„Direkteinstieg Kita“: Erfolgreiches Quereinsteigerprogramm an der Anna-Haag-Schule

Im September ist der erste Jahrgang des neuen Ausbildungsangebots „Direkteinstieg Kita“ an der Backnanger Anna-Haag-Schule gestartet. Eine der 27 Schülerinnen und zwei Schüler ist die 28-jährige Jessica Schneider. Für sie ist die Arbeit in der Kindertagesstätte ein Traumberuf.

Im Fach „Entwicklungs- und Bildungsprozesse begleiten“ stellt Lehrerin Kathrin Knauer unter anderem unterschiedliche Arten von Bilderbüchern vor. Auf dem Foto zu sehen ist ein Wimmelbuch von Rotraut Susanne Berner. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Im Fach „Entwicklungs- und Bildungsprozesse begleiten“ stellt Lehrerin Kathrin Knauer unter anderem unterschiedliche Arten von Bilderbüchern vor. Auf dem Foto zu sehen ist ein Wimmelbuch von Rotraut Susanne Berner. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Gut zehn Jahre lang hat Jessica Schneider im Hotelgewerbe gearbeitet. Mit 16 machte die heute 28-Jährige ihren Realschulabschluss, danach zwei Ausbildungen in der Gastronomie. In dem Hotel, in dem sie sodann anfing, leitete die Waiblingerin zuletzt ein Team im Bereich Reservierung. Doch als sie aufgrund der Coronapandemie in Kurzarbeit kam, habe sie viel Zeit gehabt, um in sich zu gehen, berichtet sie. „Es war toll im Hotel, aber ich wollte für den Rest meines Lebens mehr als nur mit Zahlen zu hantieren“, erklärt Jessica Schneider. Im Herbst 2021 kündigte sie ihren Bürojob und fing als Integrationskraft in Teilzeit in einer Kita in Waiblingen-Hohenacker an. Dort betreute sie ein an Diabetes erkranktes Kind. Daneben absolvierte Jessica Schneider eine zweijährige Online-Weiterbildung zur Fitness- und Gesundheitstrainerin an der Backnanger Academy of Sports.

Eines Tages sei die Einrichtungsleitung mit dem Flyer zu dem neuen Bildungsweg „Direkteinstieg Kita“ auf sie zugekommen und habe sie gefragt, ob das nicht etwas für sie wäre – sie würde ihr den notwendigen Ausbildungsplatz gerne anbieten. „Und dann ging es echt Schlag auf Schlag“, blickt Jessica Schneider zurück. Im vergangenen September fing sie im ersten Jahrgang des Programms an der Backnanger Anna-Haag-Schule als Schülerin an.

Insgesamt nehmen 27 Frauen und zwei Männer daran teil, weiß Susanne Fieger, die an der Anna-Haag-Schule für den „Direkteinstieg Kita“ zuständig ist. Die Hintergründe der Schülerinnen und Schüler seien sehr unterschiedlich, fügt sie hinzu: „Dabei sind zum Beispiel Bäcker, Friseurinnen oder Mechaniker. Viele kommen aber auch schon aus dem sozialpädagogischen Bereich und waren vorher etwa als Hilfskraft an einer Kita.“ Groß sei auch die Altersspanne, fügt ihre Kollegin Jessica Marcol an: „Der Jüngste ist 24, die Älteste 62 Jahre alt.“ Von der Hauptschule bis zum Abitur seien sämtliche Abschlüsse dabei. Die Klasse sei toll, sagt sie: „Wir erleben die Schülerinnen und Schüler als sehr engagiert und ehrgeizig.“

So viel Begeisterung lässt kaum darauf schließen, dass sowohl die Schule als auch die Träger der Einrichtungen anfangs noch skeptisch waren, was den neuen Bildungsgang betrifft. „Denn es ist ja im Prinzip eine verkürzte Ausbildung – die reguläre zum sozialpädagogischen Assistenten dauert drei Jahre“, erklärt Jessica Marcol. „Außerdem sehen wir es als unsere Aufgabe an, den Bildungsauftrag auf sehr hohem Niveau umzusetzen.“ Die Zweifel legten sich nach näherer Beschäftigung mit dem Programm, das aus dem dualen Ausbildungssystem hervorging und vom baden-württembergischen Kultusministerium als Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel auf den Weg gebracht wurde. Auch vonseiten der späteren Fachkräfte war die Nachfrage zum Bewerbungsbeginn noch sehr verhalten. Doch bis zum Sommer 2023 nahmen die Anfragen stetig zu. „Irgendwann war es ein richtiger Run (Anm. d. Red.: Ansturm)“, berichtet Susanne Fieger.

Die Anna-Haag-Schule bietet 30 Plätze an

Drei Personen haben die Ausbildung mittlerweile zwar abgebrochen – aus ganz unterschiedlichen, aber nachvollziehbaren Gründen, wie Jessica Marcol versichert –, doch im vergangenen Jahr habe es am Ende sogar eine Warteliste gegeben. „Diesen Bewerberinnen und Bewerbern haben wir aber signalisiert, dass sie sich dieses Jahr wieder bewerben können.“ Maximal 30 Plätze gibt es an der Anna-Haag-Schule für den neuen Bildungsgang, der im Regierungsbezirk Stuttgart nur noch in Aalen angeboten wird. In ganz Baden-Württemberg haben insgesamt 601 Direkteinsteigerinnen und Direkteinsteiger 2023 die Ausbildung an den genau 24 Schulstandorten begonnen.

