Wenn der Waschbär auf der Terrasse steht

Margarete und Detlef Neumann hatten neulich eine ungewöhnliche Begegnung: Gleich drei Tiere wagten sich im Garten in ihre Nähe. Waschbären sind auch in Murrhardt mittlerweile sehr präsent. Ein Patentrezept für den Umgang mit dem Problem gibt es aber nicht.

Der Waschbär – gut erkennbar an seiner schwarz umrandeten Augenpartie – hat sich in den vergangenen Jahren auch hier stark vermehrt. Foto: Adobe Stock/EricIsselée

© Eric Isselée - stock.adobe.com

Der Waschbär – gut erkennbar an seiner schwarz umrandeten Augenpartie – hat sich in den vergangenen Jahren auch hier stark vermehrt. Foto: Adobe Stock/EricIsselée

Von Christine Schick

MURRHARDT. Die Murrhardter Eheleute waren mehr als überrascht, als sie am frühen Abend, gegen 18 Uhr, ihres tierischen Besuchs gewahr wurden: Gleich drei Waschbären tummelten sich da in ihrem Garten und trauten sich erstaunlich nahe an sie heran. „Wir saßen auf der Terrasse“, erzählt Detlef Neumann. Das Trio wirkte noch sehr jung auf sie. Möglicherweise war das auch der Grund, weshalb sich einer der Burschen sogar ins Haus gewagt beziehungsweise verirrt hat. „Ich hab erst mal alle Türen geschlossen und ihn schließlich mit dem Besen wieder rausbekommen. Aber er hat ganz schön gefaucht.“ Die Hypothese: „Sie schienen noch recht klein, vielleicht haben sie ihre Mutter gesucht, aber ich weiß es natürlich nicht.“ Ob die Tiere noch da sind, muss ebenfalls offenbleiben. Eine weitere Begegnung gab es bisher nicht. Aber als Detlef Neumann über die ungewöhnlichen Gäste im Bekanntenkreis berichtet, erntet er jede Menge Mitleidsbekundungen. „Man spricht nicht offen darüber, aber die Waschbären scheinen sich auch in Murrhardt langsam zum Problem zu entwickeln“, stellt er fest. Da seien die Hinterlassenschaften, aber auch durchwühlte Beete und geplünderte Vogelhäuschen. „Dabei schwingt immer die Angst mit, die Waschbären könnten doch einen Zugang finden und sich im Haus einnisten.“ Er habe auch mitbekommen, dass selbst zu illegalen Mitteln gegriffen werde, um die Tiere wieder loszuwerden, beispielsweise indem man sie an weiter entfernte Orte bringt.

Für die Murrhardter Revierförster Andreas Schlär und Dieter Seitz ist die Präsenz des Waschbären kein neues Phänomen. „Wir beobachten das schon seit Langem, dass es mehr Tiere werden und sie immer frecher werden“, sagt Schlär, will heißen, sie kommen nah heran, tauchen auch schon mal in den Gärten und beim Kompost auf. „Sie sehen ja putzig aus, haben es aber faustdick hinter den Ohren.“ Er weiß von einem Fall in Rudersberg, bei dem sich ein Waschbär mit einem Hofhund angelegt und ihn attackiert hat. Mittlerweile gebe es in Murrhardt und Umgebung Stellen, an denen die Tiere regelmäßig gesichtet würden wie beispielsweise an der Straße in Richtung Siebenknie. Dass sie zudem innerhalb der Stadt stärker wahrgenommen werden, sei möglicherweise auch den Homeofficephasen in Coronazeiten geschuldet. „Die Menschen waren mehr zu Hause, haben sich intensiver mit ihrem Grundstück beschäftigt.“ Wie mit solch einem Besuch beziehungsweise der Präsenz umzugehen ist, müsse von Fall zu Fall entschieden werden. Eins ist für Schlär aber klar: „Man kann die Uhr nicht zurückdrehen und sie alle verschwinden lassen.“ Denn selbst wenn Lebendfallen als letztes Mittel in Wohnortnähe erwogen werden, gehöre dies in die Hände von Experten, und es müssten der Tierschutz, rechtliche und ethische Aspekte beachtet werden. Sein Kollege Dieter Seitz geht davon aus, dass Waschbären mittlerweile überall im Stadtgebiet vorkommen. „Sie haben keine Fressfeinde, werden immer zutraulicher und drücken in die Vorgärten“, sagt er. In der Stadt, wo nicht gejagt werden könne, ist für ihn aber auch die Lebendfalle keine wirkliche Lösung, da der Bestand insgesamt nicht einfach technisch kontrollierbar sei. „Er ist wie die Made im Speck, frisst alles.“ Tauchen Tiere in Hausnähe auf, rät er, möglichst schnell mit entsprechenden baulichen Schutzmaßnahmen beispielsweise für Wand, Kamin und Schlupflöcher zu reagieren (siehe Infokasten).

