Weissacher Wirgefühl im Fokus

In seiner Amtszeit hat sich das Gesicht von Weissach im Tal entscheidend gewandelt. Aus einzelnen Dörfern wurde eine moderne, attraktive, lebendige Kommune. 32 Jahre lang lenkte Rainer Deuschle die Geschicke der Gemeinde. Heute wird der frühere Bürgermeister 75.

Rainer Deuschle wird heute 75. Das Bild zeigt ihn bei der Seniorenwohnanlage mit Seniorenbegegnungsstätte in den Brüdenwiesen in Unterweissach. Der Bau der Anlage war eines der Projekte, die ihm als Bürgermeister besonders wichtig waren. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Rainer Deuschle wird heute 75. Das Bild zeigt ihn bei der Seniorenwohnanlage mit Seniorenbegegnungsstätte in den Brüdenwiesen in Unterweissach. Der Bau der Anlage war eines der Projekte, die ihm als Bürgermeister besonders wichtig waren. Foto: A. Becher

Von Armin Fechter

Weissach im Tal. Als die Weissacher den 29-jährigen Rainer Deuschle zu ihrem Gemeindeoberhaupt wählten, war er einer der jüngsten Rathauschefs im Rems-Murr-Kreis. Vier Amtsperioden später trat er ab – nunmehr als der Dienstälteste. Spannende Zeiten liegen dazwischen. Dass er schon an seinem ersten Arbeitstag von Sparkassendirektor Gustav Feil mit der misslichen Botschaft konfrontiert wurde, das Konto der Gemeinde sei so weit überzogen, dass an eine Auszahlung der Gehälter für die Gemeindebediensteten nicht zu denken sei, war nur eine der Herausforderungen, denen sich der Neuling im Amt stellen musste.

Dass er mehr wollte, als ein Leben lang Hundesteuer von A bis K zu bearbeiten, war dem Verwaltungsmann schon früh klar. Das Zeug dazu hatte er sich in der Ausbildung erarbeitet. Bei seiner ersten Kandidatur um ein Bürgermeisteramt scheiterte er mit einer Differenz von sieben Stimmen denkbar knapp. Aber: Die Erfahrungen aus dieser Bewerbung konnte er in Weissach gewinnbringend einsetzen. Er kreierte den Slogan „Bürgermeister für alle“, und um sich von den Mitbewerbern abzuheben, verschenkte er grüne Streichholzschachteln mit seinem Konterfei. Die Deuschle-Zünder funkten. Zwar fehlten ihm im ersten Wahlgang 17 Stimmen zur erforderlichen absoluten Mehrheit. Aber im zweiten Anlauf konnte er sich mit fast 77 Prozent gegen seinen härtesten Konkurrenten, den damaligen Weissacher Kämmerer Erhard Häußermann, durchsetzen. Wahlen brauchte der Amtsinhaber auch in Zukunft nicht zu scheuen. 1999 – war die Jahreszahl schon ein Vorzeichen? – erhielt er sogar sagenhafte 99 Prozent der Stimmen.

Zielstrebig machte sich der neue Bürgermeister ans Werk. Viele Hürden taten sich auf. Deuschle, stets auf Sparsamkeit bedacht, machte erst einmal einen Kassensturz und ging die festgefahrenen Grundstücksverhandlungen an, die einer Realisierung der Spatzenhofsiedlung im Weg standen. An Silvester 1975 fand er sich mit einem besonders hartnäckigen Eigentümer beim Notar ein. Nach zähem Hin und Her erhielt Deuschle die benötigte Unterschrift – wobei er seinem Gegenüber auch klarmachte, dass dessen Flächen andernfalls nie wieder Bauland würden. Damit war aber der Knoten geplatzt, um die Gemeindefinanzen mit Bauplatzerlösen zu retten. Bestürzt entdeckte Deuschle unterdessen auch, dass zwölf Jahresabschlüsse nicht gemacht waren. Das galt es mühsam nachzuholen: „Wir haben Tag und Nacht geschafft.“

Bald darauf wurde die Gemeinde von Plänen des Landkreises aufgeschreckt, zwischen Bruch und Oberweissach eine Mülldeponie anzulegen. Deuschle setzte alle Hebel in Bewegung, um das zu verhindern – eine breite Front der Bürgerschaft im Rücken. „Wir haben Rabatz gemacht“, erinnert er sich an den Abwehrkampf, für den ihn der damalige Landrat Horst Lässing mit Missachtung strafte. Ein eigener Gutachter wurde eingeschaltet. Am Ende zeigten Probebohrungen, dass der Untergrund für eine Deponie untauglich war.

