Waffenruhe – für wie lange?

In der Südwest-CDU brodelt es hinter den Kulissen

Die Landes-CDU verordnet sich Ruhe – zumindest bis zu den Europa- und Kommunalwahlen. Aber wie geht es danach weiter? Kommt es zum Duell zwischen Strobl und Eisenmann?

Weingarten Thomas Strobl strahlt, winkt den Delegierten zu und streckt den Daumen nach oben, als seine Wiederwahl zum Vorsitzenden der baden-württembergischen CDU mit 83,3 Prozent der Stimmen feststeht. So manch einer, selbst aus dem eigenen Lager, hatte nicht damit gerechnet. Das Ergebnis zeugt davon, dass die Partei sich so kurz vor den Europa- und Kommunalwahlen am 26. Mai keine parteiinternen Querelen, sondern Geschlossenheit wünscht. Die Spitzenkandidaturfrage soll später entschieden werden. Dazu beigetragen hat Strobl selbst, indem er zu Beginn seiner Rede auf dem Parteitag dafür plädierte, diese Frage zu vertagen. Alles habe seine Zeit, das Thema stehe diesmal nicht auf der Tagesordnung. Die Delegierten folgen ihm. Jetzt gibt es also eine Art Waffenruhe. Zumindest für den Moment und für die drei Wochen bis zu den Wahlen, vielleicht sogar bis nach der Sommerpause.

Hinter den Kulissen ist der Unmut unter den Delegierten an diesem Wochenende in Weingarten (Kreis Ravensburg) allerdings nicht zu überhören. Ein reines Weiter-so bis zur nächsten Landtagswahl 2021 dürfe es nicht geben, sagt etwa ein ehemaliger Minister, das spiele Kretschmann und den Grünen nur in die Karten. Viele in der Südwest-CDU befürchten den Absturz in die Bedeutungslosigkeit, falls die Partei bei der nächsten Landtagswahl den Wiedereinzug in die Villa Reitzenstein, den Amtssitz des Ministerpräsidenten im Stuttgarter Osten, erneut verpasst. Fünf Jahre in der Opposition und voraussichtlich fünf Jahre als Juniorpartner in der grün-schwarzen Landesregierung seien genug. Das Selbstverständnis der Partei ist noch immer ein ganz anderes. Fast 58 Jahre, von 1953 bis 2011, war die Union zuvor ununterbrochen an der Macht gewesen.

Doch wie kann es gelingen, dass die einst so erfolgsverwöhnte Partei zurück zu alter Stärke findet? Welche Visionen für die Zukunft hat sie? Wie schärft sie ihr Profil innerhalb der Koalition mit den Grünen, ohne dabei am Ende durch ständigen Streit als querulatorisch wahrgenommen zu werden? Und vor allem: mit wem? Viele Fragen, kaum Antworten. Der Landesvorsitzende hat normalerweise den ersten Zugriff. Strobl sagt, er habe sich bereits entschieden. Wie, das verrät er noch nicht, das wisse bislang nur seine Frau Christine. Sowohl seine Vertrauten als auch seine Kritiker rechnen aber fest damit, dass er sich zur Wahl stellen wird.

Strobl habe eine bemerkenswerte Qualität, er sei hart im Nehmen und stehe wie eine deutsche Eiche, sagt einer. Genau das könne aber zum Problem werden. Ebenso wie viele andere Delegierte bemängelt er, dass Strobl nicht authentisch, sondern schauspielerhaft wirke. Das komme nicht an bei den Menschen im Land. „Am elegantesten und am besten wäre es, wenn er nach der Sommerpause zur Seite treten und den Prozess moderieren würde“, sagt eine. Aber das werde er nicht machen. Klar ist: Wenn Strobl es nicht versucht, ist seine politische Karriere höchstwahrscheinlich zu Ende, nachdem er 2016 die Berliner Polit-Bühne verlassen hat, um die Koalition mit den Grünen zu schmieden und stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister in Stuttgart zu werden.

