Koalition berät über Reform des Wahlrechts

dpa Berlin. Geht da doch noch was? Der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD berät an diesem Dienstag über die Wahlrechtsreform. Sie soll ein weiteres Anwachsen des Bundestags verhindern. Bundestagspräsident Schäuble sagt: Da muss noch was gehen.

Wolfgang Schäuble: „Die Änderung des Wahlrechts ist noch möglich, und sie ist überfällig“. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Wolfgang Schäuble: „Die Änderung des Wahlrechts ist noch möglich, und sie ist überfällig“. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Vor den Beratungen der Koalitionsspitzen über eine Wahlrechtsreform hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine Einigung angemahnt. „Die Änderung des Wahlrechts ist noch möglich, und sie ist überfällig“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

„Die Vorschläge liegen alle auf dem Tisch. Es liegt in der Verantwortung der Fraktionen, jetzt endlich einen Kompromiss zu finden, der dann auch von der vom Bundesverfassungsgericht geforderten breiten Mehrheit im Bundestag getragen wird.“

Der CDU-Politiker betonte: „Es geht hier um die Handlungsfähigkeit des Parlaments und damit um das Vertrauen der Bürger in unsere parlamentarische Demokratie.“

Die Spitzen von Union und SPD wollen im Koalitionsausschuss an diesem Dienstag über die Wahlrechtsreform beraten. Darüber wird seit Jahren ergebnislos diskutiert - deshalb wird das Thema nun gewissermaßen zur Chefsache gemacht. Allerdings gilt: Ergebnis offen. Union und SPD haben jeweils eigene Entwürfe vorgelegt, mit denen eine Reform quasi in letzter Minute erreicht werden soll. Eine Kompromisslinie zeichnet sich zwischen ihnen bislang jedoch nicht ab. Wie ein Kompromiss aussehen könnte, der auch die Zustimmung der Opposition und damit eine breite Mehrheit im Bundestag finden könnte, ist noch unklarer.

Die Reform soll verhindern, dass der Bundestag bei der Wahl im Herbst kommenden Jahres nochmals größer wird. Mit 709 Abgeordneten hat er schon jetzt ein Rekordausmaß erreicht. Ohne eine Reform wird ein weiteres Anwachsen auf möglicherweise mehr als 800 Abgeordnete befürchtet. Die Zeit für eine Einigung, die schon bei der Wahl 2021 angewendet werden kann, wird von Woche zu Woche knapper. Allgemein gilt, dass ein Jahr vor einer Wahl deren Regeln feststehen sollen.

Schäuble sagte der dpa: „In den intensiven Beratungen, die ich dazu jahrelang geführt habe, habe ich viel zu oft nur gehört, was alles nicht geht. Was definitiv nicht geht ist, dass wir gar nichts hinbekommen.“ Das Grundgesetz sehe nicht vor, dass der Bundestagspräsident diese Frage alleine entscheiden könne. Gefragt seien nun die Fraktionen.

Schäuble hatte selbst eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen und geleitet, um einen Kompromiss für eine Wahlrechtsreform zu finden. Dies gelang aber nicht. Schon in der vergangenen Legislaturperiode war sein Vorgänger Norbert Lammert (CDU) mit diesem Vorhaben gescheitert. Verantwortlich dafür war vor allem die Weigerung der CSU, aber auch der CDU, die Zahl der Wahlkreise zu verringern.

Kurz vor der Sommerpause machte die Union dann überraschend einen Schwenk. Ihr Fraktionschef Ralph Brinkhaus rief am Montag den Koalitionspartner SPD dazu auf, zu einer Einigung zu kommen. „Es wäre im Sinne unserer parlamentarischen Demokratie. Und deswegen wird morgen ein sehr wichtiger Termin für uns alle sein“, schrieb der CDU-Politiker in sozialen Medien.

So sehen die Vorschläge aus:

CDU/CSU: Nach zähem Ringen einigte sich die Unionsfraktion auf ein Modell, das möglichst schon für die kommende Bundestagswahl eine leichte Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 vorsieht. Bis zu sieben Überhangmandate sollen nicht mehr durch Ausgleichsmandate kompensiert werden. Außerdem soll es Einschnitte bei der vorab festgelegten Mindestsitzzahl für die Bundesländer und die Parteien dort geben, die im Ergebnis zu weiteren Ausgleichsmandaten führt. Die Union hält dies nach den Worten ihres Wahlrechtsexperten Ansgar Heveling für einen „sehr ausgewogenen Vorschlag“.

SPD: Die SPD sieht dies ganz anders. Sie lehnt das Unionsmodell ab. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Carsten Schneider warf der CDU/CSU soeben in der „Süddeutschen Zeitung“ erneut vor, sie wolle sich „einen einseitigen parteipolitischen Vorteil verschaffen“. Die SPD macht sich stattdessen für ein zweistufiges Vorgehen stark. Für die kommende Bundestagswahl soll die Zahl der Sitze bei 690 gedeckelt werden. Darüber hinaus gehende Überhangmandate sollen nicht mehr zugeteilt werden. Das würde Wahlkreissieger mit schwachem Erststimmergebnis treffen. Sie hätten dann zwar ein Direktmandat errungen, bekämen es aber nicht. Dies will die Union keinesfalls mitmachen. Das Konzept der SPD, das inzwischen auch als Gesetzentwurf vorliegt, sieht zudem vor, zur Wahl nur Parteien zuzulassen, deren Landeslisten paritätisch abwechselnd mit einer Frau und einem Mann besetzt sind. In einem zweiten Schritt will die SPD dann eine Kommission für eine grundlegende Reform des Wahlrechts einsetzen.

FDP/Grüne/Linke: Die drei Oppositionsparteien haben als Erste einen konkreten, gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser wurde bereits in erster Lesung im Bundestag beraten. Auch die Ausschussberatungen haben schon stattgefunden. Eine abschließende Beratung und Abstimmung im Plenum verhinderten Union und SPD in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Sommerpause aber mit ihrer Mehrheit. FDP, Grüne und Linke wollen die Zahl der Wahlkreise auf 250 reduzieren. Die Sollgröße des Parlaments soll von derzeit 598 Sitzen leicht auf 630 erhöht, das Mindestsitzzahlverfahren ganz abgeschafft werden.

Auch der Bund der Steuerzahler forderte die Fraktionen am Montag nochmals eindringlich auf, zu einer Lösung zu kommen. Sie müssten sich „jetzt zusammenreißen, um eine weitere Vergrößerung des Bundestags zu verhindern“, sagte sein Präsident Reiner Holznagel. „Das sind sie ihren Wählern schuldig, die bei der Stimmabgabe wissen sollten, wie groß das nächste Parlament überhaupt wird.“

© dpa-infocom, dpa:200824-99-280753/6

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Erstellt:
24. August 2020, 05:05 Uhr

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