Wie Balkone zu Tankstellen für Vögel, Eichhörnchen und Insekten werden

Interview Die Autorin und Biologin Bärbel Oftring hält einen Vortrag zum Thema „Tierisch guter Balkon“. Im Vorfeld erklärt sie im Interview, warum ein naturnah gestalteter Balkon viele Vorteile für Menschen, Tiere und Insekten hat.

Nicht nur Insekten und Vögel, sondern auch Eichhörnchen kommen auf einem naturnah gestalteten Balkon vorbei. Symbolfoto: stock.adobe.com

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Nicht nur Insekten und Vögel, sondern auch Eichhörnchen kommen auf einem naturnah gestalteten Balkon vorbei. Symbolfoto: stock.adobe.com

Über welche tierischen Besucher auf dem Balkon freuen Sie sich besonders? Ich wohne hier im fünften Stock. Was mich am meisten freut ist, dass man den Vögeln so viel näher ist, die in den Baumkronen zwitschern und vorbeifliegen. Ein Fernglas liegt darum immer bereit. Und auch die Pflanzen erlebt man viel näher als im Garten, weil man ja täglich nach den Töpfen und Kästen schaut, ebenso die tierischen Blütenbesucher, die Hummeln und Wildbienen, das Taubenschwänzchen, die vorbeikommen. Was mich am Balkon so freut: Rundrum passiert etwas. Zum Beispiel kommen im Frühjahr immer Kohlmeisen, die zupfen sich büschelweise das Material aus dem Winterschutz, um ihr Nest zu polstern. Das sind Dinge, die man auf dem Balkon viel näher mitbekommt als im Garten.

Was sagen Sie Menschen, die meinen, dass ihr Balkon zu klein sei für eine naturnahe Gestaltung?

Man kann selbst auf dem kleinsten Balkon eine große Vielfalt haben. Ja, die Fläche ist zwar klein, aber man hat auch die Wände für vertikales Gärtnern, viele Töpfe oder Kästen übereinander und nach außen. Überall kann man Pflanzen und Tiere beobachten. Das schließt sich gar nicht aus auf der kleinen Fläche. Wobei man einschränken muss: Es gibt natürlich auch ungünstig gelegene Balkone. Wenn man wenig Licht hat oder der Balkon im Wind exponiert ist, dann gibt es natürlich schon auch Einschränkungen. Aber auch dafür gibt es auch Lösungen, indem man mit Windschutz arbeitet und passende Pflanzen wählt.

Wie fängt man am besten an, wenn man seinen Balkon tierfreundlich gestalten will?

Also am besten fängt man an, indem man zum Beispiel eine Hänge-Kätzchenweide (Salix caprea) aufstellt. Dazu heimische Wildpflanzen plus Schnittlauch, Kugellauch und andere sind auch wunderbar. Ein Problem ist, dass die meisten Gartencenter für den Balkon vor allem Modepflanzen auf bunten Blühtischen anbieten, die gezüchtet sind – also entweder Pflanzen aus anderen Ländern oder heimische, die zu Sorten mit üppigen und großen Blüten gezüchtet wurden – auf Kosten von Pollen und Nektar. Diese Pflanzen sind wertlos für unsere Wildbienen und andere Insekten. Es gibt aber Online-Gärtnereien (siehe Infotext), die bieten richtige Pflanzpakete mit heimischen Wildpflanzen an. Da kann man das richtige Paket wählen für einen sonnigen oder für den schattigen Balkon. Viel Freude habe ich an einer duftenden Wildrose. Und Kräuter: Thymian, Lavendel, Oregano. Ein Kräuterbalkon lockt ganz viele Tiere an, Schmetterlinge, Hummeln, all das, woran man sich auf dem Balkon freut.

Gibt es denn Fehler, die man unbedingt vermeiden sollte?

Was man unbedingt vermeiden sollte ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Schnecken sind ja kein Problem auf dem Balkon. Und wenn man zum Beispiel Blattläuse hat, dann sollte man erst abwarten: Denn kaum sind Läuse aufgetaucht, schon kommen Marienkäfer, die sich davon ernähren. Und so kann man in zwei bis drei Wochen sehen, wie die ganze Blattlauskolonie vertilgt ist. Auch für die Küken von Singvögeln sind Läuse eine wichtige Nahrung. Das beobachtet man auf dem Balkon von ganz nah und erlebt mit, wie Natur sich selbst reguliert.

Was ist für die Natur der Vorteil, wenn viele Leute in der Stadt den Balkon naturnah umbauen?

In die Städte ziehen momentan viele Pflanzen und Tiere ein. Nicht weil es in der Stadt so toll ist, sondern weil es auf dem Land durch intensive Landwirtschaft noch schrecklicher ist. So haben wir in den Städten mittlerweile eine große Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. Und diese Tiere sind ja ständig unterwegs. Die Balkone dienen dabei als eine ganz wichtige Rast- und Tankstelle, damit Tiere – Vögel, vor allem aber Insekten, Schmetterlinge und Wildbienen – Nahrung finden. Und über Nisthilfen für Wildbienen kann man dann sogar Plätze schaffen, wo Reproduktion stattfindet.

Und was hat der Mensch von einem tierfreundlichen Balkon?

Nur Gutes. Wenn man sich wirklich entspannen will, dann ist das in der Natur am besten möglich. Und wenn man so einen Balkon hat, muss man noch nicht mal weggehen: Man macht einen Schritt vom Wohnzimmer auf den Balkon und ist schon in der Natur.

Von welchem Besucher waren Sie besonders überrascht, dass er auf Ihrem Balkon aufgetaucht ist?

Das war tatsächlich, als hierher in den fünften Stock plötzlich ein Eichhörnchen kam. Ich habe eine Weile lang Vögel gefüttert, neben Meisen kamen gern auch Buntspechte. Sogar ein Buchfink kam, das sind scheue Gesellen. Plötzlich habe ich gehört, dass auf dem Balkon echt ein Theater ist, da hat es richtig gescheppert. Da war ein Eichhörnchen und das hat dann den Futterspender hin- und hergeworfen und gegen die Balkonbrüstung geschlagen, sodass die Nüsse rausgefallen sind. Überraschend ist es auch, wenn ein Vogel brütet, das ist immer ganz berührend, weil man auch das so hautnah miterlebt.

Das Gespräch führte Kristin Doberer.

Foto: privat
Bärbel Oftring
Wie Balkone zu Tankstellen für Vögel, Eichhörnchen und Insekten werden

Zur Person Bärbel Oftring ist Biologin, Autorin und Lektorin. Sie hat zahlreiche Bücher rund um Flora und Fauna herausgegeben.

Vortrag Im Rahmen von „Backnang blüht auf“ hält sie am Mittwoch um 19 Uhr einen Vortrag im Backnanger Bürgerhaus zum Thema „Tierisch guter Balkon“.

Tipps Besonders empfiehlt sie die beiden Wildstaudengärtnereien Strickler (www.gaertnerei-strickler.de) und

Gaissmayer (www.gaissmayer.de).

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Erstellt:
24. Mai 2023, 06:00 Uhr

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