Doch nach rund drei Jahren im grün-schwarzen Regierungsbündnis werfen ihm etliche Mitglieder an der Basis vor, dass er sich nicht genug vom Koalitionspartner abgrenze und Konflikten aus dem Weg gehe – zulasten der Landes-CDU. Teile der Landtagsfraktion sehen das genauso. Viele meinen, dass Kultusministerin Susanne Eisenmann (54), die Strobl selbst gegen Widerstände ins Kabinett geholt hatte, bei der nächsten Wahl ein deutlich besseres Ergebnis erzielen würde als der Innenminister. Die frühere Stuttgarter Schulbürgermeisterin ist authentisch, gilt als durchsetzungsstark und redet auch mal Klartext. Allerdings sind beide seit Jahrzehnten befreundet. Treten sie trotzdem gegeneinander an?

Bis spätestens Anfang 2020 soll die Personalie laut Strobl entschieden sein. Das sei zu spät, finden die einen. Wenn die Kreisverbände ihre Wahlkreiskandidaten nominieren, müsse der Spitzenkandidat feststehen. Die anderen entgegnen, das sei ein parteiinternes Argument, das für die meisten Wähler irrelevant sei. Besser sei, möglichst spät aus der Deckung zu kommen, um nicht zu früh im Feuer der politischen Gegner zu stehen.

Vermutlich beginnt schon Ende Mai das große Taktieren. Sollten die Wahlergebnisse für die CDU schlecht ausfallen, wird es wohl auch dem alten und neuen Landesvorsitzenden angelastet. Die Frage ist deshalb: Wann verkündet er seine Entscheidung öffentlich? Fordert Eisenmann ihn tatsächlich heraus? Und was planen Winfried Kretschmann und die Grünen? Offen ist, ob der Ministerpräsident überhaupt für eine dritte Amtszeit bereitsteht. Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger, der nur ansatzweise so charismatisch ist, ist nicht in Sicht. Man müsse mit ihm rechnen, sagt Kretschmann. Grundvoraussetzung seien aber die Gesundheit und die Kraft, vor allem in seinem Alter. Er wäre bei der Landtagswahl 2021 fast 73 Jahre alt.

Zu gegebener Zeit, etwa ein Jahr vor der Wahl, müsse er sich entscheiden, sagt Kretsch­mann. Es ist eine Aussage, die darauf hindeutet, dass er 2021 erneut antritt, die Bekanntgabe seiner Entscheidung aber hinauszögert. Sonst wäre die Zeit wohl knapp, um einen Nachfolger wie zum Beispiel Cem Özdemir oder Edith Sitzmann aufzubauen.

Kretschmanns Entscheidung beschäftigt freilich auch die CDU. Bei den Menschen ist der erste grüne Regierungschef eines Bundeslandes mit seinem realpolitischen, bisweilen fast schon konservativen Kurs so beliebt, dass seine Partei der CDU bürgerliche Wählerschichten streitig macht. Der letzten Umfrage zufolge liegen die Grünen mit 32 Prozent vier Prozentpunkte vor der Union. Alle wissen: Ohne ihn würden die Grünen Stimmen verlieren. Bis zu 15 Prozentpunkte, prophezeien manche. Und doch wollen die allerwenigsten Christdemokraten die eigenen Erfolgsaussichten den Grünen oder dem Zufall überlassen.

„Wir müssen eine Strategie entwickeln, wie wir wieder stärkste Kraft in Baden-Württemberg werden wollen und die Grünen ablösen können“, sagt ein Präsidiumsmitglied der CDU. Dies sei die vordringliche Aufgabe in den nächsten Monaten, unabhängig von Personen. Man müsse den Menschen deutlich machen, wofür man stehe, wie man die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft meistern wolle. Auch einer aus der alten Parteigarde fordert mehr „geistige Führung“, es müsse endlich wieder mehr inhaltlich diskutiert werden – ein indirekter Seitenhieb auf Strobl.

Über allem Bemühen nach einer Strategie schweben jedoch die Fragen nach einem Verfahren und einem Zeitplan für die Kür der Spitzenkandidatin oder des Spitzenkandidaten. Die CDU muss damit rechnen, dass Strobl und Eisenmann den Machtanspruch erheben und kandidieren. Einen Mitgliederentscheid wie 2004 und 2014 will im Landesvorstand eigentlich niemand mehr. Die Abstimmungen der Basis sind nicht nur aufwendig und teuer, sie spalteten die Partei in der Vergangenheit und führten zu persönlichen Verletzungen.

Ob es diesmal anders kommt?

Zum Artikel

Erstellt:
6. Mai 2019, 02:04 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen