Angriffe auf Polizei und Firmen

„Wir sprechen von einem Cyberkrieg“

Hackerangriffe auf Unternehmen und Behörden, IT-Probleme bei der Polizei: Ralf Kusterer von der Deutschen Polizeigewerkschaft wirft der Landesregierung Versagen bei der Cybersicherheit vor.

Cyberkriminalität ist zu einer massiven Bedrohung für Privatleute, Firmen und sogar die Polizei geworden.

© dpa/Oliver Berg

Cyberkriminalität ist zu einer massiven Bedrohung für Privatleute, Firmen und sogar die Polizei geworden.

Von Jürgen Bock

Erst legt ein Stromausfall in der Stuttgarter Zentrale des Landeskriminalamts (LKA) auch die internen Systeme vieler Polizeipräsidien im Land lahm. Dann gibt es wiederholte Cyberattacken auf die Internetseiten der Polizei. Die sind danach stundenlang nicht zu erreichen. Fast gleichzeitig tragen Ermittler des Polizeipräsidiums Reutlingen zu einem internationalen Schlag gegen Hacker bei. Cyberkriminalität ist in aller Munde. Wie sieht die Bedrohungslage generell aus, und wie ist es um die IT-Sicherheit der Behörden in Baden-Württemberg bestellt? Ralf Kusterer, der Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, erhebt schwere Vorwürfe.

Herr Kusterer, wie bedrohlich sind Cyberangriffe für die Polizei?

Die Angriffe auf die Polizei im Internet zeigen, wie schwierig die Situation in der Cybersicherheit ist. Wer die Polizei angreift, greift auch erst recht den normalen Bürger oder hier in der Regel große und mittlere Unternehmen an. Das ist vergleichbar mit der Eskalation, die wir bei Gewalt gegen Polizeibeamte im Alltag erleben. Wer die Polizei schlägt, hat erst recht keinen Respekt vor dem Bürger.

Wie groß sind die Schäden?

Der Schaden durch Cyberkriminelle ist immens. Dabei darf man nicht aus dem Blick lassen, dass es nicht erst durch die kriegerischen Entwicklungen auf der Welt auch einen Cyberextremismus und Cyberterrorismus gibt. In Teilen können wir sogar von einem Cyberkrieg sprechen.

Sind die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg darauf vorbereitet?

Wer sich die desolate Situation bei unserem Landeskriminalamt anschaut, wird das nicht vermuten. Diese Landesregierung – insbesondere unter der Führung der Grünen in der ersten Koalition mit der SPD – hat uns in der IT-Technologie und in der letzten Legislatur in der Bekämpfung der Cyberkriminalität auf das völlig falsche Bahngleis gesetzt. Wir fahren nicht auf der ICE-Schnellbahntrasse, weil wir die nicht haben, sondern auf der kleinen Bergbahngleisanlage im Hinterland. Und wenn wir bildlich gesprochen nicht einige Unentwegte hätten, die mal aus der Bahn aussteigen und an dieser vorbeirennen, so wie die Kripokollegen aus dem Polizeipräsidium Reutlingen, dann wäre das alles noch schwieriger.

Wo liegen konkret die Probleme?

In manchen Polizeibüros türmen sich Aktenberge von einfach gelagerter Computerkriminalität. Vielfach ist das nur noch ein Verwalten. Dramatisch ist die Lage bei Straftaten, in denen Menschen, oft auch kleine Kinder, Opfer werden. Hier wirft die Politik dann noch Steine auf die Schienen, die uns ausbremsen. Wir haben einen Täter- und keinen Opferschutz – das gilt auch in der Cybersicherheit. Die gesamte Infrastruktur stimmt schon nicht. Die von Ministerpräsident Kretschmann in der ersten Amtszeit durchgedrückte Landesoberbehörde IT Baden-Württemberg ist eine Fehlkonstruktion, die die Ressorts viel Geld kostet, aber keine operative Ausrichtung bringt. Die erforderliche Leistungsfähigkeit wurde nie erreicht. Auch deshalb sind einzelne Ressorts ausgeschert.

Aber das Innenministerium hat doch eine Cybersicherheitsagentur eingerichtet – laut Ministerium „das Herzstück der neuen Cybersicherheitsarchitektur des Landes“.

Der Aufbau dieser Minibehörde, die nach außen Cybersicherheit demonstriert, aber dazu nicht einmal im Ansatz das bieten kann, was sie soll, kann höchstens als Selbstdarstellungsobjekt gewertet werden. Der Abzug von Fachpersonal aus der Polizei und dem Landeskriminalamt schwächt die Gewährleistung der Cybersicherheit, weil ein wesentliches Element dazu die Bekämpfung von Cyberkriminalität, Cyberextremismus, Cyberterrorismus und Cyberkrieg ist. Das Land und diese Landesregierung tun viel zu wenig und das jetzt schon seit Jahren.

Welche Folgen hat das?

Die Zeche zahlen der Bürger und Unternehmen, denen der Staat eben nicht die Sicherheit bietet, die unser Staatswesen im Grunde – auch mit dem Gewaltmonopol – zu garantieren hat. Was im realen Leben gilt, muss auch in der Cyberwelt gelten.

Zum Artikel

Erstellt:
6. Februar 2023, 15:10 Uhr
Aktualisiert:
7. Februar 2023, 08:56 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen