Wie kommen eigentlich Straßennamen zustande?

Zwischen Aladinstraße und Wolfsgrube: Straßennamen sind in unserem Alltagsleben eine Selbstverständlichkeit. Ob Gässlein, Weg oder wichtige Verkehrsader: Das heutige Straßennetz treibt bunte Blüten. Manch ein Name erscheint dabei kurios, andere wirken belanglos.

Rotkäppchen trifft Frau Holle: Im Sulzbacher Ortsteil Bartenbach verweisen die Straßennamen noch auf einen hier einstmals ansässigen Märchenpark. Straßennamen sind nicht selten auch eine Form der Erinnerungskultur. Foto: Tobias Sellmaier

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Rotkäppchen trifft Frau Holle: Im Sulzbacher Ortsteil Bartenbach verweisen die Straßennamen noch auf einen hier einstmals ansässigen Märchenpark. Straßennamen sind nicht selten auch eine Form der Erinnerungskultur. Foto: Tobias Sellmaier

Von Kai Wieland

Rems-Murr. „Bis 1888 gab es in Backnang gar keine Straßennamen, die Häuser waren einfach durchnummeriert“, erklärt Stadtarchivar Bernhard Trefz. Keine Rede konnte also davon sein, dass ein Bürger Backnangs die Marktstraße überquerte, die Schillerstraße hinabflanierte und in die Uhlandstraße abbog. Was heute eine Selbstverständlichkeit und von der Postzustellung bis hin zu Google Maps aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, war damals Zukunftsmusik.

Es war ein System, dass für eine überschaubare Anzahl von Häusern ausreichend Orientierung bot, jedoch auch dazu führte, dass ein neues Gebäude mit der Nummer 401 möglicherweise nicht neben der Nummer 400, sondern auf der anderen Seite der Stadt stand. Zwar pflegten die Bewohner Backnangs laut Trefz auch zu dieser Zeit bereits inoffizielle Straßenbezeichnungen, die sich vage an prägnanten Landmarken oder dem Straßenbild orientierten, doch offiziell benannt wurde das Straßennetz erst „durch Anordnung der Einschätzung der Gebäude seitens der Brand-Versicherungs-Anstalt“, wie es im damaligen Murrtal-Boten hieß.

Vom Gewann zum Straßennamen

Heutzutage ist eine Straße bereits getauft, noch ehe der Asphalt trocken ist. Aber wer entscheidet eigentlich, welchen Namen eine Straße erhält? Laut der Gemeindeordnung Baden-Württemberg kommt diese Aufgabe der jeweiligen Gemeinde und innerhalb dieser in der Regel dem Gemeinderat zu, sofern es nicht in der Hauptsatzung anders geregelt ist. Dabei gilt lediglich die Einschränkung, dass es nicht bereits eine gleichlautende Bezeichnung innerhalb der betreffenden Gemeinde geben darf.

Einer der jüngsten Straßennamen im Raum Backnang lautet Blütengärten. Er war einer von zwei Vorschlägen der Aspacher Gemeindeverwaltung für die entstandene Stichstraße im Baugebiet Stegmühlenweg, welche dem Gemeinderat zur Abstimmung unterbreitet wurden (wir berichteten). Ein solches Vorgehen ist gängig, aber nicht vorgeschrieben, wie ein Blick in andere Gemeinden zeigt. „Hier ist es Tradition, dass die Gemeindeverwaltung keinen Vorschlag unterbreitet, sondern dies von den Mitgliedern des Gemeinderats erfolgt“, erklärt etwa die Bürgermeisterin von Allmersbach im Tal Patrizia Rall. Zwar gab es in ihrer Amtszeit in Allmersbach noch keine Straßennamen zu vergeben, doch wohnte sie als Verwaltungsmitarbeiterin der Gemeinderatssitzung bei, in welcher im Oktober 2016 der Straßenname für das Baugebiet Erpfenfeld beschlossen wurde. „Dieses Baugebiet liegt im Gewann Samenäcker. Aus diesem Grund wurde aus der Mitte des Gemeinderats der Straßenname Samenäcker vorgeschlagen“, so Rall. Der Name setzte sich schließlich gegen den Vorschlag Am Erpfenfeld durch.

Bei der Erschließung neuer Gebiete ist die Orientierung am Namen des jeweiligen Gewanns üblich. Im Neubaugebiet Brühl in Burgstetten entstehen die neuen Straßen Söllbachrain und Brühlwiesen. Auch sie gehen auf Gewanne sowie auf den dort verlaufenden Bach zurück, sagt Bürgermeisterin Irmtraud Wiedersatz. Der etwas einschüchternde Straßenname Wolfsgrube, den es sowohl in Burgstetten als auch neuerdings in Kirchberg an der Murr im Baugebiet Rappenberg gibt, verweist ebenfalls auf die dortigen Gewanne. „Für mich und für den Kirchberger Gemeinderat hat es absolute Priorität, diese alten Gewannnamen als Straßennamen zu vergeben und damit dauerhaft im Bewusstsein der Bevölkerung zu erhalten. Diese Gewannnamen haben auch einen konkreten Ortsbezug“, betont Frank Hornek, Bürgermeister von Kirchberg.