Um die vier beziehungsweise fünf Ortsteile – Deuschle betrachtete Wattenweiler gern als ein eigenes Dorf – der erst 1971 geschaffenen Gemeinde zusammenzuführen, war ihm wichtig, bei Investitionen alle gleichermaßen zu berücksichtigen, sei es bei Kindergärten, bei Spielplätzen, beim Feldwegebau oder bei den Friedhöfen. Es galt aber auch, ein Bewusstsein für die Zusammengehörigkeit zu schaffen: Ein mehrtägiges Straßenfest sollte das Gemeinschaftsgefühl stärken. Bei einem Wettbewerb wurde auch der verbindende Name gefunden: Tälestreff.

Viele weitere Meilensteine folgten: der Ausbau der Forsthausbrücke, Projekte zur Dorfentwicklung, der Bau der Querspange – Lommatzscher Straße – nach einer Idee aus den 20er-Jahren, neue Baugebiete („wir mussten zusehen, dass nicht Backnang uns schnappt“), die Zentralisierung der Feuerwehr im Aichholzhof – eine der ersten im Kreis und ein weiterer Schritt für ein Weissacher Wirgefühl –, eine Seniorenkonzeption, der Kindergemeinderat und, und, und. Deuschle forcierte die interkommunale Zusammenarbeit, er war Vorsitzender aller Zweckverbände im Weissacher Tal. Hochwasserschutz – 1978 war der Marktplatz unter Wasser gestanden –, Bildungszentrum, Klärwerk, aber auch eine gemeinsame Diakoniestation, Kooperation in der Jugendarbeit. Die gymnasiale Oberstufe im Bildungszentrum installieren zu können, entschied sich – Deuschle schmunzelt und seine Augen blitzen –, als Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder, einer der Granden beim VfB, in den Katakomben des einstigen Neckarstadions die Zusage gab.

„Mein Ziel war es, bessere Lebensverhältnisse zu schaffen“, resümiert der Altbürgermeister. Weissach sollte keine Schlafstadt sein, sondern ein Ort, an dem es sich zu leben lohnt. Dafür kämpfte er – und ging auch keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Beispiel Rathaussanierung mit Bürgerhaus in Unterweissach: Das Gebäudeensemble sei zum Aushängeschild für die Gemeinde geworden, aber zuvor waren erhebliche Widerstände zu überwinden.

Als Deuschle antrat, steckte Weissach tief in der Kreide. Danach wurden, so seine Bilanz in Zahlen, 16 Millionen Euro investiert und am Ende konnte er die Gemeinde mit einem Guthaben von sechs Millionen Euro an den Nachfolger übergeben: „Wir haben sicherlich vieles richtig gemacht.“ Mit seinem Ausscheiden wurde Deuschle das Ehrenbürgerrecht verliehen – im Gegenzug dankte er der Bürgerschaft, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie dem Gemeinderat für die langjährige Zusammenarbeit.

Der Ruheständler Deuschle hält sich aus der Kommunalpolitik heraus. Die Schwerpunkte liegen jetzt anders: Zusammen mit seiner Frau Elvira widmet er sich den Aufgaben, die sich in der Familie stellen.

„Wir haben Tag und Nacht geschafft.“ Rainer Deuschle,
über seine Anfangszeit als Bürgermeister
Weissacher Ehrenbürger

Zur Person Rainer Deuschle wurde 1946 in Erkenbrechtsweiler, Kreis Esslingen, geboren. Nach Abitur und Wehrdienst begann er eine Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst, die er 1972 an der Staatlichen Verwaltungsschule Stuttgart abschloss (Befähigung zum Fachbürgermeister). Weitere Stationen: 1973 Tätigkeit beim Bürgermeisteramt Lichtenwald, 1975 Leiter der Verwaltungsstelle des Gemeindeverwaltungsverbands Reichenbach/Fils.

1975 wurde Deuschle zum Bürgermeister der Gemeinde Weissach im Tal gewählt. 2007 schied er aus dem Amt aus und bekam die Ehrenbürgerwürde verliehen.

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Erstellt:
6. August 2021, 06:00 Uhr

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