Vermögenden Damen die große Notlage vorgegaukelt

Über 61000 Euro vereinnahmt und weitergeleitet. Angeklagter wollte angeblich nur der Tante in Amerika behilflich sein.

Urteil fiel nach gut einer Stunde Verhandlungszeit. Foto: okanakdeniz - stock.adobe.com

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Urteil fiel nach gut einer Stunde Verhandlungszeit. Foto: okanakdeniz - stock.adobe.com

Von Hans-Christoph Werner

Backnang. Vor dem Amtsgericht hat sich ein 26-jähriger Friseur wegen Geldwäsche zu verantworten. Er wird nach gut einer Stunde Verhandlungszeit zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Angeklagte war, so wird im Laufe der Verhandlung deutlich, nur der Mittelsmann. Die Komplizen des Angeklagten verstanden es, über das Internet einsame Frauen in Deutschland auf sich aufmerksam zu machen beziehungsweise an sie heranzutreten. Fünf Fälle schildert der Staatsanwalt mit der Anklageschrift. Die Frauen sind zwischen 47 und 68 Jahre alt. Da wurde dann der Arzt aus Kalifornien/USA gemimt oder von einem schweren Unfall berichtet. In einem anderen Fall war es der schwer kranke Sohn, der dringend behandelt werden sollte, oder es wurde gar der Betrugsfall suggeriert, vor dem der Anrufer die Damen gerade eben noch bewahrt habe. Ende der herzergreifenden Geschichten war stets, dass nun prompt das Geld für eine urplötzlich eingetretene Notlage oder die Behandlung fehlte. Die Angerufenen wurden um Hilfe angefleht. Und die halfen dann auch, mal nur mit 850 Euro, aber auch mal mit 7500 Euro. Insgesamt, so berichtet ein mit den Ermittlungen betrauter Polizeibeamter, flossen so in den Jahren 2017 und 2018 61000 Euro auf die diversen Konten des Angeklagten. Der leitete davon 39000 Euro nach Nigeria und Ghana weiter. Der Verbleib von 22000 Euro ist ungeklärt.

In Chats wurden zahlreiche Kontonummern ausgetauscht

Ein Geldwäschebeauftragter der Volksbank brachte die Ermittler auf die Spur. Letzterer gab Verdachtsmeldungen weiter. Die Polizei ging dem nach, stieß auf den Angeklagten, durchsuchte seine Wohnung und beschlagnahmte das iPhone. Die dort gespeicherten Chats wurden mit Bankunterlagen verglichen. An den englischsprachigen Chats fiel der Polizei auf, dass in großem Umfang Kontonummern ausgetauscht, aber auch die prozentuale Beteiligung des Angeklagten an den Transaktionen ausgehandelt wurden. Auch eine Freundin oder Geliebte wirkte bei den Geschäften mit. Der Angeklagte hatte sie zwar im Dezember 2017 mit einem Holzstock verprügelt, was ihm einen Strafbefehl wegen Körperverletzung einbrachte. Aber wenn es ums Geschäft ging, verstand man sich offenbar wieder.

Zur Sache befragt gibt der Angeklagte die umfangreichen Geldbewegungen auf seinem Konto zu. Aber dass das Geld in betrügerischer Weise erschwindelt worden sei, will er nicht gewusst haben. Und im Übrigen habe er eine Tante in Amerika. Die wollte der Verwandtschaft in Nigeria und Ghana finanzielle Hilfe zukommen lassen. Solche Großzügigkeit wollte der Angeklagte natürlich durch die Abwicklung der Finanztransaktionen unterstützen.

Der Staatsanwalt gibt in seinem Plädoyer zu, dass er die Sache mit der Tante nicht glaube. Vielmehr seien das System mit einer Vielzahl von Bankkonten und die Chatverhandlungen über eine prozentuale Beteiligung typisch für Geldwäschegeschäfte mittels der Romance-Scamming-Methode. Zu Deutsch: Heiratsschwindelmethode.

Der Angeklagte sei, so der Anklagevertreter, „wohl kein ganz kleines Licht“ in dem System gewesen. Er fordert ein Jahr und drei Monate Gefängnis. Der Verteidiger des Angeklagten stellte die Aussagekraft der Chatprotokolle infrage. Sein Mandant habe zwar nicht nachgefragt, aber mit letzter Sicherheit wisse man nicht, ob der Angeklagte das hinter den Geldflüssen stehende System kannte. Über das Strafmaß will sich der Rechtsanwalt nicht äußern. Zum letzten Wort gefordert, bestreitet der Angeklagte nochmals alle Vorwürfe und verweist auf sein damaliges jugendliches Alter zur Tatzeit.

Der Angeklagte gibt sich bis zuletzt als unwissend aus

Das Urteil des Richters geht über das vom Staatsanwalt geforderte Maß hinaus: ein Jahr und sechs Monate. Die Chatprotokolle seien eindeutig, sagt der Jurist. Und auch dies: „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.“ Der Angeklagte wäre besser beraten gewesen, in der Verhandlung reinen Tisch zu machen. Die Strafe zur Bewährung auszusetzen habe der Gesetzgeber an bestimmte Vorgaben gebunden und nicht als Gnadenerlass dem Richter vorbehalten. Solche besonderen Umstände, die eine Bewährungsstrafe erfordere, sind im Falle des Angeklagten nicht gegeben. Ferner sei hier, so pflichtete der Richter dem Staatsanwalt bei, die Rechtsordnung zu verteidigen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Erstellt:
20. Juli 2021, 06:00 Uhr

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