„Der Waschbär steht auf der EU-Liste invasiver, gebietsfremder Arten.“

„Der Waschbär ist bei uns auf dem Vormarsch, was nicht nur die steigende Jagdstrecke, sondern auch die steigenden Fallwildzahlen zeigen“, heißt es im baden-württembergischen Jagdbericht 2018/19. „Schwerpunkte des Vorkommens liegen im Bereich der Schwäbisch-Fränkischen Waldberge und des Schur- und Welzheimer Waldes. Der Waschbär steht auf der EU-Liste invasiver, gebietsfremder Arten.“ Als lokale Beseitigungs- beziehungsweise Kontrollmaßnahmen werden dort Lebendfang mit Fallen, Abschuss sowie gezieltes Management der Beutegreifer zum Schutz naturschutzfachlich wertvoller Gebiete beziehungsweise Arten empfohlen. Im Bericht zur Jagdstrecke von 2019/2020 (tote Tiere durch Jagd, Verkehr oder über Fund) fällt beim Waschbär eine Steigerung der Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent mehr als deutlich aus.

Was das tierische Umfeld anbelangt, sagt Felicitas Rechtenwald vom Nabu-Landesverband Baden-Württemberg: „Der Waschbär kann örtlich ein Problem für bodenbrütende Vogelarten wie den Kiebitz, Amphibien, Reptilien oder auch Greifvögel darstellen, wenn diese Arten eh schon stark gefährdet oder im Rückgang begriffen sind.“ Aber wie so oft gelte auch hier: Je vielseitiger und strukturierter die Natur, umso geringere Auswirkungen hat der Waschbär als Beutegreifer. Somit steht für den Nabu der Schutz der Lebensräume im Vordergrund, eine Bejagung des Tiers sollte nicht die Konsequenz sein. Wenn überhaupt müsse sie vor dem Hintergrund des Artenschutzes genauestens geprüft werden und könne nur im Einzelfall etwas bringen. „Populationsökologisch hat sich gezeigt, dass Bejagung oder Fang mit dem Ziel, die Populationsdichte zu reduzieren, zumeist ohne Erfolg bleibt. Waschbären können Populationsverluste durch eine vermehrte Fortpflanzungsrate ausgleichen, auch würden bei einer ,Entnahme‘ neue Tiere aus den umliegenden Gebieten in den dann unbesetzten Lebensraum nachrücken“, erläutert die Biologin. Der Nabu Baden-Württemberg spricht sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Waschbären durch größere Würfe die Verluste der Jagd wettzumachen versuchen, gegen den generellen Abschuss aus. „Vielmehr sollten Arten, die auf seinem Speiseplan stehen, gestärkt werden“, beispielsweise indem man gute Versteckmöglichkeiten und Vernetzung schafft oder Gelege, Brut und Jungtiere gezielt schützt.

Auch beim Kreisjagdamt melden sich in letzter Zeit vermehrt Bürger, die sich in ihren Gärten von Waschbären gestört fühlen, wie Martina Keck von der Pressestelle des Landratsamts berichtet. Die Fachleute raten dann, den Garten für die Tiere unattraktiv zu halten (siehe Infokasten). Als letzte Möglichkeit könne ab August (Ende der Zeit, in der die Aufzucht der Jungen erfolgt) eine Fallenfanggenehmigung beantragt werden. Das Jagd- und Wildtiermanagementgesetz sehe für Wald und Feld keine Abschusspläne für Waschbären vor, in städtischen Gebieten ist die Jagd nicht erlaubt. Kommt eine Lebendfalle zum Einsatz, wird das Tier aber getötet und darf nicht an anderer Stelle wieder ausgesetzt werden. „Grundsätzlich gilt: Durch umsichtiges Verhalten ist ein friedliches Neben- und Miteinander von Mensch und Waschbär möglich. Man sollte nicht in Panik verfallen, sondern sich erst mal Rat holen, sagt Felicitas Rechtenwald vom Nabu.

Tipps für Haus und Garten

Sollten Waschbären in der Nähe des Hauses beziehungsweise im Garten auftauchen, empfiehlt das Kreisforstamt, Katzen (oder andere Tiere) möglichst im Haus zu füttern, keine Essensreste auf den Kompost zu werfen und die Mülltonnen unzugänglich aufzubewahren. Sollte sich ein Waschbär in einer Gartenhütte eingerichtet haben, raten die Experten dazu, es ihm durch Lärm ungemütlich zu machen und danach den Zugang gut zu verschließen.

Der Nabu-Bundesverband hat eine Reihe von Tipps, was hilfreich sein kann: Bäume und Sträucher, die an oder über das Dach reichen, großzügig zurückschneiden, über den Fallrohren der Regenrinne glatte Blechmanschetten anbringen, den Schornstein mit einem starken Metallgitter versehen, mögliche Einstiege mit soliden Baumaterialien sowie nachts die Katzenklappe verriegeln. Mülltonnen sollten ebenso gut verschlossen und mindestens einen Meter von Zäunen, Mauern und Zweigen entfernt aufgestellt sein. Zusätzliche Müllsäcke erst am Tag der Abholung morgens vor die Tür stellen oder in verschließbaren Boxen aufbewahren. Den Kompost nur für Garten- und Gemüseabfälle nutzen.

Eine ausführliche Dokumentation zu Management und Maßnahmen hält die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg unter https://tinyurl.com/4nnkpaad bereit.

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Erstellt:
23. Juni 2021, 16:00 Uhr

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