Vorfahrt für die Gewaltenteilung
Ob ein Verband gemeinnützig ist, müssen die Finanzämter klären – nicht die Politiker
Berlin /NWA - DieAberkennung der Gemeinnützigkeit von Attacdurch den Bundesfinanzhof hat zu einer wild wuchernden Debatte geführt, die an Heftigkeit zunimmt, je mehr die Faktenkenntnis abnimmt. Manchmal wird sie geradezu übergriffig. Ihren Anteil daran haben auch Unionspolitiker aus dem Südwesten, wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium – Steffen Bilger aus Ludwigsburg – und der Bundestagsabgeordnete Olav Gutting aus Bruchsal. Beide nehmen nach dem Attac-Urteil die Deutsche Umwelthilfe ins Visier, bei der – so die Forderung – nun auch die Gemeinnützigkeit geprüft werden soll. Beide stehen nicht allein. Die CDU hat sogar einen Parteitagsbeschluss dazu gefasst.
Doch diese politischen Angriffe sind Grenzüberschreitungen, denen entgegengetreten werden muss. Ob ein Verein oder ein Verband gemeinnützig ist, ist zunächst keine politische, sondern eine steuerrechtliche Frage. Darüber haben folglich keine Politiker zu entscheiden, sondern die Finanzämter. Sind Betroffene mit deren Entscheidungen nicht einverstanden, steht ihnen – wie im Fall Attac geschehen – der Rechtsweg offen. Dann entscheiden Richter. Es ist sehr darauf zu achten, die Aufgaben- und Gewaltenteilung zu verteidigen, denn in vielen Ländern (man sehe die Entwicklungen in osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten) geraten Nichtregierungsorganisationen immer mehr unter Druck der Regierungen.
Noch ein zweites Missverständnis überlagert die Debatte. Die Richter haben kein moralisches Urteil darüber gefällt, ob die Arbeit von Attac verdienstvoll und für die Gesellschaft nützlich ist. Die öffentliche politische Debatte, auch Kampagnen und zugespitzte Diskussionen, sind das Lebenselixier einer freien Gesellschaft. Attac leistet dabei einen Beitrag. Zu klären war die steuerrechtliche Frage, ob die Betätigung strikt an einem Zweck ausgerichtet ist, der in der 25 Punkte umfassenden Liste der ausschlaggebenden Abgabenordnung als „der Förderung der Allgemeinheit“ dienlich beschrieben wird. Niemand verbietet die Arbeit von Attac oder schränkt sie ein. Aber sie wird als allgemeinpolitische Tätigkeit nicht als im steuerrechtlichen Sinn gemeinnützig angesehen. Das ist eine nachvollziehbare Einschätzung. Der in einer demokratischen Gesellschaft notwendige tagespolitische Meinungskampf soll offen ausgetragen werden. Dazu tragen vor allem die Parteien, aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen bei. Aber sie sollen nicht unter dem Deckmantel des Steuergeheimnisses agieren, sondern jederzeit transparent.
Sicher gibt es Gruppierungen, die nur darauf gewartet hätten, ihren politischen Kampf unter dem Tarnmantel eines Steuerprivilegs intensivieren zu können. Pegida ist eine von ihnen. Zu wünschen wäre übrigens, dass die Rechtsprechung konsequent bleibt. So mancher unter hehren Stiftungszielen mühsam verkappte Kampf um sehr eigene Interessen ist sicher auch nicht gemeinnützig. Dazu muss man sich nur anschauen, welche Stiftungen im Interesse der Wirtschaft regelmäßig gegen eine gründliche Reform der Erbschaftsteuer oder für einen Rückzug des Staates aus Aufgaben der Daseinsvorsorge zu Felde gezogen sind.
Heißt dies, dass die Politik schweigen soll? Keineswegs. Sie soll das tun, wofür sie zuständig ist. Es ist ihre Aufgabe, den Katalog der Ziele festzulegen, die als gemeinnützige Zwecke gelten sollen. Das erfordert eine regelmäßige Selbstverständigung und Modernisierung. Dabei fällt auf, dass im geltenden Katalog Fragen der Inklusion und Integration gar nicht vorkommen.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.gemeinnuetzigkeit-wer-darf-als-gemeinnuetzig-gelten.b9b3b162-e2ea-4e6a-93b9-9ceb56f83dbc.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.gemeinnuetzigkeit-aberkannt-staatssekretaer-attac-urteil-betrifft-auch-umwelthilfe.d3a23a07-275a-4ce8-96b6-db5a6cc3447c.html
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