Weniger Treppen, aber noch viele Posten
Backnangs SPD-Urgestein Robert Antretter feiert heute seinen 80. Geburtstag und verspricht erneut, einen Gang zurückzuschalten
Zu seinem 75. Geburtstag hatte Robert Antretter versprochen, er werde kürzertreten. Nun sind fünf Jahre vergangen, der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete feiert heute sein 80. Wiegenfest und räumt frank und frei ein: „Ich habe nicht Wort gehalten.“ Immer noch wirkt der katholische Sozialdemokrat aus Bayern an vielen Stellen gleichzeitig. Und das stets mit Feuereifer. Mehr noch: Neue Aufgaben stehen an.

© Pressefotografie Alexander Beche
Robert Antretter ist ein unermüdlicher Kämpfer für die Würde des Menschen. Derzeit kämpft der Mann mit den vielen Posten aber auf einem ganz anderen Feld – er steckt mitten im Umzug und ringt bei vielen Dingen mit sich, was in die Umzugkartons darf und was nicht. Foto: A. Becher
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Lange hat Robert Antretter mit sich gerungen, jetzt aber steht fest: Er zieht nochmals um. Nach 48 Jahren und schweren Herzens wechselt er von seinem Haus in einer ruhigen Wohnstraße im Backnanger Westen in eine Wohnung im südlichen Stadtteil Heiningen. Die Entscheidung ist dem Alter geschuldet. Mehrere Treppen und Wohnebenen in seinem bisherigen Domizil sind alles andere als das, was man barrierefrei nennt. Noch bereitet ihm all das keine Probleme und er will eigentlich nicht weg, „ich habe hier Wurzeln geschlagen“, aber die Vernunft sagt, es ist besser so.
Gesundheitlich geht es dem Jubilar „erstaunlich gut“. Vor zehn Jahren hatte Antretter zwar einen Herzinfarkt erlitten, aber danach relativ diszipliniert gelebt und 22 Kilogramm abgenommen. „Es fällt mir nicht schwer, das Alter anzunehmen.“ Fast täglich geht er spazieren, früher eine Stunde, inzwischen oft nur eine halbe Stunde. Auch kauft er sich jedes Jahr eine Dauerkarte fürs Freibad, aber vergangenes Jahr nutzte er sie nur achtmal. Und er erinnert sich ein bisschen wehmütig an Zeiten, als er täglich 1000 Meter schwamm. „Ich würde gerne mehr Sport machen“, sagt Antretter, gerne auch Mannschaftssport in einem Verein.
Die neue Wohnung ist perfekt für Senioren. Überschaubar und alles auf einer Ebene ohne jede Stufe. Sie liegt zwar im dritten Stock, aber es gibt einen Aufzug, der aus der Tiefgarage direkt vor die Wohnungstür führt. Und er muss sich um nichts mehr kümmern. Schon seit November packt Antretter Kiste für Kiste, und in einer Woche wird er endgültig umziehen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist er heute, an seinem Ehrentag, immer noch mitten im Umzugsstress. „Deshalb ist es sehr schwierig, ein Fest zu veranstalten. Wir werden nachfeiern“, kündigt das Geburtstagskind an und verweist auf den 50. Geburtstag seines Sohns im April, „vielleicht mit ihm zusammen“.
Posten abgeben – das geht nicht in jedem Fall so von heute auf morgen
Wer glaubt, dass das SPD-Urgestein nach dem Umzugstress seine Füße hochlegen wird, der hat sich aber gründlich getäuscht. Der vielseitig engagierte Mann hat immer noch einen randvollen Terminkalender. Und er weiß, dass er sein Versprechen, kürzerzutreten, nicht gehalten hat. Aber jetzt, so betont er, jetzt wolle er wirklich Posten für Posten abgeben. Und listet im selben Atemzug auf, warum das aber nicht in jedem Fall von heute auf morgen so einfach geht. So ist er etwa Ehrenvorsitzender der Lebenshilfe, „der einzig noch lebende“, wie er knitz anfügt. Seine Amtsnachfolgerin, die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, bitte ihn relativ oft, Aufgaben wahrzunehmen. Und so spricht Antretter regelmäßig bei den derzeit anstehenden Jubiläen, da viele Kreisverbände 50- oder 60-jähriges Bestehen feiern. „Ich mache das ganz gerne, die Lebenshilfe war mir immer sehr wichtig. Ich habe es mir früher nie vorstellen können, dass mir die Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen so sehr ans Herzen wachsen kann. Aber ich genieße den Umgang mit ihnen. Das sind untaktische Menschen, sie haben keine Hintergedanken.“ Worte eines Politikers. Und: „Mein Leben wäre ärmer gewesen, wenn die Lebenshilfe nicht gewesen wäre.“
Auch aus dem Diözesanrat des Bistums Rottenburg-Stuttgart, in den er bislang dreimal berufen wurde, könne er sich noch nicht zurückziehen. „Ich habe da noch eine Aufgabe“, verrät der Katholik. Bischof Gebhard Fürst habe ihn gebeten, ihm zu helfen, das Andenken des Bekennerbischofs Joannes Baptista Sproll, der als einer der wenigen Bischöfe dem Nationalsozialismus offen die Stirn bot, noch stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Nächster Posten, gleiches Spiel: Antretter ist Vorstandsvorsitzender der Veronika-Stiftung. Auch hier relativiert er seinen Rückzug: „Ich bin noch für drei Jahre gewählt. Ich werde daher meine Tätigkeit nicht abbrechen, sondern nur in drei Jahren nicht nochmals neu kandidieren.“ Dann ist da noch die Hospizstiftung Rems-Murr, deren Vorsitzender er ist. Die Stiftung realisiert derzeit einen 4,5-Millionen-Euro-Neubau. Da könne er doch nicht mittendrin gehen, so seine Begründung. Aber – und diese Ansage verwundert jetzt gar nicht – wenn der Neubau fertig und der Betrieb im Laufen ist – dann werde er den Vorsitz abgeben.