Straßennamen als Erinnerungskultur

Spannend wird es immer dann, wenn mehr Namen vergeben werden müssen, als die Gewannbezeichnung hergibt. „Diese Straßennamen werden in einer Gemeinde dann häufig je Gebiet nach Kategorien wie Dichter, Bäume oder Blumen vergeben“, erklärt Hornek. „Für das Gebiet Rappenberg hat man sich für Vogelnamen entschieden.“

Besonders markant sind im Straßenatlas ganze Orte oder Ortsteile, die einer durchgängigen Namenslogik folgen – und praktisch ist es noch dazu, denn wer etwa die Grazer Straße, den Kapruner Weg oder eine andere nach Österreich verweisende Adresse sucht, weiß sofort, dass er sich in Maubach umsehen muss. Ob Schweizer Städte in Germannsweiler, Flussnamen in Waldrems, Bodenseestädte in Oberschöntal oder Neckarstädte in Heiningen – die Straßen insbesondere in den südlichen Stadtteilen Backnangs tragen ein einheitliches Namensgewand. Ausgangspunkt dafür war die Gemeindeeingliederung der Orte in den 1970ern. Um Namensdopplungen mit Straßen in Backnang zu vermeiden, hatten vereinzelte Straßen ohnehin umbenannt werden müssen. Dies nahmen die Ortschaftsräte zum Anlass, gleich die Umbenennung aller Straßen anzuregen, um später die Auffindbarkeit zu erleichtern.

Aber wie kam man im Sulzbacher Ortsteil Bartenbach auf die Idee, sämtliche Straßen nach Märchen zu benennen? Reine Willkür oder kindliche Freude an Aladin, Rotkäppchen und Co. hat damit nichts zu tun, vielmehr verweisen die Namen auf ein märchenhaftes Stück Bartenbacher Geschichte. „Es gab dort einmal einen Märchenpark, die Namen wurden sozusagen als Reminiszenz daran vergeben“, weiß Bernhard Trefz.

Umbenennungen sind immer dort schwierig, wo Menschen wohnen

Überhaupt sei er ein Freund davon, einen historischen Aspekt heranzuziehen und darauf zu verweisen, gewissermaßen als eine Form der Erinnerungskultur. „Das ergibt einfach Sinn und ein Straßenname wie Ziegelei oder Spinnerei ist auch eine schöne Adresse, finde ich.“ Auch ist er ein Befürworter der Namensgebung nach lokalen Persönlichkeiten. Für den einstigen Oberbürgermeister Backnangs Frank Nopper habe er gar eine Liste mit entsprechenden Personen erstellt, die sich für Straßennamen eigneten. „Es ist ja auch vollkommen in Ordnung, Straßen und Plätze nach Luther oder Adenauer zu benennen, aber da fehlt dann natürlich ein wenig der Lokalkolorit und es ist ein Stück weit austauschbar.“ Zweifellos ist es für Backnanger naheliegender, die Martin-Dietrich-Allee entlangzuspazieren, die Felicitas-Zeller-Staffel oder die Christian-Schmückle-Staffel hinaufzusteigen, in den Wolle-Kriwanek-Weg zu fahren oder durch die Friedrich-Stroh-Straße zu schlendern.

Bisweilen braucht man dafür gar keine neue Straße zu bauen, schließlich können bestehende auch umbenannt werden. „Umbenennungen sind immer dort schwierig, wo Menschen wohnen, weil die wollen es in der Regel nicht“, sagt Trefz. Vor einigen Jahren habe sich aber eine günstige Gelegenheit ergeben, um Petrus Jacobi, den im 15. Jahrhundert wirkenden Propst des Augustiner-Chorherrenstifts in Backnang, mit einer eigenen Straße zu würdigen. „Die Stadtgalerie und das Helferhaus gehörten damals noch zur Straße Stiftshof, was aber insbesondere Besucher oft verwirrt hat.“ Weil in diesem Abschnitt nur wenige Menschen wohnten, habe man ihn aber in Petrus-Jacobi-Weg umbenennen und so nicht nur das stadtplanerische Problem lösen, sondern auch noch eine lokale Persönlichkeit ehren und die Nachwelt an ihn erinnern können.

Nachlesen Das Buch „Was Straßenschilder erzählen“ von Helmut Bomm, herausgegeben vom Verlag Fr. Stroh Backnang im Jahr 1986, erläutert in einer Sammlung von Texten, die damals in der Backnanger Kreiszeitung erschienen, den Ursprung vieler Straßennamen in der Stadt. Es ist antiquarisch erhältlich.

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Erstellt:
26. Januar 2024, 06:00 Uhr

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