Wegen zweifelhaften Attests vor Gericht

Der Angeklagten wird vorgeworfen, mithilfe eines falschen Attests die Maskenpflicht umgangen zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt.

Der Backnanger Richter zeigt sich milde: Bei der Verhandlung ging es um ein Attest, mit dem eine Frau vom Maskentragen befreit worden war. Symbolfoto: stock.adobe/okanadeniz

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Der Backnanger Richter zeigt sich milde: Bei der Verhandlung ging es um ein Attest, mit dem eine Frau vom Maskentragen befreit worden war. Symbolfoto: stock.adobe/okanadeniz

Von Anja La Roche

Backnang. Den Tränen nahe berichtet gestern Vormittag eine Frau vor dem Amtsgericht Backnang, wie sie an das Attest gelangt ist, das sie von der Maskenpflicht befreit hatte – und welches die Staatsanwaltschaft für eine Täuschung hält. Zu Beginn der Verhandlung erklärt die Angeklagte noch selbstsicher: „Ich bin einfach gestresst, wenn ich eine Maske trage.“ Im Verlauf der Befragung zeigt sich aber, dass die 41-Jährige unter großer psychischer Belastung zu stehen scheint. Und laut ihr sollen sich Stress und Angst verstärken, wenn sie eine Mund-Nase-Bedeckung aufziehen muss. „Wenn ich eine Maske aufhabe, zieht sich in mir alles zusammen. Ich kann dann nicht mehr reden“, sagt sie.

Bei einer Montagsdemonstration der sogenannten Spaziergänger ist die Backnangerin am 11. April 2022 nicht nur wegen des Nichttragens einer Maske auffällig geworden, sondern auch wegen des Tatbestands der Beleidigung, für den sie das Gericht bereits für schuldig gesprochen hatte.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr nun vor, mit einem im Mai 2021 nicht rechtmäßig ausgestellten Attest versucht zu haben, die Maskenpflicht zu umgehen. „Die Befreiung durch das Attest soll eine Farce gewesen sein“, fasst der Staatsanwalt den Vorwurf zusammen. Im Juli 2022 hatte die Staatsanwaltschaft bereits ein Strafbefehl von 50 Tagessätzen à 40 Euro beantragt. Der Richter empfand das als zu hoch und senkte das Maß auf 50 Tagessätze à 20 Euro. Dagegen hat die Angeklagte allerdings Einspruch eingelegt.

Gegen die Frau, die das Attest ausgestellt hat, läuft ebenfalls ein Verfahren

Eine wichtige Rolle in dem Verfahren spielt die Frau, die das Attest ausgestellt hat. Gegen die Diplom-Psychologin aus Stuttgart läuft derzeit ein weiteres Verfahren am Amtsgericht Bad Cannstatt. Sie soll eine Vielzahl an Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben, ohne die Patienten ausreichend zu untersuchen. Sie hatte im Mai 2021 auch der angeklagten Einzelhandelskauffrau aus Backnang eine solche Befreiung bescheinigt.

Laut der Backnangerin hatte ihr ein Freund, den sie von den Montagsdemonstrationen kennt, die Psychologin empfohlen, die sich wohl schon dafür bekannt war, solche Bescheinigungen großzügig zu verteilen. „Ich wusste, dass sie so ein Attest ausstellen kann“, erklärt die Angeklagte, warum sie dafür extra nach Stuttgart gefahren ist. Dem Vorwurf einer wissentlichen Täuschung widerspricht sie aber. „Ich habe mit besten Gewissen dieses Attest bekommen“, beteuert sie. Die Praxis der Psychologin habe sie zweimal persönlich aufgesucht, außerdem hätten die beiden Frauen viele Male miteinander telefoniert. Die Angeklagte ist überzeugt, das Attest zu Recht erhalten zu haben. Auch andere Ärzte, wie etwa ihr Hausarzt in Backnang, hätten sie von der Pflicht befreien können. Etwa auch, weil das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ihre Migräne verstärke.

Leidet die Angeklagte tatsächlich unter den angeführten Beschwerden?

Konkret attestiert das angezweifelte Dokument eine psychosomatische Funktionsstörung der Atemorgane, einen Zustand der Dauererschöpfung und die Beschwerden einer Angststörung sowie einer Depression. Um der Richtigkeit der bescheinigten Krankheiten auf den Zahn zu fühlen, hakt der Richter genauer nach: Leidet die Angeklagte tatsächlich unter den angeführten Beschwerden?

Die Frau berichtet daraufhin mit brüchiger Stimme, wie sie sich als selbstständige und alleinerziehende Mutter eines Sohnes in der Coronazeit einer zunehmend großen Belastung ausgeliefert sah. Psychisch leide sie bis heute darunter. „Mir fällt es manchmal schon schwer, Termine mit Kunden daheim in den Kalender einzutragen“, erzählt sie. Diese Belastung zeige sich eben auch, wenn sie eine Maske tragen müsse. „Ich kann das nicht erklären“, wiederholt sie mehrmals. Die Psychologin aus Stuttgart sei ihr dabei mit der Zeit auch so etwas wie eine Freundin geworden, die ihr zugehört habe, wenn es ihr schlecht ging.

Die 68-jährige Psychologin betritt selbst nach etwa 20 Minuten den Gerichtssaal und nimmt auf dem Zeugenstuhl in der Mitte Platz. Auch sie streitet den Versuch der Täuschung ab. In den zahlreichen telefonischen Gesprächen – Letztere hätten zu der Zeit pandemiebedingt ebenfalls als zulässig gegolten – habe sie grundlegende psychische Probleme bei der Backnangerin festgestellt. Und das habe sich auch darin gezeigt, dass sie keine Maske tragen könne. Ihre Patientin habe dabei unter Atemproblemen, Ausschlag, Kopfschmerzen und Hypersensibilität gelitten. Darüber hinaus belaste die Frau eine allgemeine Existenzangst und „besonders durch die gerichtlichen Verfahren wurde das Ganze viel schlimmer gemacht“, sagt sie.

Nach der Anhörung befindet der Richter das Attest zwar als sehr pauschal, will ihm aber seine Richtigkeit nicht absprechen. „Bei Ihnen habe ich den Eindruck, dass das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist“, sagt er zu der Angeklagten. Auch im Hinblick auf die bereits beglichene Geldstrafe wegen Beleidigung plädiert er dafür, das Verfahren einzustellen. Der Staatsanwalt hat dagegen keinen Einwand, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

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Erstellt:
24. Januar 2023, 16:30 Uhr

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