Und dann gibt’s da noch die Caritasstiftung Backnang. Da ist Antretter Schirmherr und meint dazu: „Schirmherr wird man einmal und bleibt es. Das zu beenden fällt mir schwer. Es ist nicht viel Arbeit, aber es läppert sich.“ Und wie verhält es sich mit der Tom-Mutters-Stiftung? „Den Vorsitz werde ich abgeben. In zweieinhalb Jahren. Dann ist gut.“ Und wie geht’s mit der Ethikkommission der bayerischen Staatsregierung weiter? Ihr gehört der wertorientierte Ethiker und Anwalt der Menschlichkeit an, seit diese 2003 erstmals einberufen wurde, „als einziger SPDler und Nichtbayer“. Noch sei nicht sicher, ob Markus Söder das Gremium weiterführt, aber wenn, dann würde Antretter den Ministerpräsidenten darum bitten, ihn altershalber nicht nochmals zu berufen. Um zumindest auf diesem Gebiet sein Versprechen zu erfüllen und Entlastung zu erhalten, denn „der Ethikrat hat mich sehr in Anspruch genommen“. Aber auch ohne Funktion: Die Bioethik-Themen waren, sind und werden Antretter immer sehr wichtig sein und bilden – wie etwa die Präimplantationsdiagnostik – seit 30 Jahren einen Schwerpunkt seines Engagements. „Mir kommt es darauf an, mutig zu sein. Ich will keine Funktionen mehr, aber reden will ich umso mehr. Und ich mache auch künftig Politik nach Haltung, und nicht nach Demoskopie.“
Apropos Demoskopie: Der Anteil der Senioren wird in Deutschland extrem ansteigen. Und sie werden kosten. Genau deshalb brauchen sie jemand, der für sie eintritt. Auch deshalb übernimmt Antretter Verantwortung: „Ich sage nicht so ohne Weiteres, lass doch mal die Jungen ran, weil das heißt, dann wären die Alten nicht mehr vertreten. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Alten nur als Objekte gesehen werden. Das ist ein Grund, weshalb ich nicht Wort gehalten und mich überall zurückgezogen habe. Es gibt zu wenige, die für deren Rechte kämpfen. Das muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen.“
Zumindest parteipolitisch macht Antretter nichts mehr, dieses Versprechen hat er nach seinem 75sten gehalten, er besucht nur noch Veranstaltungen in Stadt und Kreis, „ich bin ja nicht parteifern“.
Also immer weniger Posten? Nun – Anfang Januar hat Antretter mit Erhard Eppler, Gernot Erler, Ernst-Ulrich von Weizsäcker und anderen in Mannheim den SPD-Gesprächskreis „Friedenspolitik 2.0“ gegründet. Dabei geht es um die Ostpolitik und das Verhältnis zu Russland, das in den Augen der Initiatoren viel zu sehr in den Hintergrund gerückt ist. „Wir können es nicht akzeptieren, dass die Ostpolitik nicht zuvörderst die Interessen Deutschlands und Europas berücksichtigt.“ Der Mann, der eigentlich kürzertreten will, sagt: „Das beansprucht mich sehr. Heute habe ich zum Beispiel schon zweimal mit Eppler telefoniert.“ Die beiden Unruheständler planen, dass sich der Gesprächskreis alle sechs Wochen einmal trifft. Welchen Posten Antretter in dem Gesprächskreis wohl übernimmt?
Robert Antretter verzichtet anlässlich seines 80. Geburtstags auf einen Empfang im historischen Rathaus und spendet stattdessen das Geld einer gemeinnützigen Organisation. Der Träger der Backnanger Bürgermedaille hat sich für eine Spende an die Bürgerstiftung Backnang entschieden und würde sich über weitere Spenden an die Stiftung – anstelle von Geburtstagsgeschenken – freuen.
Seit über 58 Jahren ist Antretter SPD-Mitglied, aber er genießt weit über die Grenzen seiner Partei hinaus bundesweite Anerkennung, unter anderem in seiner überparteilichen Funktion als Ehrenvorsitzender der Lebenshilfe.
Für sein vielfältiges ehrenamtliches Engagement wurde Antretter mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der nur an wenige Persönlichkeiten verliehenen Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und der höchsten Kategorie des Bundesverdienstkreuzes: dem großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Papst Johannes Paul II verlieh Antretter als langjährigem Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken die Ritterschaft des päpstlichen Gregoriusordens für sein Eintreten für die Menschenwürde.
Altbundespräsident Horst Köhler würdigte in einem Glückwunschschreiben Antretters besonnenes und beständiges Engagement für ein besseres Miteinander, „sei es im Bundestag, bei der Lebenshilfe oder in der Kirche, stets waren Sie ein unermüdlicher Kämpfer für die Würde des Menschen“. Und auch die Backnanger Genossen würdigen die Lebensleistung Antretters. So schreibt Gernot Gruber: „Die Backnanger SPD ist stolz, Robert Antretter in ihren Reihen zu wissen. Einen, der stets gewusst habe, dass sein Platz in den Reihen der Sozialdemokratie ist, der es aber auch verstanden hat, Brücken von Mensch zu Mensch zu bauen im Interesse einer friedlichen und gerechten Gesellschaft.“