„Weihnachten geschieht in uns“

Pastorin Anke Neuenfeldt von der Evangelisch-methodistischen Gemeinde Murrhardt blickt auf den Umgang mit dem Fest – Liebhaberin historischer Romane

Im Moment ist nicht viel Raum für festliche Dekoration in der Murrhardter Friedenskirche. Das Gotteshaus der Evangelisch-methodistischen Gemeinde wird zurzeit baulich auf Vordermann gebracht, unter anderem werden die Räume später auch barrierefrei zugänglich sein. So sind die Gemeindemitglieder an Heiligabend im Fürstensaal der Alten Abtei zu Gast, wo sie ihre Feier abhalten können.

Pastorin Anke Neuenfeldt hat während ihrer Tätigkeit in Wien und Graz Gemeindemitglieder ganz unterschiedlicher Nationen begleitet. Das hat sie für Unterschiede im kulturellen Umgang mit dem Weihnachtsfest sensibilisiert. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Pastorin Anke Neuenfeldt hat während ihrer Tätigkeit in Wien und Graz Gemeindemitglieder ganz unterschiedlicher Nationen begleitet. Das hat sie für Unterschiede im kulturellen Umgang mit dem Weihnachtsfest sensibilisiert. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Eine ungewöhnliche Situation, aber Pastorin Anke Neuenfeldt blickt einfach voraus und freut sich, dass die Kirche saniert werden kann. Im Gespräch mit ihr wird deutlich, dass Weihnachten für sie vor allem eine innere Botschaft bereithält und einen so zumindest tendenziell ein wenig unabhängiger von sich verändernden Rahmenbedingungen machen kann. Beides – Kontinuität und Veränderung – schwingt auch mit, wenn sie von sich, ihrem Werdegang und Weihnachten erzählt. „An das allererste Weihnachten kann ich mich nicht mehr erinnern, aber eben an Feste, die ich als Kind erlebt habe“, sagt sie. „Es lag ganz oft Schnee und wir sind zu Fuß durch die weiße Pracht zur Kirche gegangen. Das war der erste Einstieg ins Fest. Alle waren schön angezogen. Nach dem Gottesdienst ging es zum Essen, es folgte die Bescherung und wir durften lange aufbleiben.“

Anke Neuenfeldt wächst in Brombach im Taunus in einer großen Familie mit fünf Schwestern auf, die auch als eine Art Keimzelle der Evangelisch-methodistischen Gemeinde beschrieben werden kann. Ihr Ururgroßvater bringt einen Prediger ins Dorf. „Ich komme aus einer Müllerfamilie, die Mühle allerdings musste in den 1960er-Jahren aufgegeben werden.“ Kirche, Glauben und Gemeindeleben gehen Hand in Hand und als Jugendliche engagiert sich Anke Neuenfeldt wie auch ihre Eltern ganz selbstverständlich in dieser Gemeinschaft.

Zwar beginnt sie in Frankfurt-Höchst eine Ausbildung als Krankenschwester, aber noch während der Lehrzeit zeichnet sich ab, dass ihr Weg in eine andere Richtung weist. Der Hinweis, „die geborene Pastorin zu sein“, trifft auf ein eigenes Berufungserlebnis, und so studiert Anke Neuenfeldt Theologie in Reutlingen an der Hochschule der Evangelisch-methodistischen Kirche.

Sie geht nach Österreich, wo sie viele Jahre in Wien und dann in Graz als Pastorin tätig ist. Ein Schwerpunkt liegt auf der internationalen Arbeit – die Gemeindemitglieder kommen aus bis zu 14 verschiedenen Ländern. Die Predigt wird auf Englisch übersetzt, die Fürbitten werden in drei Sprachen abgehalten. „Mit den kulturellen Unterschieden umzugehen, ist nicht immer einfach. Die spirituelle Prägung kann anders sein, und es ist wichtig zu überlegen, wie man was sagt, um gröbere Verletzungen zu vermeiden und gleichzeitig die eigene Kultur nicht zu verleugnen.“ In Wien geht es beispielsweise darum, einen Kompromiss auszuhandeln, wann der Weihnachtsbaum aufgestellt wird. Die amerikanischen Gemeindemitglieder möchten eigentlich schon im Advent beginnen, für die österreichischen liegt der ideale Zeitpunkt an Heiligabend. Die Einigung ist dann, ihn vor dem beziehungsweise zum dritten Advent aufzubauen. Aber auch Entscheidungen, wann genau Krippenspiel, Christvesper und Gottesdienst stattfinden, ist für die Pastorin der Murrhardter Gemeinde etwas, „worüber man reden kann“. „Das ist der Kultur und somit letztlich auch der Veränderung unterworfen“, sagt sie. „Das sind äußere Dinge, aber Weihnachten selbst geschieht in uns.“

Beispielsweise kommt die chinesische Gemeinde in Graz, von deren Mitgliedern zahlreiche in der Gastronomie tätig sind, nicht darum herum, die Zeiten für ihre Feierlichkeiten und Gottesdienste mit Rücksicht auf die Öffnungszeiten ihrer Lokale zu legen.

