Naher Osten
Wie wird das neue Syrien aussehen?
Der Umgang mit der kleinen drusischen Minderheit in Syrien lässt nichts Gutes erahnen. Eine neue Fluchtwelle könnte die Folge sein.

© Ghaith Alsayed/AP/dpa
Ein Foto vom 18. Juli: Beduinische Kämpfer im Dorf Al-Masraa am Rande der Stadt Suwaida
Von Violetta Hagen
Als Basil al-Khalil (Name geändert) sich am Montag nach fünf Tagen das erste Mal traut, einen Fuß vor seine Haustür zu setzen, zeigt sich ihm ein Bild des Grauens. Halbverweste Leichen liegen am Rand der Straße in der südsyrischen Stadt Suwaida. Es kostet den dreißigjährigen Englischlehrer allen Mut, weiterzugehen. Als er das größte Krankenhaus der Stadt erreicht, findet er den Innenhof mit Leichen übersäht, keine lebende Seele ist zu sehen. Basil filmt alles mit seinem Handy. „Oh Gott, das ist wie ein Horrorfilm“, kommentiert er seine Aufnahmen. „Wir brauchen Hilfe!“
Spannungen seit dem Sturz von Assad
Was sich in den vergangenen zehn Tagen in Suwaida abgespielt hat, wirft einen dunklen Schatten auf das neue Syrien unter Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa. Im Dezember vergangenen Jahres stürzte er mit seinen islamistischen Kämpfern Langzeitdiktator Bashar al-Assad. Und während immer mehr Sanktionen aufgehoben und Botschaften eröffnet werden, verschlechtert sich die Sicherheitslage in Syrien – vor allem für religiöse und ethnische Minderheiten.
Dabei gilt Syrien als eines der heterogensten Länder der arabischen Welt: Alawiten, Drusen, Christen und Kurden prägen die mehrheitlich sunnitische Gesellschaft mit. Die Drusen machen etwa drei Prozent der Bevölkerung aus. Die religiöse Minderheit lebt überwiegend in Suwaida im Süden des Landes.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes kommt es immer wieder zu Spannungen. Die Drusen pochen darauf, selbst für Sicherheit in ihren Siedlungsgebieten zu sorgen. Auch die Kontrolle über den Drogenhandel in der Region hat mutmaßlich eine Rolle gespielt sowie alte Fehden mit benachbarten Beduinenclans. Der Streit mit eben diesen sunnitischen Clans eskalierte vergangene Woche schließlich in blutige Gewalt. Doch statt schlichtend einzugreifen, sollen die aus Damaskus entsandten Regierungstruppen selbst drusische Zivilisten ermordet haben, so der Vorwurf der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Mehr als 700 Menschen sollen auf allen Seiten getötet worden sein.
Besonders erschreckend ist für Beobachter, wie schnell eine explizit anti-drusische Rhetorik auftauchte – und auch in Staatsmedien verbreitet wurde. „Die Kämpfer haben sich dabei gefilmt, wie sie drusischen Männern die Schnurrbärte abrasieren, die als religiöses Symbol gelten“, schildert die deutsche Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal. Sie sieht die Minderheiten in Syrien als akut gefährdet. „Anstatt den neuen Präsidenten zu hofieren, in der Hoffnung bald wieder Abschiebeflüge nach Syrien zu schicken, sollte Deutschland massiven Druck ausüben, um die Minderheiten in Syrien zu schützen.“ Sonst, so Tekkal, drohe eine neue Fluchtwelle aus dem Land.
Denn auch andere Minderheiten stehen massiv unter Druck. Anfang März war es in der Küstenregion zu Massakern an der alawitischen Minderheit gekommen. 1500 Menschen – darunter viele Frauen und Kinder – wurden innerhalb weniger Tage getötet. Auch die Christen bangen um ihre Sicherheit: Im Juni sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einer Kirche in Damaskus in die Luft und tötete 25 Menschen.
Im Militär dominieren die alten Milizen
Immer deutlicher wird, dass Präsident al-Scharaa nicht willens oder in der Lage ist, Sicherheit für die Minderheiten zu garantieren. Auch weil in der Armee eben jene dschihadistischen Milizen dominieren, die ihm bei der Eroberung Syriens halfen. Sie sind kampferprobt und gelten als extrem radikal.
In Suwaida ist mittlerweile eine Waffenruhe in Kraft – doch die Lage gilt weiter als extrem angespannt. Für Englischlehrer Basil al-Khalil ist sein Leben und das seiner Gemeinschaft seit vergangener Woche für immer brutal geteilt – in ein Davor und Danach. „Wir können uns nie wieder sicher fühlen in Syrien“, sagt er. Immer wenn er die Augen schließt, so erzählt er, sieht er wieder die Leichen am Wegesrand liegen. „Wir sind jetzt Fremde in unserem eigenen Land.“