Justiziabilität umgeht. „Kein Straftatbestand“ und „schwer auszuhalten“, resümierte sie. „Aber das macht unsere Demokratie aus.“

„Mir geht auf den Keks, dass da Leute kommen, die nicht bei sich selbst anfangen“

Konsens herrschte beispielsweise insofern, als die Aussage „Die Burka gehört bei uns verboten“ von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Zum Stichwort „Klimahysterie“ beziehungsweise dem provokanten Omalied befanden mehrere Bürger, darunter auch die Ministerin, dass sie seit Jahrzehnten umweltbewusst leben oder/und engagiert sind. Etwa sei die Auswirkung von CO2 auf den Treibhauseffekt nichts Neues. „Mir geht auf den Keks, dass da Leute kommen, die nicht bei sich selbst anfangen“, so eine Bürgerin weiter. Tempo 130 und Dieselverdammung, Sprachregelungen gegen Diskriminierung (Stichwort „Negerkuss“, „Zigeunerschnitzel“), Waffenrecht und Genderpolitik waren weitere Themen, die heiß diskutiert wurden.

Bundesministerin Christine Lambrecht „fand es sehr gut“. Es habe Spaß gemacht und sei wichtig, sich in dieser Weise miteinander auszutauschen.

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Erstellt:
20. Januar 2020, 06:00 Uhr

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