Doch wie genau sieht der „Direkteinstieg Kita“ eigentlich aus? Im ersten Lehrjahr sind die Schülerinnen und Schüler je zwei Tage pro Woche in ihren Einrichtungen. An drei Tagen haben sie Unterricht. Sie lernen die pädagogischen und psychologischen Grundlagen für die Kinderbetreuung, darunter beispielsweise Bildungs- und Lerntheorien oder Gruppenpädagogik. Praxis und Theorie seien eng verzahnt, sagt Jessica Marcol. In den Einrichtungen steht den Auszubildenden zudem eine Mentorin oder ein Mentor zur Seite.

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Stimmt der Notenschnitt, werden die Schülerinnen und Schüler nach einem Jahr zum zertifizierten Schulkindbetreuer. In dem Bereich sei der Fachkräftemangel fast noch größer als in den Kindertagesstätten, weiß Jessica Marcol. Nach dem Abschluss des „Direkteinstiegs Kita“ kann man sich unter bestimmten Bedingungen (siehe Infotext) noch zur Erzieherin beziehungsweise zum Erzieher weiterqualifizieren lassen.

„Als Außenstehender unterschätzt man, wie viel man von den Kindern zurückbekommt“

Jessica Schneider sagt, sie könne den „Direkteinstieg Kita“ nur empfehlen: „Er ist eine sehr gute Chance, wenn man in den Bereich wechseln will.“ Wer erst einmal ausprobieren möchte, ob der Arbeitsbereich Kindertagesstätte wirklich passt, dem legt sie ein Praktikum nah. „Jede Einrichtung freut sich über Praktikanten.“ Sie bereut den Schritt nicht. „Für mich war es wichtig, beruflich etwas zu tun, das sinnvoll ist und Bedeutung hat“, sagt sie. „Als Außenstehender unterschätzt man, wie viel man von den Kindern zurückbekommt – es ist wirklich ein sehr schöner Beruf.“ Ausschlaggebend war für sie aber auch die Vergütung (siehe Infotext). „Eine normale Ausbildung wäre gehaltstechnisch ein Schritt zurück gewesen“, erklärt sie. „Aber als die Möglichkeit zum Quereinstieg kam, habe ich nicht gezögert.“

Die Ausbildung sei so, wie sie sie sich vorgestellt hatte, sagt Jessica Schneider. „Die Praxis kannte ich ja schon, in der Schule wird mir jetzt noch das theoretische Hintergrundwissen vermittelt.“ Was ihr sehr gefällt, ist der Zusammenhalt in der Klasse. „Alle sind voll dabei“, sagt sie. „Und wir helfen uns alle gegenseitig.“

Für die Zukunft wünscht sie sich, das Wissen aus ihrem Sportstudium noch mehr in ihren neuen Beruf einbringen zu können. Zunächst einmal konzentriert sie sich aber auf ihre weitere Ausbildung. Wenn alles nach Plan läuft, endet sie im Sommer 2025.

Foto: Alexander Becher
Der Bildungsgang „Direkteinstieg Kita“ an der Anna-Haag-Schule

Inhalte Das Programm umfasst knapp zwei Jahre schulischer und praktischer Ausbildung mit der Option zur Teilnahme an der Schulfremdenprüfung „Erzieher“.

Zielgruppe Der Bildungsgang ist ausgerichtet auf Personen, die bereits als Zusatzkräfte in Kindertageseinrichtungen tätig sind oder die das Berufsfeld wechseln wollen.

Ziele Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen dazu befähigt werden, in Kindertageseinrichtungen bei der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern mitzuwirken. Nach dem Abschluss sind sie „staatlich anerkannte sozialpädagogische Assistenten“, bei zusätzlicher Qualifizierung mit mindestens mittlerem Bildungsabschluss nach einem weiteren halben Jahr und entsprechender Prüfung „staatlich anerkannter Erzieher“.

Konditionen Die Auszubildenden erhalten von Anfang an eine Vergütung von bis zu 2620 Euro monatlich.

Voraussetzungen Bewerberinnen und Bewerber müssen zum Programmstart einen Ausbildungsvertrag mit einem geeigneten Träger vorlegen, einen Hauptschulabschluss (oder gleichwertigen Bildungsstand) sowie eine zweijährige abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Studienabschluss vorweisen können. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht.

Informationen Mehr Infos finden Interessierte online unter https://erzieher-in-bw.de/ausbildungswege. Die Zuständigen an der Anna-Haag-Schule beantworten Anfragen per E-Mail an ahs@ahs-bk.de. Die Schule ist AZAV-zertifiziert und bietet noch weitere Schulformen an, die nicht der klassischen Vollzeitschule entsprechen. Weitere Infos unter www.ahs-bk.de.

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Erstellt:
1. März 2024, 06:00 Uhr

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