Genau genommen müssen auch Anke Neuenfeldt und ihr Mann, der in Backnang als Pastor tätig ist, an Weihnachten arbeiten. Dies empfindet sie aber nicht als Bürde – vor allem, weil sie die Feier anders versteht. „Heiligabend sehe ich nicht als Familienfest, sondern als eines für alle“, sagt sie. Insofern hat sie in Wien und Graz auch immer Menschen eingeladen, von denen sie wusste, dass sie an Heiligabend allein sind, und hat weiterhin Augen und Ohren offen, um mitzubekommen, ob jemand in ihrer Umgebung solch ein Angebot vielleicht guttun würde. Ganz abgesehen davon, dass angesichts der hohen Erwartungen an den Feiertagen innerhalb der Familie die Stimmung ganz schön aufgeladen sein kann, findet Anke Neuenfeldt es schön, wenn das Fest der Menschen, wie sie Weihnachten begreift, auch eines der Gesellschaft ist und wie im Süden auf der Straße stattfindet. „Im Grunde liegt mir das näher.“

Die Wertschätzung von Gemeinschaft setzt sich für sie auch darin fort, sich über den Umgang mit Präsenten Gedanken zu machen. Die Überzeugung, dass „Weihnachten nicht nur aus Geschenken besteht“, muss nicht in völligem Verzicht münden. Die Geste hat ihren Ursprung darin, dass auch „Gott uns Jesus geschenkt hat“, und mit ihr verbinden sich für die Pastorin auch ganz zentrale Botschaften des Glaubens. Diese Freude weiterzugeben, hat nichts Verwerfliches. Etwas Wärme und Mitmenschlichkeit für den anderen bereitzuhalten – dafür gibt es aber letztlich viele Möglichkeiten, auch für Menschen, die nicht im moderneren Sinne schenken wollen, und das passt gut zur Weihnachtsbotschaft. „Man kann Menschen in ärmeren Ländern Ziegen und Hühner kaufen oder helfen, eine Schulbildung zu finanzieren.“

Und wie sieht Weihnachten bei ihr zu Hause aus? Als Mutter eines elfjährigen Sohns und einer siebenjährigen Tochter steht auch eine Bescherung auf dem Plan. Nachdem die beiden sie zum Gottesdienst an Heiligabend begleitet haben, geht es nach Hause zum Essen – mit möglichen Gästen.

Die Weihnachtsgeschichte ist noch mal Thema und es wird gemeinsam mit den Eltern gesungen und musiziert. Bei den Geschenken ist Anke Neuenfeldt wichtig, dass sie im umfassenden Sinne nachhaltig sind – mit Blick auf die Herstellung, aber auch bei der Verwendung.

Bei der Frage, in welche Epoche sie per Zeitmaschine einmal eintauchen möchte, um ein ganz anderes Weihnachtsfest zu erleben, muss sie passen. Als Liebhaberin historischer Romane schätzt sie zwar diese Reisemöglichkeit, weiß aber um die damaligen Härten, zudem gebe es auch in der heutigen Zeit ziemlich viel zu tun – mit Blick auf die Armut beispielsweise in Albanien oder Makedonien.

Und in welchem anderen Land würde sie gern einmal Weihnachten erleben? Vielleicht in einem südamerikanischen, bei dem zusammen gefeiert wird. Der andere Umgang, die andere Kultur bleibt spannend. Eine Brasilianerin der Wiener Gemeinde „hat mir einmal erzählt, dass es ihr so sehr fehlt, an Weihnachten im Meer zu schwimmen“.

Mal kann der Kontakt mit der Natur, mal die Freude, heizen zu können, einen Menschen glücklich machen. Die Pastorin erinnert daran, dass auch die drei Könige nach ihrem Besuch an der Krippe heimkehren, sozusagen wieder in ihre gewohnte Welt eintauchen, trotzdem tragen sie die Botschaft weiter. „Ich glaube, es ist wichtig, berührt zu sein, das verändert mich“, sagt sie.

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Erstellt:
24. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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