Gescheiterte Richterwahl
Union stürzt Regierung in die Krise
Nach dem Desaster bei der gescheiterten Wahl von drei Richtern für das Bundesverfassungsgericht herrscht bei der SPD Verbitterung über Jens Spahn.

© Annette Riedl/dpa
Sorgenvolle Mienen bei der Union: Bundeskanzler Friedrich Merz mit Fraktionschef Jens Spahn am Freitagmorgen vor dem Bundestag.
Von Norbert Wallet
Es sollte ein Tag werden, der Vertrauen in die demokratischen Institutionen stärkt, und der zeigt, wie handlungsstark die Regierung ist. Es wurde ein Tag, der im totalen Fiasko endete. Keiner der drei Richter-Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht wurde am Freitag gewählt, die entsprechenden Wahlgänge wurden allesamt abgesetzt. Keine Wahl, keine Entscheidung.
Als Jens Spahn am frühen Morgen seine Unionsfraktion zur Sitzung zusammenruft, ist die Bombe bereits geplatzt. Um 8.05 Uhr erhält der SPD-Fraktionschef Matthias Miersch über das Handy eine Kurznachricht von Spahn, eine Minute später bekommt SPD-Chef Lars Klingbeil auf demselben Weg eine Mitteilung von Friedrich Merz: Die Union bittet um Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung. Ansonsten würde sich die Union bei der Wahl der Stimme enthalten. Damit wäre die notwendige Mehrheit nicht mehr gegeben.
In der Fraktion spricht Spahn von neuen Entwicklungen, die zu diesem Schritt zwingen. Gemeint ist ein Post auf der Plattform X eines Accounts, der sich „Plagiatsjäger“ nennt. Dahinter verbirgt sich der österreichische Publizist Stefan Weber. Der hatte in der Nacht zum Freitag erst 23, dann 26 „zum Teil längere Textübereinstimmungen zwischen der Dissertation von Frauke Brosius-Gersdorf und der Habil-Schrift ihres Mannes“ präsentiert und stellte auf seinem Blog die Frage, ob die „dokumentierten Parallelen gegen die vor der Jahrtausendwende gültigen Zitiernormen“ verstoßen. Die Dissertation stammt aus dem Jahre 1997.
Das Plagiatsthema passt der Unionsführung gut ins Konzept
Das Wort Plagiat ist nun in der Unionsfraktion in aller Munde. Welche Spekulationen sich auch immer daran anschließen mögen, so viel ist klar: Der Fraktionsführung passt die Veröffentlichung sehr gut ins Konzept. Im Laufe der Woche musste Spahn erkennen, dass seine Fraktion nicht geschlossen hinter der Wahl von Brosius-Gersdorf steht, obwohl er genauso wie Bundeskanzler Merz ausdrücklich dafür geworben hat. Die Kandidatin ist nämlich Teil eines Dreier-Pakets, das Union und SPD gemeinsam vorgeschlagen hatten und zu dem auch der Unionskandidat Günter Spinner gehört.
Unionsabgeordnete kritisieren vor allem das Eintreten von Brosius-Gersdorf für eine Entkriminalisierung der Abtreibung. Viele Mandatsträger der Union wurden von organisierten Abtreibungsgegnern mit Mails und Anrufen belegt, auf rechten Plattformen nahm die Kritik an Brosius-Gersdorf Züge einer Hetzkampagne an. SPD-Abgeordnete berichteten am Freitag davon, dass die Professorin Morddrohungen erhalten habe und ihr Lehrstuhl nach Drohungen geräumt werden musste.
Spahn und Merz mussten zur Kenntnis nehmen, dass ihre Autorität nicht ausreichte, um die Reihen in der Fraktion zu schließen. Deshalb die Nachrichten an die SPD. Dort herrscht am Vormittag eine Mischung aus Entsetzen und Verbitterung über die Union. Was die Sozialdemokraten besonders umtreibt: Sie hatten jüngst unter großen Bauchschmerzen dem Aussetzen des Familiennachzugs für Schutzberechtigte zugestimmt, weil das eine feste Verabredung in der Koalition gewesen war. Genau so fest wie die Verabredung über die drei Richter. Nun aber kündigt die Union einfach ihre Zusage. Die Retourkutsche folgt prompt: Unter den neuen Umständen sieht sich die SPD auch nicht mehr an ihre Zusage gebunden, den CDU-Vorschlag zu unterstützen. Auch über ihn, wie über die andere von der SPD getragenen Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold, wird am Freitag nicht mehr abgestimmt.
Die kurze Geschäftsordnungsdebatte im Bundestag wird dann zum Scherbengericht. Die Grüne Britta Haßelmann greift Spahn direkt an. „Sie, Herr Spahn, haben uns in diese Situation gebracht.“ Wie sehr die SPD getroffen ist, zeigt die Rede ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Dirk Wiese. „Wir haben bei für uns schwierigen Entscheidungen gestanden“, sagte er in Richtung Union. „Wir erwarten, dass andere in Zukunft bei schwierigen Entscheidungen ebenfalls stehen.“
Die Schadenfreude der AfD trifft die Union schwer
Am schwersten trifft die Union vielleicht die Schadenfreude der AfD. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann fordert die Abstimmung, „weil wir wissen wollen, wo die Union steht“, und preist seine Partei als „Stabilitätsanker der Republik“. Spahn verfolgt die Ausführungen mit versteinerter Miene.
Wie es nun weitergeht, ist völlig unklar. Die SPD denkt nicht daran, ihre Kandidatin zurückzuziehen. Sie fühlt sich zusätzlich dadurch bestärkt, dass der selbst ernannte Plagiatsjäger Weber später am Tag klarstellt, dass er keineswegs Plagiatsvorwürfe erhoben habe. Da aber ist es längst zu spät. Der Bundesrat könnte nun die Entscheidung an sich ziehen. Das aber ist völlig offen.