Unterwegs im Wunderwerk Wald

Naturparkführerin Petra Klinger erklärt bei ihrer Tour „Blattgeflüster“, warum der Wald ein faszinierendes Biotop ist. Naturliebhaber erfahren auf einer Wanderung durch den Wald bei Kaisersbach, wie Bäume miteinander kommunizieren und sich um ihren Nachwuchs kümmern.

Petra Klinger (Mitte) demonstriert anhand von Birkenstammscheiben die Wasseraufnahme der Bäume. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Petra Klinger (Mitte) demonstriert anhand von Birkenstammscheiben die Wasseraufnahme der Bäume. Foto: Alexander Becher

Von Annette Hohnerlein

Kaisersbach. Es ist tatsächlich ein Blattgeflüster zu hören, denn ein leichter Wind lässt das Laub der hohen Bäume leise rascheln. Die sieben Teilnehmer ziehen noch festes Schuhwerk an, dann startet die Gruppe am Wanderparkplatz Täle bei Kaisersbach. „Was glauben Sie, wie viel Wasser eine ausgewachsene Buche an so einem heißen Tag braucht?“, fragt Petra Klinger in die Runde. Viel, das ist allen klar. Tatsächlich sind es zwischen 400 und 500 Liter. Um diese Menge aufzunehmen, braucht ein Baum ein Wurzelwerk, das doppelt so groß ist wie seine Krone, erklärt die Expertin. Mit einem Experiment demonstriert sie, wie das funktioniert. Jeder Teilnehmer erhält eine Birkenstammscheibe; am Rand der Schnittfläche wird etwas Spülmittel aufgetragen. Wenn man von der anderen Seite dagegen pustet, bilden sich viele kleine Bläschen. Klinger erklärt: „Die winzigen Leitungsbahnen eines Baumes, die das Wasser nach oben transportieren, verlaufen direkt unter der Rinde. Das Innere des Stammes hat nur eine Haltefunktion.“ Wie genau es ein Baum aber schafft, das Wasser in eine Höhe von manchmal über 100 Metern zu transportieren, sei noch nicht genau erforscht.

Petra Klinger ist Garten- und Landschaftsarchitektin und arbeitet als Naturparkführerin im Verein Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald. Ihre Liebe zum Wunderwerk Wald vermittelt sie ihren Begleitern auf Schritt und Tritt. An diesem warmen Frühsommertag ist es unter dem Blätterdach angenehm kühl, das Lauftempo auf dem dreistündigen Rundweg ist gemütlich. Die Teilnehmer nutzen die Gelegenheit, um Fragen zu stellen. Dabei wird klar: Es sind einige Vorkenntnisse da, ahnungslos ist hier keiner, mit Ausnahme der jüngsten Teilnehmerin, der sieben Monate alten Linea, die im Kinderwagen liegt und mit großen Augen in die Baumkronen blickt.

Segensreiche Stoffe in der Waldluft

Es sei keineswegs selbstverständlich, dass Teilnehmer ihrer Veranstaltungen eine Beziehung zum Kosmos Wald hätten, sagt Klinger. Vor allem bei Schulklassen habe sie Erschreckendes erlebt. „Die Kinder hier aus der Gegend kennen sich noch einigermaßen aus. Aber eine Schulklasse aus Stuttgart-Mitte, das ist Schwerstarbeit. Die stehen zum Teil stocksteif im Wald und trauen sich nicht, etwas anzufassen“, berichtet sie. Ein elfjähriger Junge habe ihr erzählt, er sei an diesem Tag zum ersten Mal in seinem Leben im Wald.

Zu vielen Baumarten rechts und links des Weges weiß Petra Klinger Interessantes zu erzählen. Die Erle beispielsweise wachse gerne am Wasser, weil sie Überflutungen gut übersteht. Aus diesem Grund sei Venedig größtenteils auf Pfählen aus Erlenholz erbaut worden. Der Holunder war in früheren Jahrhunderten ein Hofbaum, so Klinger. „Er hat eine große mystische Bedeutung gehabt. Wenn ein Kind geboren wurde, hat man die Geschenke oft unter den Holler gelegt. Und man hat ihn nicht geschnitten oder gefällt; das sollte Pech bringen.“

Zwischendurch fordert sie die Gruppe auf: „Tief atmen! Es gibt nichts Besseres als die Waldluft.“ Die sogenannten Terpene, die besonders nach dem Regen in der Waldluft vorkommen, seien segensreiche Stoffe. Hoher Blutdruck, hohe Cholesterin- und Adrenalinwerte sowie Krebserkrankungen: Auf alle diese gesundheitlichen Probleme habe die Waldluft eine positive Wirkung, das sei im Blut nachweisbar. Aus diesem Grund sei das Waldbaden in Japan verschreibungsfähig.

Was Klinger vom Verhalten der Bäume erzählt, weist faszinierende Parallelen zum Menschen auf. So versorgt ein Mutterbaum mit seinen Wurzeln die Nachkommen in seiner Umgebung noch jahrelang mit Wasser und Nährstoffen. Dabei ist er artentreu, das heißt, er versorgt nur den eigenen Nachwuchs. Wenn ein Baum von Schädlingen attackiert wird, etwa eine Fichte von Borkenkäfern, sondert sie vermehrt Harz ab, um den Eindringling aufzuhalten. „Das riechen ihre Kinder und Nachbarn und produzieren selber mehr Harz“, erläutert Klinger die Nachbarschaftshilfe im Wald.

Die Überlebensstrategien der Spezies Baum sind beeindruckend. So können Samen viele Jahre lang in der Erde überdauern, bis der geeignete Moment zum Keimen gekommen ist. „Ein Kirschkern kann locker 100 Jahre warten“, erklärt Klinger. Man habe Samen gefunden, die nach über 1000 Jahren noch in der Lage waren, zu keimen.

Die Naturparkführerin bleibt an einem halb vermoderten Baumstumpf stehen, auf dem einige Pilze wachsen. Dieses Totholz sei für den Wald so wichtig, dass es laut Forstgesetz auf fünf Prozent der Waldfläche nicht aufgearbeitet werden dürfe. „Es gibt 450 bis 500 verschiedene Arten von Käfern und Würmern, die das zersetzen und wieder zu Waldboden machen. Und die schaffen auch das Laub auf, das sich sonst meterhoch auftürmen würde.“

Auch über die Welt der Kräuter erfährt die Gruppe viel Wissenswertes. Immer wieder pflückt Klinger vom Rand des Weges einzelne Exemplare und erklärt ihren Zuhörern, welche Wirkungen der Baldrian (beruhigend), der Giersch („gibt Power“), das Johanniskraut (stimmungsaufhellend, Hautpflegemittel) oder die Brennnessel („unser allerbestes Heilkraut, hilft gegen viele Beschwerden“) haben.

Am Ende bekommen alle Teilnehmer eine Postkarte ausgehändigt, die sie an Ort und Stelle mit einer Pflanzencollage verzieren. Und sie verabschieden sich mit dem Gefühl, viel Interessantes erfahren und Lust auf mehr bekommen zu haben.

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Erstellt:
18. Juni 2022, 06:00 Uhr

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